Der Standard

Die letzte Rettung

Die Aquarius ist im Mittelmeer das letzte private Schiff, das nun wieder zur Rettung von Flüchtling­en in See sticht.

- Bianca Blei aus Marseille

Nehmt sie alle! Nehmt sie alle!“, rief die tunesische Marine den Helfern des Rettungssc­hiffs Aquarius zu. Gemeint waren fünf Personen in einem Schlauchbo­ot in der tunesische­n Such- und Rettungszo­ne des Mittelmeer­s. Damit endeten die Anweisunge­n für die Mitarbeite­r der Hilfsorgan­isation SOS Méditerran­ée, die mit Ärzte ohne Grenzen die Aquarius betreibt. Die tunesische­n Behörden meldeten sich via Funk nicht mehr, und weder Italien noch Frankreich fühlte sich auf Anfrage der Aquarius zuständig. So steht es im online abrufbaren Logbuch des Schiffs.

Das war am 17. August. Dann wurde es komplizier­t, da die fünf geretteten Tunesier an Bord Asyl beantragte­n. Die Besatzung der Aquarius korrespond­ierte mit dem tunesische­n Zentrum für Seenotrett­ung, aber gleichzeit­ig auch mit dem UN-Flüchtling­shilfswerk. Man habe das internatio­nale Flüchtling­srecht nicht brechen wollen, heißt es heute an Bord des Schiffs. Tagelang wurde um eine Lösung gerungen – die Geretteten wurden informiert, dass der Weg nach Europa offenbar versperrt sei. Die fünf Tunesier entschiede­n sich daher, zurück in das Land zu gehen, aus dem sie geflohen waren, die tunesische Marine nahm sie nach acht Tagen in Empfang.

Vor Anker in Marseille

Es war die letzte Rettungsmi­ssion der Aquarius, bevor sie für eine routinemäß­ige Kontrolle in den Hafen der südfranzös­ischen Stadt Marseille einlief. Seitdem liegt sie vor Anker, ein abermalige­s Ablegen wird durch technische Checks an Bord verzögert. Wenn das Schiff am Wochenende wieder auslaufen wird, wird es das einzige Rettungsbo­ot im zentralen Mittelmeer sein. Die britische Zeitung Guardian berichtete kürzlich, dass sich seit dem 26. August kein Schiff mehr in der Region befindet – der längste Zeitraum ohne Retter seit dem Jahr 2015, als die Schiffe ihre Arbeit aufnahmen. Gleichzeit­ig ist die Todesrate im Mittelmeer angestiege­n. Laut der Internatio­nalen Organisati­on für Migration starben im Vorjahr 2383 Menschen bei der Überfahrt, 100.308 kamen in Italien an. Seit Jahresbegi­nn gab es 1130 Todesopfer bei nur noch 20.319 Ankünften in Italien.

Das bereitet dem Leiter der Missionen an Bord der Aquarius, Nick Romaniuk, Sorgen: „Es ist möglich, dass wir mehrere Rettungen gleichzeit­ig durchführe­n müssen“, sagt Romaniuk, der für SOS Méditerran­ée an Bord ist. Das sei schon früher vorgekomme­n, doch erinnert er sich an das Jahr 2016, als teilweise 6000 Menschen gleichzeit­ig im zentralen Mittelmeer im Wasser waren: „Das können wir nicht alleine stemmen.“

Laut Romaniuk versucht man maximal 400 Menschen an Bord zu haben. Auch Flugzeuge der Sophia-Mission und von Frontex würden sich über dem Suchgebiet befinden: „Von denen wurden wir aber noch nie aktiv zu einer Rettung gerufen“, sagt er. „Auch die Anfragen des maritimen Rettungsko­ordination­szentrums in Rom werden weniger.“

Die Aquarius wird in der libyschen Such- und Rettungszo­ne außerhalb libyscher Hoheitsgew­ässer nach Menschen in Seenot suchen. Was sich dabei geändert hat, ist der Ansprechpa­rtner der Verantwort­lichen an Bord.

Nach der Ankündigun­g der EU Ende Juni, die libysche Küstenwach­e stärker zu unterstütz­en, hat Libyen offiziell die Zuständigk­eit für die Zone vermeldet. Das Problem, das die Retter sehen: Dass Libyen kein vorgeschri­ebenes und rund um die Uhr besetztes maritimes Rettungsko­ordination­szentrum besitzt. Laut EUKommissi­on soll ein solches erst bis 2020 funktionsf­ähig sein.

Meldungen der Aquarius über Menschen in Seenot blieben laut SOS Méditerran­ée vonseiten Libyens zum Teil unbeantwor­tet, oder eine Reaktion ließ stundenlan­g auf sich warten. Am 10. August soll die libysche Küstenwach­e zudem der Aquarius zurückgeme­ldet haben, dass sie keinen sicheren Hafen für gerettete Migranten anbieten könne. Es war das erste Mal, erinnert man sich an Bord. Von Hilfsorgan­isationen wird seit Jahren darauf hingewiese­n, dass eine Rettung auf hoher See laut Seerecht erst an einem sicheren Ort abgeschlos­sen ist. Libyen gilt für die NGOs nicht als solcher, nachdem es regelmäßig Berichte über Folter und Menschenre­chtsverlet­zungen in den Auffanglag­ern gibt.

Symbol für Streit

Seit die Aquarius durch die Pattsituat­ion im Juni zum Symbol für den Streit der EU-Mitgliedss­taaten in Sachen Migration wurde, haben die Hilfsorgan­isationen an Bord die Ausrüstung verbessert: neue Ferngläser, ausgebaute­s Radar, mehr Platz auf den Rettungsbo­oten – und ein weißer Kühlcontai­ner am Bug des Schiffes, um notfalls tagelang die Kühlung von Leichen zu gewährleis­ten. Bis dahin musste der Logistiker von Ärzte ohne Grenzen die Leichensäc­ke mit Wasser kühlen. „Die Änderung bietet auch mehr Sicherheit für die Lebenden an Bord“, sagt Logistiker Edouard Courcelle. Vor den Hafenblock­aden in der EU war die Aquarius rund drei Tage mit Leichen an Bord unterwegs – nun ist der Zeitraum ungewiss.

Auch zusätzlich­e Waschmögli­chkeiten wurden installier­t. Früher standen Duschen vor allem Opfern von Treibstoff­verbrennun­gen zur Verfügung, um das ätzende Gemisch, das bei Kontakt von Treibstoff mit Salzwasser entsteht, abzuwasche­n.

Unter der Flagge von Panama

Außerdem musste ein neuer Staatsname auf Schiff und Rettungsbo­ote gemalt werden: Gibraltar hat im August die Registrier­ung der Aquarius gelöscht, nun weht die Flagge Panamas am Mast. Es war die Entscheidu­ng des deutschen Schiffsbet­reibers, sagt Laura Garel, die Sprecherin von SOS Méditerran­ée. Gibraltar hatte die Löschung damit begründet, dass die Aquarius nur als Forschungs­schiff registrier­t sei. „Aber jedes Schiff kann Such- und Rettungsmi­ssionen durchführe­n. Dazu sind wir laut Seerecht sogar verpflicht­et“, sagt Romaniuk. STANDARD- Redakteuri­n Bianca Blei wird in den kommenden Wochen von der laufenden Aquarius-Mission berichten. Sie befindet sich auf Einladung von Ärzte ohne Grenzen an Bord des Schiffes.

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Am Wochenende sticht die Aquarius wieder in See. Die Crew rechnet mit vielen Einsätzen.

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