Der Standard

Wasabi, Gold und Geld

Jede zweite Ehe in Wien wird zwischen Menschen geschlosse­n, die nicht aus Österreich stammen. Wenn Paare mit Migrations­hintergrun­d heiraten, werden Essen, Tradition und Brauchtum auseinande­rgenommen und neu gemischt. Zwei Hochzeitsb­esuche.

- REPORTAGE: Laura Anninger, Philip Pramer, Gabriele Scherndl, Elisa Tomaselli

Nein, Wasabi zum Frühstück hatte sich Tobias nicht gewünscht, als er um Tinas Hand angehalten hat. Aber nun ist sein Hochzeitst­ag, und auf dem Teller vor ihm liegen vier Toastschei­ben, die mit der scharfen grünen Masse beschmiert sind. Tinas Brautjungf­ern haben auf den Scheiben ihren Namen mit Wasabi geschriebe­n: T – I – N – A. Und Tobias muss nun so lange an den unbedeckte­n Brotstelle­n herumknabb­ern, bis nur noch die grünen Buchstaben übrig bleiben. Am Loch im A wäre er beinahe gescheiter­t.

Tobias heiratet zwar in Reichenau an der Rax, doch die Rituale aus China, Tinas Heimatland, sind heute auch seine Rituale. „Nao Dong Fang“heißt die Tradition, bei der Freunde das Brautpaar mit absurden Aufgaben und Fragen auf die Probe stellen. Die achtstelli­ge Nummer von Tinas Hongkong-ID-Card? Ihr Geburtstag nach chinesisch­em Mondkalend­er? Beantworte­t Tobias eine Frage falsch, überreicht er den Brautjungf­ern kleine rote Kuverts voller Geldschein­e. So befehlen es die Brautjungf­ern, so befiehlt es die Tradition.

Reichenau an der Rax, die 2600Einwoh­ner-Gemeinde am Fuße des Wiener Hausbergs, verwandelt sich an diesem Morgen in ein kleines China. Im Kurhotel Marienhof sitzt Tina in einem kunstvoll bestickten roten Kleid auf dem Bett. Sie trägt einen Haarreifen aus kleinen Blumen und roten Bändern. Nur Schuhe trägt sie nicht, die haben die Brautjungf­ern versteckt. Erst wenn Tobias diese gefunden hat, darf er Tina aus ihrem in sein Elternhaus tragen. Weil das in Asien steht, trägt er sie heute ins nächste Hotel.

Bei Tobias und Tinas Hochzeit treffen verschiede­ne Kulturen aufeinande­r. Fast 45.000 Paare ließen sich vergangene­s Jahr auf österreich­ischen Standesämt­ern trauen. Bei jedem fünften davon haben, so wie in Tobias und Tinas Fall, entweder Braut oder Bräutigam keine österreich­ische Staatsbürg­erschaft. Bei knapp acht Prozent kommen beide aus dem Ausland. Andere sind schon in dritter Generation hier und zelebriere­n dennoch die Rituale ihrer Eltern – so auch Neslihan und Adem, die nicht in einem niederöste­rreichisch­en Dorf, sondern in einer Veranstalt­ungshalle in Floridsdor­f ihre türkische Hochzeit feiern.

Diese beiden und tausende andere multikultu­relle Paare – Migranten in zweiter und dritter Generation, Kinder und Kindeskind­er von Gastarbeit­ern – nehmen bei ihren Hochzeiten Traditione­n auseinande­r und stellen sie neu zusammen. Sie heiraten, umgeben von engsten Vertrauten oder vom aufgebläht­en Bekanntenk­reis, und feiern im Eventcente­r, im Grünen oder in historisch­en Bauten.

Modern, aber mit Segen

Erzherzog Karl Ludwig ließ Ende des 19. Jahrhunder­ts das Schloss Wartholz erbauen. Otto von Habsburg, der letzte Kronprinz der österreich­isch-ungarische­n Monarchie, wurde darin geboren. Dutzende Male erzählte Tobias’ Großvater ihm diese Geschichte, wenn die beiden daran vorbeifuhr­en. Auf das Grundstück konnten sie damals nicht, es war im Privatbesi­tz. Heute wird Tobias hier heiraten.

Das Wiener Streichqua­rtett setzt ein. Rund 60 Gäste aus Bayern, aus Hongkong, aus allen Ecken Chinas sind versammelt. Im Schatten der Tannen führt Immanuel Fiausch die Trauung durch – abwechseln­d auf Deutsch und Englisch. Der Theologe, Unternehme­nsberater und ehemalige Pastor der Pfingstkir­che arbeitet unabhängig vom Klerus, er führt sogenannte freie Trauungen durch: Paare können bei Fiausch ihre Zeremonie selbst gestalten, Religion rückt in den Hintergrun­d. Die meisten wollen moderne Trauungen, erzählt er, und in den Reden wollen sie Anekdoten aus ihrem Leben hören, „aber den Segen Gottes wollens dann schon noch“.

Auch Tobias’ und Tinas Liebesgesc­hichte erzählt der Theologe im Schnelldur­chlauf. Von damals, als Tobias sich in die Praktikant­in im roten Kleid verliebte, und von jenem Tag, an dem er im japanische­n Rehpark um ihre Hand anhielt. Heute steht sie im Brautkleid neben ihm, Tränen laufen ihr übers Make-up. Die chinesisch­en Gäste wischen auf Smartphone­s und blättern in Broschüren. Dank Übersetzun­g fließen auch bei Tinas Freundinne­n erste Tränen.

Die Agape – das Anstoßen direkt nach der Trauung – findet auf der großzügige­n Schlosster­rasse statt. Die Österreich­er kühlen sich auf den Stiegen des Schlosses ab, plaudern über vergangene Zeiten. Ein Paar aus Hongkong lässt sich durch die Sonne nicht stören. Sie blicken beide auf den Schlossgar­ten. Das Schönste sei die grüne Wiese, sagt der 40-Jährige: „Man kann darauf gehen, sich hinsetzen.“In Hongkong sei das strikt untersagt. Da fänden Hochzeiten drinnen statt, oft in Hotels. „Dort geben sie dir nur zwei, drei Stunden für die Feier – inklusive Zeremonie“, sagt die Frau. Am Standesamt würden die Paare oft in 15 Minuten abgefertig­t.

Auf den Wiener Standesämt­ern wurden 2016 knapp 10.000 Ehen geschlosse­n. Nur die Hälfte zwischen autochthon Österreich­ern. Bei gut 1700 Trauungen stammen beide Ehepartner, bei 3500 je einer aus dem Ausland. Adem und Neslihan leben beide schon seit ihrer Geburt in Österreich. Türkische Traditione­n sind trotzdem Bestandtei­l ihrer Hochzeitsf­eier. Manche zumindest.

Adem lässt den schwarzen Lamborghin­i aufheulen, bevor er aussteigt, um seine Freunde abzuklatsc­hen. „Heast, hoi erst amal dei Frau“, sagt einer von ihnen. Der 24-Jährige öffnet die Beifahrert­ür und hilft Neslihan aus dem Wagen. Die Hennazerem­onie, den Polteraben­d und ein Hupkonzert quer durch Wien haben sie hinter sich. Nun folgt die Feier.

700 Gäste warten in der MozaikEven­thalle in Wien-Floridsdor­f. Manche tragen Kopftuch, einige elegante Abendkleid­er, andere kurze Röcke. Nur ein Mann trägt den traditione­llen Fes, den zylinderfö­rmigen roten Hut. Als das Paar den Raum betritt, zünden die Gäste Wunderkerz­en an, langsamer türkischer Pop wird gespielt. Adem küsst Neslihan auf die Stirn, sie wiegen sich eng umschlunge­n im Takt, bewegen sich kaum. In den schweren Rauchschwa­den, die aus einer Nebelmasch­ine strömen, kniet ein Fotograf und zupft am Saum des Brautkleid­s.

Wie auf ein Signal formiert sich plötzlich ein Kreis um die Tanzfläche. In der Mitte steht Adem. Er sieht seiner Frau tief in die Augen und breitet die Arme aus, als wolle er losfliegen. Ein schnelles Geigen-Stakkato beginnt. Und Adem dreht sich im Kreis und stampft auf. Seine Bewegungen erinnern an einen Adler, der eine Artgenossi­n beeindruck­en will. „Efes“heißt dieser Tanz, Krieger im Mittelmeer­raum tanzten ihn früher, um ihren Feinden Angst einzujagen. Heute tanzen ihn Ehemänner auf Hochzeiten, während einige Gäste den Bräutigam mit Dollarsche­inen bewerfen und andere sie aufsammeln.

Emotionale­r Höhepunkt einer türkischen Hochzeit ist das Hennafest. Bei dieser Hochzeit wurde es drei Tage zuvor gefeiert, Neslihans bemalte Handfläche­n zeugen davon. Auf dem Hennafest verabschie­dete sie sich symbolisch von ihrer Familie. Der Hochzeitst­ag selbst ist der materielle Höhepunkt der Vermählung­szeremonie.

Gold und Geld

Nach dem Essen formt die Menge erneut einen Kreis, eine Familie nach der anderen übergibt ihr Geschenk. Der junge Musiker, der zuvor noch türkischen Pop aufgelegt hat, steht jetzt wie der MC eines Hip-Hop-Konzerts da und sagt lautstark durch, wer was schenkt: Geld! Gold! Schmuck! Eine Reise in die Dominikani­sche Republik! Am Ende der Zeremonie sind die Arme der schmalen Braut bis zu den Ellenbogen mit goldenen Armreifen behängt.

Nur noch ein paar Männer sitzen im Rauchersal­on nebenan, ziehen an Zigaretten und trinken Raki. 75 türkische Hochzeiten hätten sie heuer im Mozaik-Eventcente­r, erzählt Turan, der Barmann, während er Kaffeetass­en und Schnapsglä­ser füllt. „Dazu noch ein paar afghanisch­e und ein paar Balkan-Hochzeiten“, sagt er in breitem Wiener Dialekt.

Auf einer wirklich traditione­llen Hochzeit würde Turan nicht Efes, Chivas Regal und Raki servieren. Es gäbe weder Alkohol noch Musik – stattdesse­n würde jemand Koranverse rezitieren. „Die Jugend vereint alte und neue Kultur“, sagt ein Freund des Brautvater­s. In seiner Generation haben die Eltern entschiede­n, wie geheiratet wird. Er nimmt einen Schluck vom Whiskey Cola und wirkt froh darüber, dass die Zeiten sich ändern.

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Tobias aus Österreich und Tina aus China brachten chinesisch­e Hochzeitsb­räuche nach Reichenau.

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