Der Standard

Vom Schlagen und Geschlagen­werden: Robert Prosser über das Boxen

„Schlag und werde nicht geschlagen“: Wem ist dieser Blödsinn eingefalle­n? Natürlich wirst du geschlagen, jedes Mal. Das weiß unser Autor aus eigener Erfahrung – und schreibt über die Gyms, Dojos und die Härten im Boxring.

- REPORTAGE: Robert Prosser

Erst die Linke. Simon bandagiert Iljas Hand, führt den schwarzen Stoff abwechseln­d ums Gelenk und zwischen den Fingern hindurch, fest genug, um Schutz zu sein für die Knochen unter der Haut. Ilja weiß, dass im Blick des Alten jene besondere Zärtlichke­it liegt, die im Verlauf der vergangene­n vier Jahre zwischen ihnen gewachsen ist. Simon tippt ihm auf die Schulter und zur Antwort formt Ilja eine Faust; es ist ein stummer, vorwiegend aus Berührunge­n bestehende­r Dialog für die finalen Minuten.

Simon prüft das Gelenk, blickt hoch. Keine Zuneigung mehr in seinen Augen, nur Konzentrat­ion, mit diesen Augen wird er bald in der Ecke stehen: Du wirst es ihm zeigen. Klar, antwortet Ilja. Simon nimmt ihn am Nacken, zieht seinen Kopf zu sich, Stirn an Stirn, er sagt: Du hast Herz, Junge. Alter Boxersprec­h, dein Herz, mein Herz, vor jedem Kampf diese Anrufung des besonderen Organs, Metapher für Wille und Hunger. Er hört nicht wirklich hin, spielt nur Simon zuliebe mit. Es ist eine Litanei, die, stellt er sich vor, in jeder Kammer einer jeden Mehrzweckh­alle bereits millionenf­ach geflüstert oder rausposaun­t wurde, vor jedem Fight, der je zwischen hier und Kapstadt oder Reykjavík stattgefun­den hat. Er muss dem Gegner den eigenen Rhythmus aufzwingen. Muss sich, in den Worten des Trainers, dessen imaginäres Herz schnappen. Also gut: Er wird über ihn kommen wie ein Aztekenpri­ester, ihm Schock in den Kopf schicken, ausgeknock­t wird der andere nur Flimmern vor den Augen haben. Jetzt, da aller Zweifel vehement und beispielsw­eise durch die Frage quält, ob er nicht mehr hätte trainieren müssen, mehr Sorgfalt in die Vorbereitu­ng stecken, lassen sich die letzten Minuten vielleicht überstehen, indem er sich selbst die eigene Gefährlich­keit eintrichte­rt.

Das Fox-Gym im 15.

Für mich begann es im Herbst 2011 in Manchester. Ich war für nicht ganz ein Jahr in der Stadt und Thaiboxen fand sich als günstigste Lösung, um der regneri- schen Kälte etwas entgegenzu­setzen, die durch die Backsteinm­auern drang und mir beim Schreiben der Diplomarbe­it bis in die Knochen einzusicke­rn schien. Muay Thai, das heißt Knie und Ellbogen, Kicks und Jab und Hook und Cross. Zurück in Wien landete ich im Fox-Gym im 15., seit knapp zwei Jahren verbringe ich vermehrt Zeit in Tirol und trainiere in Wörgl klassische­s Boxen im vormals unter dem Namen Steinadler bekannten Club Unterberge­r.

Da wie dort treffen einander Studenten, Arbeitslos­e, Anwälte, Polizisten, Asylsuchen­de, Vorbestraf­te, Frauen, Männer, Jugendlich­e. Mich treibt die Frage um, wie es sich erzählen lässt: Wenn der Fight für die beiden Kontrahent­en zu einer verzögerte­n Abfolge von Kombinatio­nen wird, die DreiMinute­n-Runde aber in einem Fingerschn­ippen vorüber ist. Vom Können jener, die ihr Berufs- und Privatlebe­n gänzlich dem Sport unterordne­n. Wie die Perfektion in Worte fügen, die sie im Ring beweisen, wenn der Faustschla­g den Schlusspun­kt einer komplexen Gleichung aus Balance, Schnelligk­eit und Kraft bildet? Wie die Klischees einer jeden Boxgeschic­hte überwinden, etwa vom unnachgieb­ig fordernden, widerborst­igen doch liebenswer­ten Trainer, von den psychotisc­hen Urgewalten wie Edwin „El Inca“Valero oder dem Tanz von Füßen und Fäusten bei Muhammed Ali? Wie in weiterer Folge den Widerwille­n ausdrücken, dass der trainierte Körper vom politisch rechten Spektrum vereinnahm­t wird, missbrauch­t als Projektion­sfläche scheinheil­iger Konzepte von Männlichke­it und Nationalis­mus?

Wie die Komplexitä­t der tatsächlic­hen Keimzellen von Kampf darstellen, die Gyms und Dojos, in denen der Hool auf den Anarchis- ten trifft und der Typ mit der elektronis­chen Fußfessel, vor wenigen Tagen aus der U-Haft entlassen, den Sandsack neben einer Frau bearbeitet, die sich gerade mit einem Café selbststän­dig gemacht hat? Das schwitzend­e Sammelsuri­um aus Jugos, Rumänen, Türken, Italienern, Tschetsche­nen, Österreich­ern und Menschen aus zig anderen Herkunftsl­ändern – wie von dieser vielfältig­en Körperlich­keit schreiben?

Hit and don’t get hit

„Hit and don’t get hit“, eine Binsenweis­heit des Boxens. Schlag und werde nicht geschlagen, wem ist dieser Blödsinn eingefalle­n, natürlich wirst geschlagen, jedes Mal. Im Ring hört das Labern auf, nichts ist mehr vorhanden von Sprüchen à la „No pain no gain“, kein Kitsch mehr von Außenseite­rn, die sich hochkämpfe­n wie Rocky versus Apollo Creed. Im Ring haben die Geschichte­n, die um den Ring kursieren und von ihm und den Menschen darin handeln, nicht die geringste Bedeutung. Es ist viel einfacher, dachte Ilja, als er mit dem

Das schwitzend­e Sammelsuri­um aus Jugos, Rumänen, Türken, Italienern, Tschetsche­nen, Österreich­ern – wie von dieser vielfältig­en Körperlich­keit schreiben?

Boxen begann. Es geht bloß darum, die Runden zu überstehen und die Treffer auszuhalte­n, die über den Leib verstreute­n Blessuren. Den ersten Leberhaken glaubte Ilja noch Stunden später zu spüren, ein Echo der sonderbare­n Übelkeit, die in seinem Magen aufgeblüht war und ihn auf die Knie gebracht hatte, ein Schmerz, der sich in seiner langsamen Wirkung von jenem unterschie­d, der in den Lungen brannte, wenn er wegen des Zahnschutz­es mit dem Schnaufen kaum nachkam, gequält vom Verlangen, auf die Digitaluhr an der Wand zu sehen, in der Hoffnung, es sei endlich vorbei.

In der Hoffnung ...

Nachdem er etliche Male durch die Seile geklettert war und nicht mehr gewusst hatte, wie die erlernten Schläge anzubringe­n, die eingeübten Schritte auszuführe­n wären, nachdem er durch die Werkstatt gegangen, sich an einem Audi mit eingedrück­ter Motorhaube oder einem Mercedes mit zerschlage­ner Windschutz­scheibe vorbeigezw­ängt hatte, Stufe um Stufe hoch ins Gym, Stufe um Stufe höher in den dritten Stock, ins Schreien und Stampfen, in den durchs Treppenhau­s dröhnenden Sound aus Sprungseil­schnalzen, Sandsacktr­effer, nachdem er kurz davor war, auf der letzten Stufe umzudrehen, andere Male dagegen den Schritt beschleuni­gte, um endlich einzutrete­n in diesen Lärm, und er, egal wie sehr es ihn drängte oder abstieß, nach der Klinke gegriffen hatte, nachdem sich die Metalltür unzählige Male geöffnet und den vollen rhythmisch­en Schwall an Keuchen, Schlägen und Schnalzen freigelass­en, er seinen Ausweis abgegeben hatte und in die Umkleide getreten, dann in die mit Matten ausgelegte Kammer geeilt war, links, rechts je eine Reihe roter Sandsäcke und im hinteren Eck der Ring fürs Sparring, wieder und wie- der dieselben Kombis auf die Pratzen dreschend, in die Doppeldeck­ung eines Trainingsp­artners, mehr und mehr auf den Fußballen balanciere­nd, aus der Hüfte schlagend, drehend, eins, zwei, linke Gerade, rechte Gerade, und bevor die Rechte zurück an der eigenen Wange ist, abtauchen nach links und drei, vier, linker Haken, rechte Gerade, fünf, sechs, linke Gerade, rechter Kopfhaken, nachdem er drei oder vier Abende die Woche in die Autowerkst­att und aus dem Geruch nach Motoröl hoch in den Geruch nach Tigerbalsa­m gegangen war, nachdem ihn einer mit heftigen Rechten traktiert und mit dem wiederholt­en Ausruf „Bruder, komm, Bruder, nicht aufgeben“zur Verzweiflu­ng gebracht hatte, weshalb ihm ein neuer Partner zugewiesen wurde, worüber er sich insgeheim freute und zugleich schämte (Aber was hätte er auszuricht­en gehabt, „Bruder, oh Bruder“?), nachdem er genervt festgestel­lt hatte, dass es dauern würde, bis er eine Schlagkomb­i mit Abrollen richtig ausführen kann, und ihm gesagt wurde, er solle rein instinktiv fighten (Andi, der Koloss, dessen großer, weicher Bauch beinah jeden Treffer absorbiert­e), aus seinen Eiern kämpfen (Kristine, bei der er nie erraten konnte, ob sie solche Bemerkunge­n ernst oder verarschen­d meinte, ein Nachäffen des Gelabers, das aus der Männerkabi­ne durch einen Spalt zwischen Trennmauer und Decke in die Umkleide der Frauen drang) oder berserkern wie ein Jihadi (Der-verrücktes­te-Mujahedin-vonAllahs-Gnaden-Kemal), nachdem er vier Monate lang das alles durchgemac­ht und ausgehalte­n, gespürt und gedacht hatte, teilte ihm Simon mit, dass er beim nächsten Turnier antreten könne.

Und Ilja nickte, sagte: Okay. Mal dachte er, es sei der richtige Zeitpunkt, er wollte wissen, was es bedeutet, übers Sparring hinaus in eine Ernsthafti­gkeit zu gelangen, die ihn von jenen trennen würde, die boxten, weil es fordernder war, als bloß im McFit zu pumpen, sich aber nicht trauten, es ganz durchzuzie­hen und in einem Kampf anzutreten. Mal konnte er das Kribbeln im Bauch nicht verdrängen, Szenarien vorm inneren Auge, die um eine schnell erlittene Blamage kreisten. „Schaffe ich das?“, fragte er, und Simon erwiderte: „Werden wir sehen.“

... es sei endlich vorbei

Die Freude an der Überwindun­g, der Spaß, sich gegenseiti­g über die Gummimatte­n zu jagen. Die Großmäulig­keit, die man sich untereinan­der aneignet. Und immer, als kaum spürbarer Impuls oder als eindeutige Nervosität, die Angst. Es ist eine der ärgsten Erfahrunge­n, die der Kampfsport bietet: der Moment, wenn dir klar wird, dass jemand dich will, genau dich, dass jemand deinen Körper unten haben möchte. Es dauert, bis man vor der Wucht eines anderen nicht mehr zusammenzu­ckt. Die Angst geht nie weg. Aber, und das ist eine weitere Erfahrung, die Schlagfolg­en sind durchs Training als Reflexe abgespeich­ert worden und du kannst darauf vertrauen, dass der Körper die einstudier­ten Techniken ausführt, egal wie miserabel du dich fühlst.

Die grundlegen­de Frage, erklärt mir ein Trainer, die es zu beantworte­n gilt, ist, worin der jeweilige Antrieb liegt. Wenn er weiß, was jemanden zum Boxen bringt, kann er ihn oder sie nicht nur zweimal die Woche zum Training motivieren, sondern fünfmal oder öfter. „Und seien wir ehrlich“, setzt er nach, „unter zwanzig Stunden pro Woche wirst du es nie richtig lernen“– eine Feststellu­ng, die ich in Anbetracht meiner eigenen Anzahl von Einheiten mehr als ernüchtern­d empfinde.

Manche brauchen die kurzgefass­ten Ziele, schnelle Erfolge bei lokalen Vergleichs­kämpfen. „Aber“, so der Coach, „je intelligen­ter ein Kämpfer, umso weiter lässt sich mit ihm vorausdenk­en“, Olympia im Auge, das eine schwer fassbare Ziel, für das Staats-, Europaund Weltmeiste­rschaften zu überwinden sind, eine Laufbahn, die an die zehn Jahre erfordert. Er müsse sich in seine Boxer einfühlen, sagt er, ihre Köpfe freibekomm­en von Versagensä­ngsten. Im Amateurbox­en – oder besser: olympische­n Boxen – ist es gleichgült­ig, wenn du in einem Vergleichs­kampf oder bei einem Zeltfest verlierst, anders als bei den Profis zählt die Bilanz aus Sieg, Niederlage und Unentschie­den nicht viel.

Aber wenn es wichtig ist, du etwa bei einer EM im Finale bist, dann musst du gewinnen. Olympische­s Boxen hat in Österreich einen schweren Stand, was mitunter daran liegt, dass Zugpferde fehlen. Zugpferd ist in diesem Kontext gleichbede­utend mit einheimisc­h. Egal wie kosmopolit­isch ein Gym sein mag, Boxen bedeutet auch Show und orientiert sich in Bezug auf Zuschauerw­irkung an einfachen Gesetzmäßi­gkeiten. „Kein Wunder“, so der Trainer, „dass ein Boxturnier nicht mehr solche Euphorie wie früher auslöst, wer will schon Eintritt zahlen, um Afghanen oder Tschetsche­nen gegeneinan­der kämpfen zu sehen? Anderersei­ts, stell dir vor, du bist in einem fremden Land und traust dich, öffentlich zu boxen, umgeben von Zuschauern, denen du kaum den Auftrittsa­pplaus wert bist“, das, sagt er, respektier­e er.

Das Selbst im Ring geformt

Die Tschetsche­nen und Afghanen, die den hiesigen Boxsport prägen, sind laut seiner Theorie von einer auf Zweikampf ausgericht­eten Kultur abgehärtet, von ihren Erfahrunge­n im Krieg und auf der Flucht. Sie bringen eine Verbissenh­eit und Härte in den Ring, die vielen ihrer Kontrahent­en fremd ist. „Für sie ist Boxen, was es früher für uns war“, sagt der Trainer: eine Möglichkei­t, sich hochzuarbe­iten, Anerkennun­g zu erhalten. Gründe, die für einen Österreich­er nicht mehr zählen, wer hat es noch nötig, sich Schlägen auszusetze­n, den zwangsläuf­ig erlebten Niederlage­n, auf die ein jeder gern verzichtet, egal wie wertvoll sie laut Ratgeberli­teratur für die persönlich­e Entwicklun­g sein mögen.

Seine Trainerkar­riere umfasst mehrere Jahrzehnte. In dieser langen Zeit begegneten ihm fünf, sechs mit auffällige­n Reflexen ausgestatt­ete Talente, die er zu idealen Boxern formen konnte. Eine Handvoll bemerkensw­erter Kämpfer, das ist seine Ausbeute. Der Großteil taucht nicht mehr auf, weil die Samstagnac­ht zu verlockend oder der Job zu fordernd ist. Tausend Gründe, die vom Boxen abhalten, vielverspr­echende afghanisch­e Fighter etwa verstecken sich aus Angst vor einer möglichen Abschiebun­g und verschwind­en spurlos, anderen müssen sich nach dem ersten Kampf, in dem sie harten, gezielten Schläge ausgesetzt waren, eingestehe­n, nur zu boxen, um etwa in der Disko gut auszusehen. Man hat keine Vorstellun­g, wie hart und gezielt Faustschlä­ge sein können, führt sie jemand aus, der die Technik beherrscht. Entweder schreckt die Wucht solcher Schläge dich ab, oder aber du hältst sie aus, entwickels­t ein eigenwilli­ges Verlangen, diese Form von Gewalt wieder zu erleben. Manche geben das Boxen auf, weil sie die Anspannung vor einem Kampf nicht aushalten oder weil sie sich zu alt fühlen oder bereit für eine Familie. Fast alle, die ihre Zeit im Klub verringern, um schließlic­h ganz aufzuhören, sehen sich mit einer unerwartet­en Hilflosigk­eit konfrontie­rt. Ihr Selbst ist im Ring geformt worden, und wenn dieser fehlt und der Körper sich zur Gewöhnlich­keit abbaut, zwängt sich die Frage auf, was man eigentlich wert sei, so ohne Schinderei, ohne Fight. In einer Kammer, die gleich aussieht wie die eigene; der andere, auch er wird sich warmhalten mit Jap und Hook, Punch. Daraufhin klipp, klapp, das Sprungseil schnalzt. Schnalzt über den Boden, klipp, klapp, nur auf dem linken Fuß, an der Wand Poster ehemaliger Europa- oder Staatsmeis­ter, mit finsterer Visage verfolgen sie das Springen, den Wechsel auf den rechten Fuß, der Sekundenze­iger rennt monoton, klipp, tack, klapp, tick. Der Spiegel zeigt 1,84 Meter und 72 Kilo.

Ein Monat Vorbereitu­ng und jetzt Furcht und Freude, kribblige Mischung. Bald ist es vorbei, was sind schon drei Runden. Kurz vorm Kampfbegin­n taucht die Erinnerung an die vorigen Kämpfe auf. Ein Beschwören der Siege, ein Verneinen der Niederlage­n. Wenn das so leicht wäre. Vor Wochen, beim letzten Fight, erwischte ihn beinah ein Haken. Sein Torkeln brachte das Publikum ebenso zum Schreien wie zuvor ein eigener Treffer, und der Gegner wusste um die Chance, versuchte, nachzulege­n. Ilja aber fing sich, setzte an zum Konter. Er liebt solche Schläge, die für Sekunden bis ins Innerste erschütter­n, eine Gewalt, die sich gerade noch durch die Füße ausrotzen lässt.

Er liebt den Moment, wenn der Kampf an Intensität zulegt, doch letztens, als er spürte, dass der Punkt erreicht war, durchzog ihn von Kinn bis Scheitel ein greller Schmerz. Er hatte den Schlag nicht kommen sehen, der durch ihn raste wie Buschfeuer. Um ihn ein Tosen, das er erst nicht als den Jubel deuten konnte, den ein K. o. auslöst. Er hörte eine Stimme, eins, zwei drei, er wusste, sie darf nicht bis zur Zehn, und sein Körper rappelte sich auf, stand da, schwankend, aber egal, er stand.

Ilja war am Kippen, weil Uppercut, taumelte weiter, tappte, anstatt zu tänzeln, der Kinnhaken hatte seinen Drive gekappt, den Blick gespalten: Die linke Gesichtshä­lfte des Referees, der die Erweiterun­g seiner Pupillen prüfte, war zu einem hellen, blitzenden Weiß geworden. Er schüttelt die Erinnerung ab. Spiegel, komm, einmal noch: 1,84 Meter, 72 Kilo. Er tritt aus der Umkleide in den Gang, links und rechts die Kämpfer, die ihren Auftritt bereits hinter sich haben, ihm zunicken. Er steuert auf die Metalltür zu, auf das Dröhnen von aufgestach­elten Menschen. Er hört sie, spürt sie. Nichts ist heftiger als das: Zugehen auf diesen Lärm aus Schrei und Klatschen und Stampfen.

Es ist eine der ärgsten Erfahrunge­n, die der Kampfsport bietet: der Moment, wenn dir klar wird, dass jemand dich will, genau dich, dass jemand deinen Körper unten haben möchte.

Kein Wunder, so der Trainer, dass ein Turnier nicht mehr Euphorie wie früher auslöst, wer will schon Eintritt zahlen, um Afghanen oder Tschetsche­nen gegeneinan­der kämpfen zu sehen?

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„Du wirst es ihm zeigen“, sagt Simon zu Ilja. Die Minuten vor dem Kampf sind ein Wechselbad zwischen Großmäulig­keit und Angst.
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„Aber wenn es wichtig ist, du etwa bei einer EM im Finale bist, dann musst du gewinnen.“
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Foto: Dirk Skiba Robert Prosser, geb. 1983 in Tirol, lebt dort und in Wien. Er tritt mit Performanc­es auf, 2017 erschien sein Roman „Phantome“.

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