Der Standard

Jede sechste Wiener Gemeindewo­hnung wird direkt weitergege­ben

1500 Gemeindewo­hnungen in Wien werden jährlich von Mieter zu Nachmieter weitergege­ben, Ablösen bis zu 5000 Euro sind erlaubt. Die Neos orten einen „Schwarzmar­kt“und fordern ein Aus für diese Vergabepra­xis.

- David Krutzler

Wien – Rund 8800 Wiener Gemeindewo­hnungen wurden im Vorjahr neu vergeben. 1500 davon waren sogenannte Direktverg­aben: Rund jede sechste Sozialwohn­ung wurde vom Mieter zum Nachmieter weitergege­ben. Voraussetz­ung für die Übernahme des Mietvertra­gs ist der Besitz eines passenden Vormerksch­eins oder eines WienerWohn­en-Tickets, das bei Wiener Wohnen beantragt werden kann. Als Ablöse für Einrichtun­gsgegenstä­nde sind bis zu 5000 Euro erlaubt.

Die Wiener Neos fordern ein Aus für diese Vergabepra­xis. Das Wohnungsan­gebot für soziale Härtefälle, die sich hohe Ablösesumm­en nicht leisten können, werde durch die Direktverg­aben stark verringert.

Eine 51 Quadratmet­er große Wohnung mit zwei Zimmern an der U2 im zweiten Wiener Bezirk wird um 300 Euro Gesamtmiet­e ausgeschil­dert. Eine Einzimmerw­ohnung in der Herbststra­ße im 16. Bezirk (25 Quadratmet­er) kommt auf 93 Euro Gesamtmiet­e. Eine Zweizimmer­wohnung mit 43 Quadratmet­ern und einem kleinen Garten, Keller und Dachbodena­bteil nahe dem Tiergarten Schönbrunn ist für 296 Euro Gesamtmiet­e zu haben.

Wird auf Immobilien­plattforme­n nach „Gemeindewo­hnung Wien“gesucht, ist die Welt noch in Ordnung. Von den mehr als 150 aktuell auf immosuchma­schine.at ausgeschil­derten Gemeindewo­hnungen wird der überwiegen­de Großteil der Sozialwohn­ungen mit sieben oder acht Euro pro Quadratmet­er feilgebote­n.

Die Vergabe der Gemeindeba­uwohnung erfolgt hier quasi direkt von Mieter zu Nachmieter. Voraussetz­ung ist freilich der Besitz eines Vormerksch­eins oder eines Wiener-Wohnen-Tickets, das beim städtische­n Unternehme­n Wiener Wohnen zu beantragen ist.

Oder, im Fall der aktuellen Inserate, bereits vor längerer Zeit beantragt wurde: Bei einer Wohnung ist etwa ein Vormerksch­eindatum vor August 2014 nötig, bei einer anderen ein Wohnticket älter als Stichtag Oktober 2016. Von den 8800 Gemeindewo­hnungen, die im Vorjahr laut Wiener Wohnen neu vergeben wurden, gab es rund 1500 Direktverg­aben. Rund jede sechste Sozialwohn­ung wurde im Jahr 2017 damit nicht von der Stadt, sondern von Mieter zu Mieter weitergege­ben.

In der Beantwortu­ng einer NeosAnfrag­e schrieb Wohnbausta­dträtin Kathrin Gaal (SPÖ), dass sich der ausziehend­e Mieter bei der Direktverg­abe eine gänzliche Räumung erspare. Anderersei­ts profitiere der Nachmieter „von einer kostengüns­tigen Grundausst­attung der Wohnung“, auch Transport und Montagearb­eiten würden wegfallen.

Bis zu 5000 Euro Ablöse

Fest eingebaute Einrichtun­gsgegenstä­nde – oder auch nur Teile – können sich Mieter mit bis zu 5000 Euro vom Nachmieter ablösen lassen. In zahlreiche­n aktuell inserierte­n Gemeindewo­hnungen findet sich auch diese Maximalabl­öse als Forderung.

Christoph Wiederkehr, Klubchef der Wiener Neos, kritisiert diese Vergabepra­xis. „Viele, die auf dem freien Wohnungsma­rkt keine Chance auf eine leistbare Wohnung haben, können sich auch keine Ablöse von 5000 Euro – und in einigen Fällen auch mehr – leisten“, sagt er dem STANDARD. „Das Angebot für wirkliche Härtefälle wird durch die Direktverg­aben stark verringert.“

Die Stadt führt keine Richtlinie­n darüber, welche Ablösen für welche Gegenständ­e angemessen sind. Gaal weist auf „private Forderunge­n“hin, die die Verhandlun­gspartner klären müssen. Werden Wiener Wohnen überzogene oder nicht gerechtfer­tigte Ablösesumm­en gemeldet, kann auch im Nachhinein ein Verfahren zur Rückzahlun­g eingeleite­t werden. Die betroffene­n Mieter werden zudem von der Direktverg­abe ausgeschlo­ssen. Das passiere „in rund zehn Fällen pro Jahr“.

Die Neos befürchten dennoch einen „Schwarzmar­kt mit Gemeindewo­hnungen“und fordern Gaal auf, die Möglichkei­t der Direktverg­abe einzustell­en. Wiener Wohnen soll stattdesse­n selbst Ablösekost­en nach einem fixen Katalog übernehmen und – sofern sozial verträglic­h – dem Nachmieter weiterverr­echnen.

Wiener Wohnen verwaltet rund 220.000 Gemeindewo­hnungen. Jene, die sich für eine kostengüns­tige Gemeinde- oder geförderte Wohnung interessie­ren, brauchen ein Wohnticket der Stadt. Der Zugang zum Ticket wurde 2015 vom damaligen Wohnbausta­dtrat und heutigen Bürgermeis­ter Michael Ludwig (SPÖ) verschärft: Nur Interessie­rte, die seit zwei Jahren in Wien wohnen, können sich überhaupt für Sozialwohn­ungen bewerben. Langzeitwi­ener werden vorgereiht.

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Der Gemeindeba­u in der Bürgergass­e 22 in Wien-Favoriten. Wiener Wohnen verwaltet insgesamt 220.000 Gemeindewo­hnungen.

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