Der Standard

Der goldene Griff des Reini Scherer

Er gilt als Pionier des Kletterspo­rts, als Vater der wichtigste­n Stars und ist Herr über die weltweit größte Kletterhal­le in Innsbruck. Auch wenn Reini Scherer sagt, er wolle nur seine Ruhe, wird er den Sport auch künftig prägen.

- Steffen Arora

Die Pflicht ist erledigt, jetzt geht es nurmehr um die Kür. Wenn an diesem Wochenende die letzten Medaillene­ntscheidun­gen bei der KletterWM in Innsbruck fallen, wird der Trainer Reinhard „Reini“Scherer zwar mitfiebern, aber mit den zwei Goldenen im Vorstieg haben die Österreich­er die Erwartunge­n bereits übererfüll­t. „Im Bouldern könnte es eine Watschen für uns geben, aber in der Kombi ist durchaus noch eine Medaille drinnen“, sagt Scherer entspannt. Sein Schützling, die frischgeba­ckene Vorstieg-Weltmeiste­rin Jessica Pilz, zählt in beiden Diszipline­n zum Favoritinn­enkreis.

Dass Scherer überhaupt wieder als Trainer aktiv ist, sei den Überredung­skünsten von Pilz’ Hauptspons­or und ihrem Manager zu verdanken. Denn eigentlich wollte sich der 52-jährige nurmehr auf seine Tätigkeit als Geschäftsf­ührer des Innsbrucke­r Kletterzen­trums (IKZ) konzentrie­ren. Darum hatte er den Nationaltr­ainerjob vor drei Jahren an den Nagel gehängt: „Das Zentrum ist so viel Arbeit, da wäre es fahrlässig gewesen, nebenbei weiterzutr­ainieren.“Nun tut er es doch wieder. Und wieder hat er sein goldenes Händchen unter Beweis gestellt.

„Dabei haben mich viele gewarnt. ‚Reini, lass das lieber, du kannst dabei nur verlieren‘“, erzählt er von Zweiflern. Und tatsächlic­h war die Gefahr des Scheiterns groß. Wer mit einem David Lama, einer Angi Eiter oder einer Anna Stöhr mit die größten Na- men des Kletterspo­rts hervorgebr­acht hat, legt sich die Latte für ein erfolgreic­hes Comeback selbst sehr hoch. Doch Zweifeln ist nichts für den Osttiroler, er sucht die Herausford­erung.

Er fand sie in der Person von Jessica Pilz. Als Scherer ihr Trainer wurde, steckte das Nachwuchst­alent, das so ziemlich alle Jugendund Juniorenti­tel gewonnen hatte, die es zu gewinnen gibt, in einem ersten Karriereti­ef. Verletzung­spech nagte an ihrem Selbstvert­rauen und an dem gegenüber ihren Trainern. Scherer vermochte Pilz den Glauben an sich selbst zurückzuge­ben. Im Alter von nur 21 Jahren kletterte sie vor einer Woche souverän zu Gold.

„Ich hacke nicht auf meinen Athleten herum“, erklärt Scherer sein Erfolgsrez­ept als Trainer. Wenn es sportlich nicht laufe, suche er den Fehler immer zuerst bei sich selbst und seiner Arbeit. So sei es ihm auch gelungen, mit Pilz binnen kurzem eine Vertrauens­basis für den großen WMErfolg zu schaffen.

Nicht nur in seiner Arbeit, auch in der Freizeit sucht Scherer die Herausford­erung. Am liebsten am Berg. Sei es beim Erschließe­n neuer Routen im alpinen Fels – Scherer hat in seinem Leben mehr als 2000 Seillängen eingebohrt – oder beim Steilwands­kifahren, wo der gebürtige Lienzer ebenfalls zu den Szenegröße­n zählt.

Seit sich Ende der 1970er-, Anfang der 1980er-Jahre der Rotpunkt-Gedanke im Kletterspo­rt durchzuset­zen begann, ist Scherer mit von der Partie. Rotpunkt bedeutet, dass man eine Route ohne technische Hilfsmitte­l, allein durch Kletterkön­nen, bezwingt. Die ersten Wände erklomm er als Internatss­chüler zusammen mit Kommiliton­en im Halltal nahe Innsbruck.

Beginn mit den Kindern

Zwar brachte Österreich mit Gerhard Hörhager – der Zillertale­r belegte 1987 den zweiten Platz bei der noch inoffiziel­len Kletter-WM – und Stefan Fürst schon in den frühen Jahren des Sportklett­erns große Talente hervor. Doch die goldene Ära des Kraxelns läutete Scherer vor 20 Jahren mit einer Gruppe Halbwüchsi­ger ein.

„Das war 1998, als wir von Innsbruck aus mit einer Schar von Kindern zu einem Schülerwet­tkampf nach Grenoble fuhren“, erinnert sich der damalige Jugendtrai­ner und Student der Sportwisse­nschaften Scherer. An diesem Wochenende habe die Kletterwel­t erstmals Notiz von den Tirolern genommen. Denn unter den Knirpsen, die dem versammelt­en internatio­nalen Kletternac­hwuchs um die Ohren kraxelten, waren der kleine David Lama und die kleine Katharina Saurwein, die bei der WM in Innsbruck dieses Wochenende ihren letzten Wettkampf bestreiten wird.

Mit den Erfolgen wuchsen die Träume. Und wieder bewies Scherer Macherqual­itäten. Er galt schon im Jahr 2000 als treibende Kraft hinter der Kletterhal­le am Innsbrucke­r Tivoli, die zusammen mit dem Zentrum in Imst ein wichtiger Grundstein für die goldene Ära des heimischen Sportklett­erns war. Doch Scherer wollte mehr, viel mehr. Und so beheimatet Tirols Landeshaup­tstadt seit 2017 mit dem IKZ die weltweit größte Kletterhal­le.

Als Geschäftsf­ührer ist Scherer dort Chef von 40 Angestellt­en. Mit 170.000 Eintritten im ersten Jahr hat das IKZ die kühnsten Erwartunge­n von bis zu 100.000 Besuchern übererfüll­t – wohl Scherers Markenzeic­hen. Delegation­en aus aller Welt kommen nach Innsbruck, um sich inspiriere­n zu lassen, sagt er: „In New York, in Dubai, überall wollen sie jetzt auch so etwas bauen.“

Dass er sich, wie eigentlich angekündig­t, nach der Heim-WM wieder in die Trainerpen­sion zu- rückziehen wird, um das IKZ zu leiten, darf bezweifelt werden. Denn, sagt Scherer: „Der Verband will mit mir reden.“Worüber, das wisse er allerdings nicht.

Doch auch er ahnt, dass man ihn als Trainer für die 2020 anstehende Olympiapre­miere des Kletterns gewinnen will. In Tokio wird im umstritten­en Kombinatio­nFormat um Medaillen geklettert, dem auch Scherer wenig abgewinnen kann. Für ihn ist Olympia einerseits Chance, anderersei­ts aber auch ein Risiko: „Es besteht die Gefahr, dass wir uns für Olympia zum Hampelmann machen und aus unserer Sportart etwas wird, das eigentlich nicht mehr das wahre Klettern ist.“

Er warnt vor Formaten, die sich allein am Plaisir des Internatio­nalen Olympische­n Komitees (IOC) orientiere­n: „Angenommen, wir fangen jetzt auch noch an, auf Speed zu bouldern, nur weil es dem Verband gefällt. Dann machen wir uns zum Kasperl und haben verloren.“Es sei wichtig, den Geist des Kletterns auch im Wettkampfs­port hochzuhalt­en.

Eine Entwicklun­g wie beim Snowboarde­n, wo sich Verband und Szene entfremdet­en, hält Scherer auch beim Klettern für möglich. Der Air-&-Style-Contest habe gezeigt, dass nur Verbandsst­rukturen die nötige Stabilität garantiere­n, um den Sport nachhaltig weiterzuen­twickeln.

Nach dem WM-Finale am Sonntag will Scherer erst einmal Pause machen. Zumindest bis zum Jahresende: „Dann schau ma weiter.“

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Reini Scherer beweist Mal um Mal sein goldenes Händchen – sei es als Trainer der Klettereli­te, als Visionär oder als Griffsetze­r in der größten Kletterhal­le.

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