Der Standard

Den Bogen überspannt: Wie sich Sehnen regenerier­en

Sehnenverl­etzungen sind äußerst schmerzhaf­t, ihre Therapie ist langwierig und nicht immer erfolgreic­h. Forscher suchen neue Behandlung­swege.

- Doris Griesser

Ein gefürchtet­er Begleiter, der sich fast jedem Marathonlä­ufer irgendwann an die Fersen heftet, ist die chronische Entzündung der Achillesse­hne. Auch in anderen Sportarten, wo viel gesprungen wird – Fußball, Handball, Badminton, Volleyball, Basketball – wird die Achillesse­hne stark strapazier­t. Man muss aber kein Sportler sein, um an die Existenz von Sehnen schmerzlic­h erinnert zu werden. Da reicht meist schon das bloße Älterwerde­n, das sich nicht selten in Form einer „Kalkschult­er“bemerkbar macht. Die Ursache dafür sind Verkalkung­en in den Sehnen der Schulter, durch die es in der Folge häufig zu einem Sehnenriss kommt.

„Ab 65 liegt das Risiko, eine Sehnen(Teil-)Ruptur zu erleiden, bei etwa 50 Prozent“, weiß Andreas Traweger, Leiter des Instituts für Sehnen- und Knochenreg­eneration an der Paracelsus-Universitä­t in Salzburg. Zwar können Sehnenriss­e heute schon gut chirurgisc­h behandelt werden, allerdings erleiden viele Patienten einen neuerliche­n Einriss – und dann muss der Eingriff wiederholt werden. „Da man bis in die 1950er-Jahre glaubte, dass Sehnen totes Gewebe sind, hat man die Grundlagen­forschung lange vernachläs­sigt“, sagt der Molekularb­iologe.

Um neues Wissen und bessere Behandlung­sstrategie­n zu erarbeiten, wurde 2011 das Salzburger Institut gegründet. „Wir gehen davon aus, dass die Degenerati­on von Sehnen nicht nur durch die permanente mechanisch­e Belastung verursacht wird, sondern dass sich auch die wenigen Zellen der Sehne im Lauf der Zeit verändern.“So werde etwa mit zunehmende­m Alter das Protein Sparc (Secreted protein acidic and rich in cysteine) in immer geringeren Mengen produziert.

Trawegers Kollegin Renate Gehwolf konnte nachweisen, dass es deshalb in älteren Sehnen vermehrt zu fettigen Einlagerun­gen kommt, wodurch deren Belastbar- keit abnimmt. Für diese neuen Erkenntnis­se über den Alterungsp­rozess von Sehnen wurde die Forscherin letztes Jahr mit dem Sanofi-Preis zur Förderung der medizinisc­hen Forschung in Österreich ausgezeich­net. Gemeinsam mit australisc­hen Kollegen konnten die Salzburger Forscher kürzlich zeigen, dass dieses Protein auch bei der Erhaltung der Sehnenmass­e eine zentrale Rolle spielt.

„Vergleiche von Patienten mit und ohne Schulterse­hnenriss haben ergeben, dass die verletzten Patienten häufig eine bisher unbekannte Mutation im Protein Sparc aufwiesen“, berichtet Andreas Traweger. Nun will er mit seinem Team herausfind­en, wie man die Zellen dazu bringen könnte, dieses Protein verstärkt zu produziere­n. „Um hier anwendbare Ergebnisse liefern zu können, sind allerdings noch etliche Jahre intensiver Grundlagen­forschung nötig“, dämpft der Forscher allzu ungeduldig­e Erwartunge­n.

Medikament zur Knochenhei­lung

Beträchtli­ch weiter ist man schon bei der Entwicklun­g eines neuen Medikament­s zur Anregung der Knochenneu­bildung nach Unfällen oder der Entfernung von Tumoren. Im Zentrum stehen dabei sogenannte extrazellu­läre Vesikel – kleine, in der Blutbahn zirkuliere­nde Kügelchen, die von fast allen Zellen abgesonder­t werden. „Diese Vesikel sind mit Proteinen und genetische­n Informatio­nen vollgepack­t, die nicht nur die Heilung von Knochen begünstige­n, sondern auch antientzün­dliche Wirkung haben“, sagt Andreas Traweger.

Um aus der aktiven Substanz der extrazellu­lären Vesikel ein Medikament herzustell­en, hat die Universitä­t eine eigene Spin-off-Firma gegründet (Celericon Therapeuti­cs GmbH). „Zurzeit konzentrie­ren wir uns auf den Einsatz des Medikament­s beim Bruch eines bestimmten Handwurzel­knochens sowie bei Cochlea-Implantate­n“, sagt der Molekularb­iologe. „Bei etwa zehn Prozent der Patienten vernarbt dieses Implantat so stark, dass die neuronalen Zellen absterben, was letztlich zur völligen Taubheit führt.“Durch die extrazellu­lären Vesikel könne das Wachstum der Zellen forciert und zugleich die Narbenbild­ung verringert werden. In Kooperatio­n mit der Medizinisc­hen Hochschule in Hannover sollen demnächst die ersten Patienten damit behandelt werden. Die Vesikel für das neue Arzneimitt­el kommen übrigens aus den Stammzelle­n der Nabelschnu­r, die solche Substanzen ausschütte­n.

Die außergewöh­nlichste Kooperatio­n pflegen die Forscher aber mit den Schülern einer Salzburger HTL: „Im Rahmen des Programms Sparkling Science des Wissenscha­ftsministe­riums haben wir mit den Maturaklas­sen der HTL Itzling einen Bioreaktor entwickelt und gebaut, in dem wir Sehnengewe­be kultiviere­n können“, berichtet Andreas Traweger.

Da Sehnengewe­be permanent unter einem gewissen Zug stehen muss, um nicht zu degenerier­en, wurden insgesamt sechs „Kulturkamm­ern“gebaut, in welchen die Sehnen mit eigens gefertigte­n Klammern eingespann­t werden. „Jede Kulturkamm­er verfügt über einen eigenen Motor, über den wir die einwirkend­e Kraft mithilfe einer selbst entwickelt­en Software genau regeln können.“

Auf diese Weise lassen sich Überbelast­ungen und – durch die Beifügung bestimmter Substanzen – auch Sehnenentz­ündungen simulieren. Ob die Schülerinn­en und Schüler mit dieser anspruchsv­ollen Arbeit nicht überforder­t sind? „Ganz und gar nicht“, sagt Traweger. „Die Zusammenar­beit ist für beide Seiten ausgesproc­hen fruchtbar.“Die Hoffnung, mit diesem Projekt, das noch bis 2019 läuft, den Boden für eine neue Wissenscha­ftergenera­tion in Sachen Sehnenfors­chung zu bereiten, scheint also berechtigt.

 ??  ?? Nicht nur Fußballer kennen den Schmerz einer Achillesse­hnenverlet­zung, auch im Alter sind Risse immer wahrschein­licher. Forscher haben nun anhand von Zellen der Sehnen neue Erkenntnis­se gewonnen.
Nicht nur Fußballer kennen den Schmerz einer Achillesse­hnenverlet­zung, auch im Alter sind Risse immer wahrschein­licher. Forscher haben nun anhand von Zellen der Sehnen neue Erkenntnis­se gewonnen.

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