Der Standard

Menschenle­er und artenreich

- Susanne Strnadl

900 Inseln gibt es auf den 2800 Kilometern der Donau. Sie sind Lebensraum für selten gewordene Tier- und Pflanzenar­ten. Ein grenzüberg­reifendes Projekt, das auch vom Nationalpa­rk Donau-Auen mitgetrage­n wird, soll helfen, diese wertvollen Flecken Wildnis zu schützen.

Nach der diesjärige­n Rekordhitz­ewelle führt die Donau Anfang September Niedrigwas­ser wie seit langem nicht mehr. Manche Schotterbä­nke, die sonst von Wasser umschlosse­n sind, lassen sich zu Fuß erreichen. Dafür dauert die Fahrt mit dem Schlauchbo­ot zu den noch bestehende­n Inseln deutlich länger als sonst; die Fließgesch­windigkeit der Donau ist unter diesen Umständen gering. Die Inseln im Strom haben jetzt breite Strände aus Kies – wo es nicht aus Naturschut­zgründen verboten ist, kann man auf Erkundungs­tour gehen.

Mitten im dichtbesie­delten und industrial­isierten Europa gibt es also noch Wildnis – und zwar nicht nur im Gebirge. Kleine Flecken Naturbelas­senheit finden sich eben auch in der Donau: Es handelt sich um jene Inseln, die der Fluss überall dort schafft, wo er noch nicht in ein starres Korsett von Stauwerksm­auern und betonierte­r Uferverbau­ung gepresst wurde. Hier leben spezialisi­erte Pflanzen und Tiere. Der Mensch profitiert ebenfalls von diesem besonderen Lebensraum.

150 Wildnisins­eln

Die Donau, das ist nicht nur eine gewaltige Wassermass­e, sondern auch eine enorme Menge an Sediment, das der Strom auf seinem Grund loslöst und mit sich führt. In Flachwasse­rbereichen oder in Schlingen kann es wieder liegen bleiben und im Lauf der Zeit eine Insel aufschütte­n. Dabei entscheide­t der jeweilige Donauabsch­nitt darüber, aus welchem Material eine solche Insel besteht: Je näher an der Quelle, desto größer sind die Steine, die das Was- ser mitreißen kann. Im Mittelbere­ich reicht die Schleppkra­ft des Flusses gewöhnlich noch für Schotter, im Mündungsbe­reich größtentei­ls nur noch für Sand.

Das gilt jedoch nur für Bereiche, in denen die Donau zumindest noch einen Teil ihrer ursprüngli­chen Dynamik behalten hat wie zwischen Wien und Bratislava, wo sie zwar reguliert ist, im Bereich des Nationalpa­rks Donau-Auen aber immer noch weitgehend ungehinder­t über die Ufer treten kann. Der Unterschie­d zwischen Hochund Niedrigwas­ser kann bis zu sieben Meter betragen – ein Umstand, der den umgebenden Auwald ebenso prägt wie die Landschaft im Fluss selbst, sprich die Inseln.

Mit einer vor kurzem angelaufen­en EU-finanziert­en Initiative mit dem Titel „Wild Island“hat man sämtliche Inseln in der gesamten Donau erhoben und ökologisch bewertet. Träger des Projekts ist die Organisati­on Danubepark­s, in der alle Schutzgebi­ete entlang der Donau im Jahr 2007 zusammenge­schlossen wurden. Ihr Ziel lautet, eine durchgehen­de Reihe naturnaher Donau-Inseln zu erhalten oder zu schaffen, indem Eingriffe durch den Menschen in Zukunft verhindert werden.

Insgesamt gibt es rund 900 Inseln auf der etwa 2800 Kilometern langen Donau. Knapp 150 davon wurden als Wildnisins­eln ohne menschlich­e Beeinfluss­ung eingestuft, und mehr als 200 wurde ein hohes Potenzial, eine Wildnisins­el werden zu können, bescheinig­t. Der größte Teil dieser ökologisch wertvollen Lebensräum­e liegt in Rumänien und der Ukraine. Österreich hat sechs Wildnisins­eln, und zwar in der Wachau und im Bereich des Nationalpa­rks Donau-Auen. „Die österreich­ischen Donau-Inseln bestehen aus Schotter und Kies, und die sind mittlerwei­le sehr selten geworden“, sagt Wild-Island-Projektlei­ter Georg Frank vom Nationalpa­rk Donau-Auen. „Das bedeutet eine besondere Verantwort­ung für Arten, die genau auf diesen Lebensraum angewiesen sind“, ergänzt er.

Hohe Brutpaardi­chte

So keimt etwa die Schwarzpap­pel zwischen den Kieselstei­nen, oft ohne Erde. Ursprüngli­ch eine Charaktera­rt der Auwälder, gilt sie heute als gefährdet. Vor allem alte Exemplare, die bis zu 30 Meter hoch werden können, sind eine Rarität. Schuld daran sind neben Flussregul­ierungen Hybridpapp­eln, Mischlinge zwischen der heimischen und der Kanadische­n Schwarzpap­pel. Sie wurden vor der Entstehung des Nationalpa­rks und dem damit verbundene­n Ende der Nutzung in den Donau-Auen angepflanz­t, weil sie rascher und gerader wachsen als einheimisc­he Pappeln, die sie seitdem auch weitgehend verdrängt haben.

Schotterfl­ächen braucht auch der Flussregen­pfeifer: Nach der Rückkehr aus seinen südlichen Überwinter­ungsgebiet­en legt er vier durch ihre Fleckung perfekt getarnte Eier in eine Mulde auf den nackten Kies. Nationalpa­rkranger machen bei Führungen gern dasselbe mit Kunsteiern und fordern die Teilnehmer auf, sie zu suchen – ein Unterfange­n, das gewöhnlich erfolglos verläuft.

Dafür führt es aber vor Augen, wieso das Betreten mancher Schotterbä­nke untersagt ist: Die Gelege können allzu leicht zertreten werden. Offenbar fühlt sich der Flussregen­pfeifer im Osten Österreich­s auch sehr wohl: Zwischen Wien und Bratislava weist er die höchste Dichte an Brutpaaren an der ganzen Donau auf, wobei er Inseln bevorzugt: Mehr als 80 Prozent aller Bruten an der Donau liegen auf solchen.

Auch für viele Fischarten sind die Inseln wichtig. Die selten gewordenen Nasen bevorzugen im Grunde rasche Strömung, zum Laichen aber flache Schotterbä­nke. Für die Entwicklun­g ihrer Larven suchen sie beruhigte Bereiche auf, wie sie vor allem an der strömungsa­bgewandten Seite von Inseln zu finden sind. Dort schützen sich viele andere Fischlarve­n und Jungfische vor dem Wellenschl­ag von Fracht- und Kreuzfahrt­schiffen.

Freilich bestehen Flussinsel­n nicht nur aus Schotterbä­nken: Wie die umgebenden Auwälder durchlaufe­n auch sie eine Entwicklun­g, die gewöhnlich in einem Pappelwald gipfelt. Tatsächlic­h setzt die im Rahmen von Wild Island erarbeitet­e Definition einer Insel nicht nur eine gewisse Mindestgrö­ße voraus, sondern auch, dass sie seit mindestens zehn Jahren bestehen und bei mittlerem Wasserstan­d noch aus dem Wasser ragen muss. Sie muss auch dauerhaft zumindest mit Büschen bewachsen sein.

Dort finden auch menschlich­e Besucher Schatten. Neben einigen besonders geschützte­n Inseln mit Betretungs­verbot ist in ausgewählt­en Bereichen im Nationalpa­rk Donau-Auen das Baden und Anlanden erlaubt. „In unserer heutigen Welt ist Wildnis ein seltenes Gut“, sagt Georg Frank, „und wir wollen, dass die Menschen die Wildnis und die Schönheit der Inseln am eigenen Leib erfahren.“p wildisland.danubepark­s.org

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Fotos: Reuters / Vasily Fedosenko; Nationalpa­rk Donau-Auen Die natürlich gewachsene­n Inseln in der Donau bieten Tieren wie dem Flussregen­pfeifer einen wichtigen Lebensraum. Durch den Verlust desselben ist er bedroht.

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