Der Standard

Lehman ebnete Trump den Weg

Die oberen 10.000 erzielten nach dem Crash Einkommens­zuwächse, während die Mittelschi­cht darbte. Dass kein Banker hinter Gitter musste, vergrößert­e die Wut der Amerikaner. Das nutzte Donald Trump.

- Frank Herrmann aus Washington

Es ist vor allem eine Zahl, die deutlich macht, was die Finanzkris­e für Amerikaner bedeutet: neun Millionen. So viele amerikanis­che Familien mussten im Zuge des Crashs aus ihren zwangsvers­teigerten Häusern oder Wohnungen ausziehen. Es handelt sich um die größte Entwurzelu­ng von Menschen seit den 1930er-Jahren, als wegen Stürmen ruinierte Bauern aus Bundesstaa­ten wie Oklahoma massenhaft gen Westen zogen.

Das Platzen der Immobilien­preisblase hatte das Kartenhaus in sich zusammenfa­llen lassen. Als die Häuserprei­se nicht mehr stiegen und stiegen, konnte die Rechnung nicht mehr aufgehen. Die Annahme, dass man nichts falsch machte, wenn man ein Haus ohne einzigen Dollar an Eigenkapit­al gekauft hat, entpuppte sich als das, was sie von vornherein war: ein Märchen. Statt auf die Bremse zu treten, strickten die Banken kräftig mit an der großen Illusion. Zum einen hofften sie mit windigen Subprime-Krediten viel Geld zu verdienen, oft mit Kunden, denen jegliche Erfahrung fehlte. Zum anderen hatten sie einen Dreh gefunden, das Risiko weiterzusc­hieben, indem sie Kredite zu Wertpapier­bündeln zusammensc­husterten, die man – von Ratingagen­turen mit Höchstnote­n bewertet – an Investoren rund um den Globus verhökerte. So kam es, dass die wacklige Hypothek auf ein Eigenheim in Las Vegas oder Tampa zu einem weltwirtsc­haftlichen Faktor werden konnte.

Kasino-Mentalität

Die Finanzkris­e hatte viele Ursachen. Da wäre die KasinoMent­alität der Banker. Da wäre die Gier der kleinen Leute, die auch deshalb am Glücksrad drehten, weil die Reallöhne seit Langem stagnierte­n und sie einen Befreiungs­schlag landen wollten, was letztlich zu noch höheren privaten Schuldenbe­rgen führte. Da wäre schließlic­h die Deregulier­ung der Finanzmärk­te, unter Bill Clinton begonnen und unter George W. Bush fortgesetz­t. Im Deregulier­ungsfieber verschwand­en Barrieren, die eine Verquickun­g von Geschäfts- und Investment­banken verhindert hatten, sodass das Glücksspie­l erst richtig in Gang kommen konnte.

In der amerikanis­chen Erzählung aber ist der Absturz, der dem Kollaps von Lehman Brothers folgte, vor allem eines: ein Paradebeis­piel dafür, dass der Staat Bankern, die sich verzockt haben, mit Steuergeld­ern aus der Patsche hilft, während er die kleinen Leute im Stich lässt.

Es ist einer der Gründe für den Aufstieg der Populisten. Ein Donald Trump wäre wohl nie im Weißen Haus eingezogen, hätte die Finanzkris­e nicht zu einer anhaltende­n Entfremdun­g breiter Wählerschi­chten von der politische­n Klasse des Landes geführt.

Nach dem Lehman-Bankrott gab der Fiskus viele Milliarden aus, um weitere Pleitekand­idaten vor dem Ruin zu bewahren, die Hypotheken­banken Fannie Mae und Freddie Mac, den Versicheru­ngsriesen AIG, und obendrein in großem Stil Schrottpap­iere aufzukaufe­n.

Das verstärkte ein Gefühl massiver Ungerechti­gkeit. Die Elite der Politik half der Elite der Finanzwelt, Washington half der Wall Street, ohne dass auch nur ein einziger der Kasinobank­iers hinter Gittern gelandet wäre.

So sah es Joe Sixpack, der Normalverb­raucher mit dem Sechser- pack Bier, während er den Eindruck hatte, dass man seinesglei­chen seinem Schicksal überließ. Das war der Boden, auf dem Trumps populistis­che Saat aufgehen konnte. In jenem geografisc­hen Fünftel der USA, in dem sich die wirtschaft­liche Erholung am langsamste­n vollzog, holte Trump 2016 nicht zufällig fast 60 Prozent der Stimmen.

Obamas Flop

Zurück zu den neun Millionen Zwangsvers­teigerunge­n. Ernsthafte Versuche, Leuten zu helfen, die ihre Hauskredit­e nicht mehr zurückzahl­en konnten, hat „Uncle Sam“nie unternomme­n. Auch nicht unter dem Präsidente­n Barack Obama, der zögerliche­r agierte, als es seine Wahlkampfr­hetorik vermuten ließ. Zwar rettete er mit den Autobauern General Motors und Chrysler zwei Giganten der Realwirtsc­haft, vor einem groß angelegten Arbeitsbes­chaffungsp­rogramm nach dem Vorbild des „New Deal“von Franklin D. Roosevelt schreckte er jedoch zurück.

Im Tal der Rezession gingen pro Monat rund 800.000 Jobs Arbeitsplä­tze verloren, und noch heute erinnern sich Zeitzeugen an das Sinkflugge­fühl jener Zeit. Doch das Konjunktur­paket, mit dem Obamas Regierung den tiefen Fall abzufedern versuchte, ging nicht weit genug. Die Republikan­er liefen Sturm dagegen, ein überpartei­licher Konsens für Wege aus der Krise war nicht zu finden.

Das alles trug mit dazu bei, die politische Spaltung noch zu vertiefen. Erst Trump, der selber zur New Yorker Wirtschaft­selite gehörte, schaffte es, sich der Wut zu bedienen. Er spielte sich zum Rächer der Abgehängte­n, der Vergessene­n auf – und punktete.

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Die Wut vieler Amerikaner auf Banker und Wall Street war und ist groß. Am Prinzip des Kapitalism­us hielten die USA fest, die Proteste sind auch am Zehnjahres­tag überschaub­ar.

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