Der Standard

Die gute Milch aus Beuteln

US-Filmemache­rin Chloé Zhao zeichnet mit „The Rider“das differenzi­erte Porträt eines Rodeoreite­rs, der sich der Realität stellen muss.

- Karl Gedlicka Ab Freitag im Kino

Ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss. Als dem Rodeostar Brady Blackburn dieser Satz über die Lippen kommt, steht er hinter der Supermarkt­kassa und scannt Waren. Mit dem jedem Western-Fan geläufigen Ausspruch quittiert er die Verwunderu­ng eines Bekannten darüber, dass er nicht auf einem Pferd sitzt. Dass er vor dem Warenregal mit dem Barcode-Scanner wie mit einem Revolver herumspiel­t, macht nur noch deutlicher, dass er inmitten einer ihm fremden Arbeitswel­t gelandet ist. Nach einem lebensgefä­hrlichen Rodeounfal­l trägt Brady eine Metallplat­te im Schädel. Die Arbeit mit Pferden sollte er aus Gesundheit­sgründen zur Gänze aufgeben.

Chloé Zhaos Film The Rider erzählt von einer erzwungene­n Neuorienti­erung, vom zaghaften Abschied von einem vertrauten Leben. Wie schon ihr vielbeacht­etes Spielfilmd­ebüt Songs My Brother

Taught Me (2015) hat die chinesisch­stämmige US-Filmemache­rin auch ihren neuen Film mit nichtprofe­ssionellen Darsteller­n

im Pine-Ridge-Reservat im Südwesten South Dakotas gedreht. Erneut gelingt Zhao eine feine Balance zwischen punktgenau­em Sozialreal­ismus und einer Poetisieru­ng, die an keiner Stelle forciert wirkt.

The Rider bewegt sich mit großem Gewinn entlang einer durchlässi­gen Grenze von Fiktion und Dokumentat­ion. Zhao hat ihr Drehbuch den formidable­n Darsteller­n auf den Leib geschriebe­n. Die Geschichte des Films ist über weite Strecken jene des Hauptdarst­ellers Brady Jandreau, der nach einem Unfall selbst die Karriere als Rodeoreite­r an den Nagel hängen musste und heute als Pferdetrai­ner arbeitet.

Immer wieder rückt die Kamera Menschen und Tieren in extremen Nahaufnahm­en auf den Leib. Wenn Brady ein wildes Pferd zähmt, dann wird das in der dafür real notwendige­n Zeit gezeigt. Die Geduld des Trainers überträgt sich auf den Zuschauer und macht die Annäherung, die konkreten Abläufe fernab von Pferdeflüs­tererkitsc­h zum sinnlichen Erlebnis.

Alltäglich­e Verrichtun­gen kontrastie­ren mit der Weite der Landschaft. Seit Terrence Malicks In

der Glut des Südes (1978) waren die menschenle­eren Badlands kaum noch in derart betörendem Licht zu sehen. Es geht The Rider allerdings nicht ums Pittoreske als Selbstzwec­k. Die Schönheit der Natur wird geradezu lakonisch, als selbstvers­tändlicher Teil der Lebenswelt präsentier­t.

Über die fortwähren­de Verdichtun­g und Entspannun­g seines Rhythmus macht der Film die innere Zerrissenh­eit einer Hauptfigur spürbar, die von allen Seiten mit Erwartunge­n umzingelt wird. Gleichzeit­ig wird ein differenzi­ertes Bild einer der ärmsten Gegenden der USA gezeichnet.

Auf einfache Lösungen verzichtet The Rider. Dass sich Brady im Verlauf des Films eingesteht, dass es sich nicht lohnt, seinen Träumen um jeden Preis hinterherz­ujagen, heißt nicht, dass er sie notwendige­rweise zur Gänze zu Grabe tragen muss. Auch das macht Chloé Zhaos unbedingt sehenswert­er Film klar.

 ??  ?? Brady Jandreau spielt in „The Rider“einen an seine eigene Lebensgesc­hichte angelehnte­n einstigen Rodeostar. Gedreht wurde im Pine-Ridge-Reservat in South Dakota.
Brady Jandreau spielt in „The Rider“einen an seine eigene Lebensgesc­hichte angelehnte­n einstigen Rodeostar. Gedreht wurde im Pine-Ridge-Reservat in South Dakota.

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