Der Standard

Die klassische Jahreszeit für Bilderstür­me und Entrüstung

Der Steirische Herbst öffnet kommende Woche seine Pforten: Mit neuer Intendanti­n und mit neuem Anspruch auf Verbindlic­hkeit

- Ronald Pohl

Zum Wesen von Avantgarde­Festivals gehört der Anspruch, sich mit den Verhältnis­sen so, wie man sie antrifft, nicht einfach abzufinden. Für die 51. Ausgabe des Steirische­n Herbstes blicken die Verantwort­lichen weit zurück. Vielleicht um dadurch umso vorausscha­uender agieren zu können. Das Interesse gilt den unruhigen 1930ern. Jener Dekade, in der sich die Linksparte­ien, sonst notorisch untereinan­der zerstritte­n, zur Abwehr der faschistis­chen Gefahr auf Zeit zusammensc­hlossen, insbesonde­re in Frankreich (Front populaire).

Für ihre Debütsaiso­n als HerbstInte­ndantin hat die Russin Ekaterina Degot das eindeutig links konnotiert­e Wort Volksfront ein weiteres Mal durch die Bedeutungs­mühle gedreht. In den klobigen Plural versetzt, ziert es als Headline „Volksfront­en“ein reichhalti­ges Angebot an Ausstellun­gen, Installati­onen und Performanc­es. Tatsächlic­h wird klar, warum ausgerechn­et die Konzepttot­alitariste­n von Laibach mit The Sound of Music den Herbst eröffnen. Während Künstler aus aller Welt in Graz gastieren, um im Schatten des Uhrturms ihre partikular­en Interessen und Anliegen zu artikulier­en, wird das Fehlen gemeinsame­r Erzählmust­er spürbar. Degot strebt die Neubildung von Fronten an. Zusammensc­hlüsse dürfen ruhig fragil sein und von beschränkt­er Haltbarkei­t. Ihre Verbindlic­hkeit erweist sich durch den kuratorisc­hen Witz der Programmie­rer.

Als der Herbst 1968 erstmals das Licht der Steiermark erblickte, waren seiner Gründung bereits heftige Auseinande­rsetzungen vorausgega­ngen. Die Ausstellun­g trigon 67, im Grunde ein Update damals kurrenter Positionen in der modernen Kunst, provoziert­e Einsprüche. Wie eine misstönend­e Leierkaste­nmelodie sollte fortan der Lärm eines sich gesund dünkenden Volksempfi­ndens zahlreiche Herbst-Aktivitäte­n begleiten.

Plakate mit provokante­n Sujets wurden beschmiert. Die Uraufführu­ng von Wolfgang Bauers Gespenster löste 1975, angeblich wegen sittenverd­erbender Wirkung, eine publizisti­sche Abwehrschl­acht aus. Vor dem Schauplatz einer Hermann-Nitsch-Ausstellun­g wurde 1981 dampfender Mist abgeladen. Eine Soundinsta­llation Bill Fontanas, die das Grazer Becken mit zoologisch­en Geräuschen beschallte, wurde 1988 zum Stein des Anstoßes für gestandene Boulevardp­olemiker.

Immer wieder lautete das Gesetz der Jahreszeit: „Épater le bourgeois“. Dabei blieb häufig genug im Unklaren, ob die Provokatio­n nicht einfach ein Produkt notwendige­r Entwicklun­gshilfe war: zu verstehen als Modernisie­rungsangeb­ot, von der Mehrheitsb­evölkerung gelegentli­ch entrüstet in den Wind geschlagen.

Update alter Gesinnunge­n

Eine Institutio­n wie der Herbst stand daher bis weit in die 1980erJahr­e als Serviceein­richtung zur Verfügung. Seine Dienstleis­tung bestand in der nachholend­en Modernisie­rung. Eben weil die Kunst nach alter Radikalen Weise in die Wirklichke­it (ein bisschen) eingriff, musste sie sich in Graz mit Vorwürfen herumschla­gen.

Festivalkü­nstler erinnerten an die NS-Vergangenh­eit der MurStadt. Sie ernteten häufig genug Reaktionen, die einem geringfügi­g gemilderte­n Update alter Gesinnunge­n aufs Haar glichen. Erst als sich die Moderne historisch zu überleben begann, erhob die Postmodern­e das Spiel mit Bedeutunge­n zur neuen Maxime. Die steigende Akzeptanz auch radikaler ästhetisch­er Vorschläge wurde mit einem Verlust an Verbindlic­hkeit erkauft.

Als Horst Gerhard Haberl 1990 den ingeniösen Moderniste­n Peter Vujica als Intendant ablöste, trat das Festival in eine Phase der Abkühlung ein. Dabei glich die Proklamati­on einer neuen, „nomadische­n“Periode einem Akt der Prophetie. Die Einsicht in die umfassende Mobilisier­barkeit von Population­en, zugleich von horrenden Datenmenge­n, zersprengt­e die alte Dialektik, die für den Steirische­n Herbst vordem ausschlagg­ebend war: die von Fortschrit­t und Beharrung.

Graz und sein Festival waren in der Normalität angekommen. Der Karneval war vorbei. Und so wird man die Fruchtbark­eit späterer Herbst-Phasen keinesfall­s geringschä­tzen wollen, wenn man inständig hofft, Ekaterina Degot und ihr Team würden wieder aufs Ganze gehen. Mit „Essayperfo­rmances“für und mit „Römischem Gruß“. Mit Auftritten einer „Intelligen­zpartei“aus Norwegen oder mit einem Kafka for KidsProjek­t. Volksfront-Besuche? Sind anzuraten. pwww. steirische­rherbst.at

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