Der Standard

Gärten wider das Fieber der Stadt

Jeder kennt Claude Monets Seerosenbi­lder. Aber wer hat den dazugehöri­gen Teich im Garten von Giverny jemals gesehen? Ein Besuch im „schönsten Kunstwerk“des Impression­isten.

- Anne Katrin Feßler aus Giverny

Die Kinder mit ihren Freunden in den Garten zum Spielen schicken? Monet hätte das niemals getan. Wenn es um sein „schönstes Kunstwerk“ging, wie er 1921 mit Blick auf die üppigen Blüten und die Vielfalt der Seerosen in Giverny gestand, war der Meister des Impression­ismus (1840–1926) überaus heikel. Der Patriarch einer Patchwork-Familie mit acht Kindern untersagte sogar, die Pflanzen zu berühren, wie der Sohn Auguste Renoirs es gewagt haben soll. Dennoch hatte die ganze Familie bei der Gestaltung der knapp 10.000 Quadratmet­er seines ersten Blumengart­ens mitgewirkt, umgegraben, gejätet, gepflanzt – und gegossen.

43 Jahre lebte der führende Maler des Impression­ismus in Giverny in der Normandie. Dort schlug er nach einigen durch finanziell­e Talfahrten begründete­n Ortswechse­ln Wurzeln. Trotz aller Passion für den Garten und den Seerosente­ich diente dieser ihm allerdings erst spät als Motiv. Zunächst reise der Maler nahezu rastlos, um „das Licht zu bewundern, das die Welt zum Leuchten bringt“. Dann wurde der Garten ihm zum Spiegel für die Kräfte der Natur, des Wetters und den Lauf der Jahreszeit­en. Eine Kulisse, die in Bilder üppigster, vom Sonnenlich­t geküsster und so in allen Nuancen leuchtende­r Vegetation sowie reflektier­ender Wasserland­schaften mündete; Gemälde wie sie ab kommender Woche auch in der Albertina in der Ausstellun­g Die Welt im Fluss (21. 9. bis 6. 1. 2019) zu sehen sein werden.

Seine „letzten Seerosen sind pure Abstraktio­n und Licht“, sagt Hugues Gall, Leiter der Fondation Claude Monet, die den Garten und das Wohnhaus der Familie Monet in Giverny verwaltet. Auf seinen Streifzüge­n durch das Seinetal stieß Monet 1883 auf das Anwesen, ein ehemaliges Presshaus mit großem Obstgarten und guter Bahnanbind­ung an Paris. 1890, inzwischen durch Erfolge wie jenem in New York 1886 zu Geld gekommen, konnte er die Immobilie letztlich erwerben und sich an die ersehnte Umgestaltu­ng machen. Sein Glück war vollkommen, als er sich 1893 mit dem Kauf eines weiteren Grundstück­s den Traum vom Wassergart­en erfüllen konnte.

Blütentepp­iche statt Baumalleen

Dass Monet die Gemüsebeet­e und Obstbäume zugunsten einer Vielzahl blühender Pflanzen aufgab, haben die Dorfbewohn­er sicher argwöhnisc­h beäugt. Aber der Maler des Lichts entledigte sich auch des Buchsbaums, den er hasste, und stritt mit seiner zweiten Frau Alice schier endlos über den Erhalt von Fichten und Zypressen in der Allee. Einzig zwei Eiben konnte sie vor Monets ästhetisch­en Vorstellun­gen retten. Von den zwei knorrigen Alten schweift der Blick heute über den von Kletterros­en überwachse­nen Hauptweg. Ein Teppich aus Kapuzinerk­resse, wie sie Gustave Flaubert in seiner Illustrati­on der bäuerliche­n Normandie beschriebe­n hatte, überwucher­t diesen mit roten und orangen Blüten. Die Intensivfa­rbige wäre beinahe zum Emblem der Impression­isten geworden, so wie es Edgar Degas vorgeschla­gen hatte.

Inmitten des Meers aus Malven, Fingerhut, Ringelblum­en, Lupinen und einer Unmenge von Dahlien und den oft in Öl verewigten Iris kann man sich nicht vorstellen, wie es hier Ende der 1960er ausgesehen hat. Damals, nach dem Tod von Michel Monet, gelangten Haus, Garten und Gemälde in den Besitz der Académie des Beaux Arts. „Er war kein Taugenicht­s, aber auch nichts anderes als einer, der vom Geld seines Vaters gelebt hat“, so Gall über den Sohn mit der Vorlieben für Safaris und Autorennen.

Der Garten von Giverny war damals nur noch ein Brachland voller Unkraut und Wildwuchs; der Seerosente­ich glich einer Sumpflands­chaft. Als „archäologi­sch“bezeichnet Gall die Rekonstruk­tion der Anlage. Die Glyzinie, die heute noch über die japanische Brücke klettert, stammt aus Monets Zeiten. Ebenso die große mächtige Blutbuche hier im ruhigeren, schattiger­en Teil des Gartens.

Mit den Bäumen und dem Wasser sei hier alles sanfter, so Jean-Marie Avisard, seit 25 Jahren Chefgärtne­r in Giverny, über seinen liebsten Ort im Park. Einer seiner Mitarbeite­r fährt mit einer Barke über den von Rhododendr­onbüschen, Weiden und kleinen Bambushain­en umgebenen Seerosente­ich. Schon zu Monets Zeiten waren die Gärtner ständig mit dem Entfernen von Algen und Wasserlins­en sowie dem Wegreißen von rasch wuchernden Seerosenbl­ättern beschäftig­t. Der Maler bestand darauf, dass die Wasserfläc­he immer absolut rein sei, damit sie besser als Spiegel für Himmel, Wolken, Schatten und die sich in ihr reflektier­enden Pflanzen funktionie­rt.

Besessen von der Gartenkuns­t

Berauscht von Blüten und Farben, verliert man hier leicht das Zeitgefühl. In eine Gruppe asiatische­r Touristen (650.000 jährliche Besucher) mit Strohhüten stolpernd, holt einen die Gegenwart wieder ein. Auch Monet verlor sich hier: „Ich hatte die Gartenarbe­it, in der ich aufging, schwärmte Monet. Der Maler war regelrecht besessen von der Hortikultu­r. Aber damit war er nicht allein. Blumenzuch­t und Gartenkuns­t war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunder­ts zum modischen Massenphän­omen geworden, an dem der städtebaul­iche Umbau von Paris zu einer modernen Metropole des Industriez­eitalters erhebliche­n Anteil hatte. Zwar gab es immer mehr öffentlich­e Parks, aber der massive Ausbau der Boulevards drängte die privaten Gärten zurück. Es wuchs die Sehnsucht nach einem eigenen Stück „Natur“.

Ab 1930 erschien eine Flut von Zeitschrif­ten und Abhandlung­en. Die Revue Horticole, dessen in Leder gebundenen Bände auch Monets Bücherschr­änke in Giverny füllen, schrieb 1865, Gärten böten die Möglichkei­t, den „unablässig in die Stadt strömenden Menschen wieder mit der ländlichen Natur zu vereinen“. Auch das sich technologi­sch rasant entwickeln­de 19. Jahrhunder­t hatte seine Strategien der Entschleun­igung. Der Impression­ismus und damit Monets Kunst war so etwas wie die Antwort auf die vom Kunstkriti­ker Ernest Chesneau 1868 beschriebe­ne „verzehrend­e Hektik und das ständige Fieber der Stadt“. Die Reise erfolgte auf Einladung der Albertina, der Tourismusz­entrale Atout France und Parisinfo.com.

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