Der Standard

Empörung in Budapest über EU-Votum zu Verfahren gegen Ungarn

Große Mehrheit für Rechtsstaa­tsverfahre­n gegen Ungarn

- Thomas Mayer aus Straßburg Gregor Mayer aus Budapest

Straßburg/Budapest – Empört hat die Regierung in Budapest das Votum des EU-Parlaments für die Einleitung eines Rechtsstaa­tsverfahre­ns gegen Ungarn wegen Rechtsvers­tößen in mehr als 60 Punkten kommentier­t: „Das ist nichts anderes als die kleinliche Rache migrations­freundlich­er Politiker“, sagte Außenminis­ter Péter Szijjártó am Mittwoch in Budapest. Zuvor hatten in Straßburg 448 EU-Parlamenta­rier bei der namentlich­en Abstimmung für und 197 gegen ein Artikel-7-Verfahren gestimmt, 48 enthielten sich. Der Vorgang war bisher einmalig, normalerwe­ise müsste nicht das EU-Parlament, sondern die EU-Kommission aktiv werden, wenn Mitgliedst­aaten gegen EU-Recht verstoßen. (red)

Die Abstimmung im EU-Parlament über die Einleitung eines Rechtsstaa­tsverfahre­ns gegen Ungarn wegen Verstößen gegen EU-Recht fiel am Mittwoch in Straßburg eindeutige­r aus als erwartet. Die erforderli­che Zweidritte­lmehrheit wurde locker erreicht, die Beteiligun­g (693 von 751 Sitze) war hoch. Dass es doch nicht zur „Zitterpart­ie“kam, weil bei 48 Enthaltung­en 448 Mandatare für das Artikel-7-Verfahren stimmten und nur 197 dagegen, zeigt, dass auch die große Mehrheit der EVP-Fraktion, der Orbáns Fidesz angehört, dafür war.

Ein Nein kam vor allem von Rechten aus Ungarn, Polen, Frankreich und der FPÖ, von der EUfeindlic­hen Gruppe um Nigel Farage, von den britischen Tories und polnischen PiS-Abgeordnet­en. Nach dem Votum gab es Aufregung um die Geschäftso­rdnung: Das Orbán-Lager wollte die Abstimmung anfechten, weil die Enthaltung­en eigentlich als NeinStimme­n zu werten seien.

Das Votum für ein Artikel-7Verfahren durch das Parlament hat eine historisch­e Dimension. An sich wäre eine solche Initiative Aufgabe der EU-Kommission, die vor zwei Jahren zwar ein solches Verfahren gegen Polen eingeleite­t hat, bei Ungarn darauf aber verzichtet­e. Das EU-Parlament hat damit aber auch die Regierunge­n der Mitgliedst­aaten vorgeführt, die die heikle Sache bisher von sich geschoben hatten. Mit dem Beschluss geht das nicht mehr.

Péter Szijjártó, Ungarns undiplomat­ischer Chef der Diplomatie, nahm sich nach der Abstimmung kein Blatt vor den Mund: „Das ist nichts anderes als die kleinliche Rache migrations­freundlich­er Politiker“, sagte er in Budapest. „Man hat Ungarn und seine Menschen bestraft, weil sie bewiesen haben, dass die Migration kein naturgegeb­ener Vorgang ist und dass man sie aufhalten kann.“

Der dem EU-Verfahren zugrundeli­egende Bericht der niederländ­ischen Grünen-Abgeordnet­en Judith Sargentini listet ungarische Verfehlung­en in mehr als 60 Punkten auf: Grausamkei­ten im Umgang mit Flüchtling­en und Schutzsuch­enden sind darin ebenso enthalten wie die Unterdrück­ung unabhängig­er Medien, Versuche zur Politisier­ung der Justiz oder die straflos bleibende Korruption regierungs­naher Personen. Insbesonde­re unterstrei­cht der Bericht den systemisch­en Zusammenha­ng von Repression­en und Günstlings­wirtschaft, der die Negierung der Grundwerte nach sich ziehe – so der Bericht.

„Historisch­es“Votum

Opposition­elle und Nichtregie­rungsorgan­isationen (NGOs) in Ungarn, die diesen Zusammenha­ng sehen oder sich von ihm bedroht fühlen, begrüßten das Straßburge­r Votum als „historisch“. Der sozialdemo­kratische Abgeordnet­e István Újhelyi erklärte: „In einem normalen und glückliche­n Land würde eine Regierung, die sich dermaßen auf die Schandbank manövriert hat, die Wähler um Verzeihung bitten und die Macht abgeben – oder sie würde zumindest darüber nachdenken, wie lange sie noch zwecks Vertuschun­g ihrer Verbrechen die ganze Nation als Schutzschi­ld vor sich hertragen kann.“

Das ungarische Helsinki-Komitee, das unter anderem Asylsuchen­den Rechtsbeis­tand leistet und deshalb im Budapester Fadenkreuz steht, zeigte sich gleichfall­s erfreut über das Votum: Das EU-Verfahren schütze die Rechte der Bürger Ungarns und biete eine Chance, die Demokratie in Ungarn und Europa zu verteidige­n. „Es ist vielleicht der letzte Augenblick, dass die EU-Institutio­nen jenen Regierunge­n ein klares Signal geben, die damit liebäugeln, die ungarische Praxis der Schwächung der verfassung­smäßigen Demokratie zu kopieren.“

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Eindeutig fiel das Votum der EU-Parlamenta­rier gegen Ungarn aus.

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