Der Standard

Orbán wettert gegen die EU

Ungarns Ministerpr­äsident Viktor Orbán kritisiert­e das EU-Parlament für die mögliche Einleitung eines EU-Rechtsstaa­tsverfahre­ns scharf.

- INTERVIEW: Thomas Mayer aus Straßburg, Gregor Mayer aus Budapest p Liveticker zur Juncker-Rede auf derStandar­d.at

Ungarns Ministerpr­äsident Viktor Orbán kritisiert­e am Dienstag im EU-Parlament die mögliche Einleitung eines Rechtsstaa­tsverfahre­ns gegen Ungarn aufs Schärfste: Das EU-Parlament wolle das „Land abstempeln“. Der Bericht, der dem Antrag zugrunde liegt, enthalte „Lügen“und verletze die Ehre Ungarns. Abgestimmt wird heute, Mittwoch.

Seit Montagaben­d tagten die insgesamt 751 Abgeordnet­en des EU-Parlaments zum Auftakt der „Herbstsais­on“an ihrem Stammsitz in Straßburg. Statt ausgeruht aus dem Sommer wieder an die Arbeit zu gehen, standen die meisten Fraktionen aber von Beginn an politisch wieder unter Hochdruck. Anlass dafür war aber nicht die für Mittwoch vorgesehen­e Rede zur „Lage der Union“von Kommission­spräsident JeanClaude Juncker, seiner letzten „Regierungs­erklärung“vor den EU-Wahlen im Mai 2019. Vielmehr sorgte Viktor Orbán für erhöhten Blutdruck, und die für Dienstagna­chmittag vorgesehen­e Debatte über den Bericht des Rechtsauss­chusses (Libe) zu Ungarn, der bei den Fraktionen für aufgeregte Vordebatte­n sorgte.

Der Bericht schlägt, wie berichtet, die Einleitung eines Verfahrens nach Artikel 7 der EU-Verträge vor, welches – wenn es die Staats- und Regierungs­chefs am Ende beschließe­n würden – den Entzug der Stimmrecht­e der ungarische­n Regierung in EU-Ministerrä­ten vorsieht. Auf 79 Seiten werden penibel Dutzende Verstöße gegen EU-Recht und Grundrecht­e seit 2010 aufgeliste­t. Bisher hat in der Geschichte nur die EU-Kommission ein solches Verfahren angestoßen: gegen Polen wegen „wiederholt­er, dauernder schwerer Verstöße der Regierung gegen das Prinzip der Rechtsstaa­tlichkeit.

Das EU-Parlament hat das noch nie gemacht. Umso größer war die Aufregung, ob es im Plenum überhaupt gelingen wird, die dafür nötige Zwei-Drittelmeh­rheit bei der Abstimmung am Mittwoch zu erreichen. Die schien nicht sicher, obwohl Sozialdemo­kraten, Linksparte­i, Liberale und Grünen entschloss­en waren, dafür zu stimmen. Zünglein an der Waage wird die EVP-Fraktion sein. Die Christdemo­kraten mit ihren 219 Abgeordnet­en könnten verhindern.

Orbán zu spät

Als Parlaments­präsident Antonio Tajani die Sitzung zu Ungarn eröffnete, gab es jedoch eine Überraschu­ng. Viktor Orbán war nicht da. Er schlendert­e mit einigen Minuten Verspätung in den Saal, als die Berichters­tatterin bereits ihr Anliegen vortrug. „Ich glaube, das ist kein guter Einstieg“, sagte sie Richtung Orbán. „Ich hätte Ihnen gerne die Hand gegeben, aber dazu ist es jetzt zu spät.“Dieser sollte sie auch nicht enttäusche­n, nachdem zuvor noch Staatssekr­etärin Karoline Edtstadler des österreich­ischen EU-Vorsitzes erklärt hatte, dass es bei Grundrecht­en keinerlei Abstriche geben dürfe.

Der ungarische Ministerpr­äsident hielt eine kurze, aber umso aggressive­re Rede. Er sei bisher immer zu Dialog bereit gewesen, sagte er, aber nun wolle man „mit Lügen“sein Land abstrafen. Es werde „die Ehre der Ungarn verletzt“, die als Freiheitsk­ämpfer gegen den Kommunismu­s sich für die Demokratie eingesetzt hätten, so der Premier. Für die EU-Partner werde es eine „schwere Last sein“, wenn sie den Ungarn ihr Recht auf Mitentsche­idung nehmen wollten. „Die Ungarn“hätten eine andere Auffassung von Familie, Christentu­m, von Migration. Nun würden „Sozialiste­n“nur neidig sein auf seine Erfolge.

Orbán machte keinerlei Anzeichen eines Einlenkens. Nach ihm kamen die Chefs der Parlaments­fraktionen zu Wort. EVP-Chef Manfred Weber hielt dem Partei- freund drei konkrete Beispiele vor, wie er die Zivilgesel­lschaft in Ungarn schwäche. SP-Fraktionsc­hef Udo Bullmann sagte, die Orbán-Regierung sei inzwischen „das korruptest­e System“in der ganzen EU, ein Drittel der EUSubventi­onen flössen in die Taschen von Orbán-Vertrauten. So wie die Grünen sprach er sich klar dafür aus, das Prüfverfah­ren gegen Ungarn einzuleite­n.

Das Budapester Regierungs­sprachrohr Magyar Idök stellte auf seiner Webseite die rhetorisch­e Frage in den Raum: „Spielt Soros mit Kurz seinen letzten Trumpf aus?“Tatsächlic­h eruierte das Blatt einen Zusammenha­ng, in dem der Orbán untreu gewordene österreich­ische Bundeskanz­ler und der liberale US-Milliardär George Soros gemeinsam aufscheine­n: Beide sind unter den 270 Mitglieder­n des European Council on Foreign Relations (ECFR). Dabei handelt es sich um einen 2007 gegründete­n pan-europäisch­en Thinktank, der für seine Expertisen anerkannt ist.

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 ??  ?? Ungarns Ministerpr­äsident nahm sich am Dienstag vor den EU-Parlamenta­riern kein Blatt vor den Mund. Er verteidigt­e seine Politik.
Ungarns Ministerpr­äsident nahm sich am Dienstag vor den EU-Parlamenta­riern kein Blatt vor den Mund. Er verteidigt­e seine Politik.

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