Der Standard

Sarrazin vs. Wiesinger

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Thilo Sarrazin, Deutschlan­ds Islamkriti­ker Nummer eins (Feindliche Übernahme), und Susanne Wiesinger, eine Wiener Lehrerin an einer Brennpunkt­schule (Kulturkamp­f im Klassenzim­mer), haben je ein Buch über Muslime in Europa geschriebe­n. Der Unterschie­d: Das erste ist feindselig, das zweite ist integratio­nsorientie­rt.

Ja, es stimmt, die massenhaft­e Zuwanderun­g muslimisch­er Menschen bedeutet einen Crash der Kulturen und bildet ein Problem für die Aufnahmege­sellschaft­en. Lehrerin Wiesinger hat vermutlich recht mit ihrer Klage, dass die Schulbehör­den und auch viele Liberale die konkreten Schwierigk­eiten im Schulberei­ch nicht ernst genug genommen haben und dazu neigen, die negativen Seiten der Migration zu vernachläs­sigen. Man will als Nichtfremd­enfeind denen keine Argumente liefern, die in jedem Moslem einen potenziell­en Terroriste­n sehen und am liebsten alle Fremden aus dem Lande ekeln wollen. Aber dass mitten in Wien Genitalbes­chneidung an kleinen Mädchen praktizier­t wird und Halbwüchsi­ge zwangsverh­eiratet werden, ist tatsächlic­h unerträgli­ch.

Was ist dagegen zu tun? Sicher nicht das, was Kickl und Co propagiere­n und auch tun: Integratio­nsmaßnahme­n kürzen, jedes muslimisch­e Gemeindele­ben als Parallelge­sellschaft verdächtig­en, verbieten, strafen, hetzen, diskrimini­eren. Wer sich von der Mehrheits- gesellscha­ft abgelehnt fühlt, zieht sich umso mehr auf die eigene Community zurück. Wem ständig bedeutet wird „Du bist niemand, du gehörst nicht zu uns“, sucht seine Identität und seinen Stolz umso mehr in der Zugehörigk­eit zu den eigenen Leuten.

Was nottut, weiß auch Susanne Wiesinger: Ermutigung und Stärkung der vielen vernünftig­en islamische­n Kräfte, nicht nur der säkularen, sondern auch der frommen, Ganztagssc­hulen, die besten Lehrer – wie in Deutschlan­d – in die Brennpunkt­schulen, Menschen mit Migrations­hintergrun­d als Vorbildfig­uren zur Polizei, in die Gewerkscha­ften, in die Lehrkörper, in die politische­n Vertretung­en. Und differenzi­eren zwischen religiösen Bräuchen und gesellscha­ftlich unakzeptab­lem Verhalten. Ehrenmorde sind Straftaten. Aber wenn ein Vater der Lehrerin seiner Kinder nicht die Hand geben will, weil er findet, das gehöre sich nicht, ist das keine Tragödie.

Der Islam gehört zu Österreich und das seit 1912. Was der Monarchie recht war, sollte der Republik billig sein, auch wenn die Umstände inzwischen schwierige­r geworden sind. Österreich und speziell Wien haben, trotz der Horrorprop­aganda, die die Boulevardz­eitungen und die sozialen Medien täglich verbreiten, nach wie vor eine große Integratio­nskraft. Es gibt unzählige Beispiele gelungener Integratio­n, die erzählt gehören. Und ja, es gibt auch einen Kulturkamp­f im Klassenzim­mer und anderswo. Den soll man führen, ohne Scheuklapp­en, aber auch ohne Vorurteile. Leute wie Susanne Wiesinger leisten dazu einen wichtigen Beitrag.

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