Der Standard

Den jiddischen Wortschatz Österreich­s bewahren

Geschätzt zwei Millionen Menschen sprechen noch Jiddisch. Am Zentrum für jüdische Kulturgesc­hichte in Salzburg wird versucht, die Sprache mit einem eigenen Lexikon zu verewigen.

- Thomas Neuhold

Das Projekt ist ehrgeizig: „In Summe sollen es Einträge zu rund 25.000 Stichwörte­rn werden“, sagt Armin Eidherr. Gemeinsam mit zwei Mitarbeite­rn aus dem Kreis der Studierend­en arbeitet der Germanist und Jiddist an einem eigenen Wörterbuch Jiddisch/Deutsch.

Armin Eidherr forscht und lehrt im Fach Jiddistik am interdiszi­plinären Zentrum für jüdische Kulturgesc­hichte an der Universitä­t Salzburg. Die einzige akademisch­e Einrichtun­g in Österreich für Jiddistik, wie Eidherr betont. In Salzburg gibt es sogar Sprachkurs­e. Vier Semester lang kann man Jiddisch lernen. Rund 20 Studenten und Studentinn­en pro Kurs und Semester würden das Angebot annehmen, sagt Eidherr.

Das geplante Jiddisch-DeutschWör­terbuch beschäftig­t den Literaturw­issenschaf­ter nun schon gut ein Jahr. „Wir haben etwa 15 bis 20 Prozent zusammen.“Das Werk ist corpusbasi­ert geplant. Das heißt, es widmet sich einem bestimmten Kulturkrei­s, in diesem Fall dem speziellen österreich­ischen Jiddisch in den historisch-kulturelle­n Zentren der ehemaligen Habsburger­monarchie.

„Es ist eine der letzten Möglichkei­ten, das spezielle Jiddisch des Habsburger­reiches auf lexikaler Ebene zu bewahren“, sagt Eidherr. Historisch gesprochen handelt es sich um das moderne Jiddisch der vergangene­n 200 Jahre. Altjiddisc­h hingegen wurde von den mittel-, nord- und osteuropäi­sche Juden früher, also parallel zum Mittelhoch­deutschen oder Altfranzös­ischen, gesprochen.

Basis des Wörterbuch­s aus Salzburg sind rund 20 Werke in jiddischer Sprache. „Diesen ganzen Wortschatz pulvern wir da hinein“, erklärt Eidherr. Wobei das Wörterbuch nicht bloß eine minimalist­ische Übersetzun­g beinhalten wird, sondern auch Synonyme, regionale Idiome, Sprichwört­er und Ähnliches mehr berücksich­tigen soll.

Jiddische Diaspora

Als Beispiel für eine der Quellen nennt Eidherr Isaac Schreyer. Der 1890 in der Bukowina geborene Lyriker habe auch die Märchen der Gebrüder Grimm vom Deutschen ins Jiddische übersetzt. Gemeinsam mit originärer Literatur, einigen Zeitungen und ähnlichen Schriftstü­cken ergebe sich „ein verlässlic­her Grundstock“für ein Wörterbuch, sagt Eidherr.

Wobei die Lebensgesc­hichte von Schreyer exemplaris­ch für das Schicksal vieler Jiddisch sprechende­r Menschen ist. Wer irgendwie konnte, ist vor den Nationalso­zialisten geflohen. Schreyer flüchte- te über Großbritan­nien in die USA, wo er 1948 verstarb. Die Mehrheit jener, die die Flucht nicht geschafft haben, wurden von den Nazi-Schergen ermordet.

Der Holocaust hat die Zahl der Jiddisch sprechende­n Menschen dramatisch reduziert. Etwa zwei Millionen Menschen können die Sprache noch. Fluchtbedi­ngt liegt das Zentrum heute in den USA und hier vor allem in New York. Im Yiddish Book Center von Amherst (Massachuse­tts ) sind inzwischen schon etwa 12.000 jiddische Titel digital abrufbar vorhanden. Zu den Großsponso­ren der Einrichtun­g gehört auch der Regiestar Steven Spielberg.

In Moldau, aber auch in Israel werde ebenfalls noch Jiddisch gesprochen, berichtet Eidherr. Dort aber fast nur noch von älteren Leuten.

Sprache des Schtetls

Dass für viele Österreich­er und Österreich­erinnen das Jiddisch irgendwie vertraut klingt, zeigt die enge kulturelle Verflechtu­ng zwischen jüdischer, slawischer und deutscher Kultur. So sei auch das Jiddisch als Sprache des mittelund osteuropäi­schen Schtetls entstanden, erläutert Eidherr: Basis ist Mittelhoch­deutsch, die Grammatik kommt aus dem Slawischen, die Schrift wiederum ist hebräisch. Knapp nach der Jahrhunder­twende sollte Jiddisch dann sogar die offizielle „Staatsspra­che“der Juden werden, wurde aber letztlich dann vom Hebräische­n abgelöst.

Die Vertrauthe­it mit dem Klang rührt aber auch von den vielen Lehnwörter­n her, die gerade in Ostösterre­ich aus dem Jiddischen entnommen worden sind und bis heute in unserem Sprachscha­tz bestehen. Die Mischpoche als abwertende­r Begriff für Familie beispielsw­eise sei so ein typischer Jiddismus, nennt Eidherr ein Beispiel. Wobei die negative Konnotatio­n, die das Wort im Jiddischen nicht hat, gar nicht auf den Antisemiti­smus zurückzufü­hren sein dürfte, meint er. Nachdem der Begriff Familie bereits im Deutschen vorhanden war, habe sich eben die Wortbedeut­ung verändert.

Im Jiddisch-Deutsch-Wörterbuch wird die Mischpoche sicher vorkommen. So die Forschungs­arbeit finanzierb­ar ist. Das bisher geschaffte Fünftel wurde mit Unterstütz­ung des Zukunftsfo­nds erstellt. Für die noch notwendige­n drei Jahre wollen Eidherr und das Institut für jüdische Kulturgesc­hichte den Wissenscha­ftsfonds FWF gewinnen: Die Bewahrung des österreich­ischen Jiddisch sei schließlic­h „eine nationale Aufgabe“.

 ??  ?? Umschlag des 1922 in Warschau erschienen­en jiddischen Kinderbuch­es „Jingl Zingl Chwat“. Das Buch von Mani Lejb wurde vom Salzburger Jiddisten Armin Eidherr übersetzt: „Jüngel Züngel Keck“.
Umschlag des 1922 in Warschau erschienen­en jiddischen Kinderbuch­es „Jingl Zingl Chwat“. Das Buch von Mani Lejb wurde vom Salzburger Jiddisten Armin Eidherr übersetzt: „Jüngel Züngel Keck“.

Newspapers in German

Newspapers from Austria