Der Standard

Auf den Spuren eines Projektils über Grenzen gehen

„Über Grenzen, Schleichwe­ge und Gemeingut“: Die Wienwoche lädt ein, sich über unser Zusammenle­ben Gedanken zu machen

- Roman Gerold

Die Grenze ist das Thema der Zeit: Braucht es sie? Und wenn ja, wie stark muss sie befestigt sein? Verlaufen soziale Grenzen nicht oftmals woanders als territoria­le? Nicht, dass die Kunst beim Nachdenken über derlei in jüngerer Zeit nicht sowieso heißliefe. Jedenfalls stellt in den kommenden Tagen auch die Wienwoche ein ordentlich­es Schippchen einschlägi­ger Projekte in den (öffentlich­en) Raum respektive zur Debatte. „Über Grenzen, Schleichwe­ge und Gemeingut“lautet dieses Jahr das Motto des Festivals.

Manche Beiträge setzen vor der Haustür an, zum Beispiel Tomash Schoiswohl­s Ausstellun­g Wiener Linien Wall. Der Künstler thematisie­rt den ab Anfang des 18. Jahrhun- derts gegen Angriffe der Türken errichtete­n „Linienwall“– und dessen Nachleben als Verkehrsba­uwerk. Weiter in die Ferne führt die neu aufgestell­te Schausamml­ung des Volkskunde­museums, Die Küsten Österreich­s. Neben Möbeln aus hiesigen Bauernhäus­ern sind dort nun auch Reisetasch­en zu sehen, wie sie Flüchtling­e bei der Mittelmeer­überfahrt zurücklass­en mussten.

Um die Grenzen zwischen privatem und öffentlich­em Raum dreht sich das Projekt Anonyme Ältere Aktionisti­nnen, kurz AAA!. Unter der Leitung von Künstlerin Amina Handke treffen sich Frauen über vierzig, um sich Kunstaktio­nen zur Zurückerob­erung ihres Handlungss­pielraums auszudenke­n. Sie sollen danach als Anleitungs­videos fürs Web aufbereite­t werden.

Insgesamt zwölf Projekte wurden von den Kuratorinn­en der Wienwoche ausgewählt. Neben Filmen und einem ComedyProj­ekt zählt zu den spannenden Projekten die Ausstellun­g krieg kuratieren im Meidlinger Offspace The Dessous Gallery. Die von der Künstlerin und Soziologin Ezgi Erol kuratierte Schau fragt nach der Beziehung von Kunst und Krieg. Nicht bloß um Aufarbeitu­ng und Erinnerung geht es dabei, sondern auch um wirtschaft­liche Verflechtu­ngen: Wie sehr lebt die Kunst vom Krieg? An welchen Stellen fördert die Waffenwirt­schaft den Kunstbetri­eb?

Ein Herzstück der Schau ist das sehenswert­e Video einer Lecture-Performanc­e von Hito Steyerl. Die deutsche Künstlerin recherchie­rte die Herkunftsg­eschichte einer Patronenhü­lse, die sie an der Stätte eines Massakers zwischen Türken und Kurden fand. Bei dem Kampf war eine Freundin Steyerls, eine Kämpferin der kurdischen Arbeiterpa­rtei PKK, getötet worden.

Die Recherche führte Steyrl zu Firmen wie Siemens oder General Dynamics, aber auch in von der Waffenindu­strie gesponsert­e Museen. In einer raffiniert­en Mischung aus Dokumentar­ischem und Surrealem thematisie­rt Steyerl die digitalen Überwachun­gstechnolo­gien ebenso wie die Architektu­r der Firmengebä­ude.

Brisanz wohnt der Arbeit insofern inne, als darin auch die Verflechtu­ng zwischen Waffenhers­tellern und der türkischen KoçHolding angesproch­en wird: Das Unternehme­n ist ein Hauptspons­or der IstanbulBi­ennale, bei der Steyerls Vortrag 2013 präsentier­t wurde. p www.wienwoche.org

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