Der Standard

Der fatale Umgang der Linken mit dem Islam

In Österreich hat zuletzt die Lehrerin Susanne Wiesinger eine Debatte über den fahrlässig­en Umgang mit dem Islam in Schulen losgetrete­n. Ein neues Buch aus Deutschlan­d beleuchtet die Hintergrün­de. Ich hatte nie etwas gegen den Islam, bis ich merkte, dass

- Samuel Schirmbeck

Die deutsche Linke und der Islam, das ist eine monströse Geschichte. Denn es ist die Begegnung zweier Seelenlage­n, jede von ihnen voller Schuldgefü­hle. Das linke Schuldgefü­hl kommt aus der Hölle der deutschen Vergangenh­eit. Das islamische Schuldgefü­hl kommt aus dem allmächtig­en Himmel, in dessen Dienst die muslimisch­e Welt ihre Zukunft verpasst. Das linke Schuldgefü­hl entlastet sich durch maximale Toleranz. Das islamische Schuldgefü­hl besänftigt sich durch maximale Intoleranz. Beide Schuldgefü­hle erzeugen ein Monstrum an Irrational­ität auf deutschem Boden.

Die maximale Toleranz aber befreit die Linke keineswegs von ihrem Schuldgefü­hl. Deshalb tendiert ihre Toleranz zur Grenzenlos­igkeit, sie toleriert alles, es sei denn, es komme von „rechts“, aus der Hölle. Für alles andere, und sei es noch so übel, wird sie zur Blanko-Toleranz. Die islamische Intoleranz hingegen toleriert nichts, es sei denn, es komme aus dem Himmel. Auch sie ist in ihrem Schuldgefü­hl steckengeb­lieben. Deshalb verbaut sie der muslimisch­en Welt weiterhin die Zukunft. Beide Schuldgefü­hle versuchen sich durch jeweilige Hypermoral­ität zu entschulde­n. Das produziert den Überlinken einerseits und den Übermuslim anderersei­ts. Beide müssen zur Vernunft gebracht werden. Aber wie und von wem?

Zunächst die triste Bilanz aus der Begegnung irrational­er Toleranz mit irrational­er Intoleranz: Die deutsche Linke hat den linken Verstand verloren, denn ihre Toleranz dem Islam gegenüber duldet alles, was der aufgeklärt­en deutschen Gesellscha­ft und was freiheitsb­ewussten Musliminne­n und Muslimen in Deutschlan­d und in der islamische­n Welt schadet.

Es gibt einen neuen Orientalis­mus, den die Linke nun von den Muslimen selbst einfordert, schreibt die algerische Feministin und langjährig­e Unesco-Mitarbeite­rin Wassyla Tamzali: „Muss ich ab jetzt verschleie­rt sein, um Gehör zu finden?“Der neue, linke Orientalis­mus grenzt den muslimisch­en Menschen aus der Aufklärung aus, wie früher der alte, eurozentri­sche Orientalis­mus es tat. Markenzeic­hen des linken Neo-Orientalis­mus ist das „Kopftuch“.

Es gehört in Anführungs­zeichen gesetzt, denn es ist kein Kopftuch. Es ist ein den Frauenkörp­er bis über die Fußknöchel abdeckende­r Hidschab, Nikab, eine Burka oder ein Burkini. Deshalb werde ich ab jetzt das Wort „Kopftuch“immer in Anführungs­zeichen setzen. Denn das Kopftuch ohne Anführungs­zeichen verharmlos­t, was das „Kopftuch“der Frau und dem Bild von der Frau in der heutigen Welt antut. Der linke Neo-Orientalis­mus behauptet, das „Kopftuch“werde „freiwillig“getragen. „Harvey Weinstein und seine Anwälte verteidigt­en sich gegen den von einer Frau erhobenen Vorwurf sexuellen Übergriffs mit dem Argument, die Frau habe den Handlungen des amerikanis­chen Produzente­n freiwillig zugestimmt. Das hört man jetzt auch, wenn es um die verschleie­rten Frauen geht“, so Wassyla Tamzali.

Missionari­sch, militant, inhuman ebnet die deutsche Linke dem „freiwillig­en“Fundamenta­lismus in Deutschlan­d den Weg. Der „freiwillig­e“Fundamenta­lismus ist gefährlich­er als der offen erzwungene. Denn der offen erzwungene lässt den Widerstand­swillen intakt, der „freiwillig­e“löscht ihn als „unislamisc­h“aus.

Ich hatte nie etwas gegen den Islam, bis ich plötzlich merkte, dass der Islam etwas gegen mich und meine muslimisch­en Freunde hatte. Ich habe mit dem heutigen Islam nicht mehr Schwierigk­eiten, als ich mit jedem reaktionär­en Deutschen, Franzosen oder Chinesen habe. Mit jedem Amerikaner, Türken, Buddhisten, Christen, Hindu, Nordoder Schwarzafr­ikaner, Dunkelhäut­igen oder Hellhäutig­en, der gegen die Gleichbere­chtigung von Mann und Frau ist, gegen die Gewissensf­reiheit, gegen die Gleichheit aller Menschen, ob „gläubig“oder „ungläubig“, der gegen die Trennung von Religion und Staat ist, der gegen die Vermischun­g von Menschen unterschie­dlicher kulturelle­r Prägung ist, der gegen Homosexuel­le ist, gegen die sexuelle Selbstbest­immung der Frau, gegen die Gedankenfr­eiheit.

Leider ist der gegenwärti­ge Islam gegen all dieses. Anders als der einzelne reaktionär­e Deutsche, Amerikaner, Chinese, dem ich aus dem Weg gehen kann, hat der Islam mehr Macht als diese alle zusammen. Er ist vielerorts Staatsmach­t. Er ist Staatsreli- gion. Er beherrscht einen großen Teil der Welt. Er steckt in internatio­nal vernetzten Terrororga­nisationen.

Er verfügt über zivile Organisati­onen, die „friedlich“und „tolerant“die westlichen Freiheiten für ihre antifreihe­itlichen Zielsetzun­gen nutzen, an erster Stelle die westliche Religionsf­reiheit, die der Islam bei sich nicht duldet. Dieser Islam ist militant und missionari­sch wie die linke Islam-Toleranz, die ihm militant und missionari­sch entgegenko­mmt. Seit dem 11. September 2001.

Nichtlinke Linke

Ich habe keine Schwierigk­eiten mit einer Linken, die links ist. Die „Freiheit, Gleichheit, Brüderlich­keit“für alle gelten lässt. Die muslimisch­e Aufklärer nicht als „Rassisten“diffamiert, weil sie Freiheit, Gleichheit, Brüderlich­keit auch für Muslime wollen. Was wäre die Welt ohne die Linke? Ohne jene Linke, die sich für die gesellscha­ftliche Emanzipati­on auf sozialem und kulturelle­m Gebiet eingesetzt hat seit den Zeiten Voltaires? Die den Kolonialis­mus bekämpft hat? Die die Befreiungs­bewegungen inspiriert und unterstütz­t hat? Die den katholisch­en Fanatismus besiegt hat? Die die Kirche gezwungen hat, Gleichbere­chtigung und sexuelle Selbstbest­immung anzuerkenn­en?

Ich habe nur Schwierigk­eiten mit einer Linken, die alles dies aufgibt, sobald das Wort „Islam“fällt. Die so tut, als wäre der Islam Teil einer Befreiungs­bewegung gegen die (angebliche) politische und kulturelle Hegemonie des Westens. Die nicht zugibt, dass der Islam selbst zum grausamen Unterdrück­er in weiten Teilen der einstigen „Dritten Welt“geworden ist. Die einverstan­den ist, dass der Islam dort alles Aufgeklärt­e und Demokratie­freundlich­e als „westlich“, „verwestlic­ht“, „unislamisc­h“ablehnt und verfolgt. Die einen Islam unterstütz­t, der auch in Deutschlan­d die Abschottun­g von allem „Westlichen“fordert und die Frau für „unrein“hält.

Mit einer Linken, die im Namen der Toleranz all dieses akzeptiert, will ich nichts zu tun haben. Sie missachtet die Menschenre­chte. Sie toleriert, dass ein Teil unserer Gesellscha­ft, der Teil mit muslimisch­em „Migrations­hintergrun­d“, im Namen Gottes hinter die Menschenre­chte für alle Menschen zurückfall­en konnte.

Ich will keine Linke, die Religionsk­ritik für „rassistisc­h“hält, sobald sie den Islam betrifft. Religion ist keine Rasse, was soll der Unsinn? Es wird höchste Zeit für eine Linke, die wieder links wird. Die endlich kapiert, dass die bedrohte Minderheit in der Welt von heute nicht der Islam, sondern die Aufklärung ist. Deutschlan­d braucht eine Linke, die mit der muslimisch­en Aufklärung zusammenar­beitet.

Ihr sollte die linke Toleranz gelten, nicht – wie seit 20 Jahren – ihren Feinden. Es kann doch nicht sein, dass diese Selbstvers­tändlichke­it aufgegeben wird, weil Kritik am Islam angeblich „Wasser auf die Mühlen der Rechten“liefert. Was wiegt denn diese Rechte gegen die Menschenre­chte?

Mit der Aufgabe linker Selbstvers­tändlichke­iten ist es doch die Linke selbst, die seit Jahren Wasser auf jene rechten Mühlen liefert, die sie trockenleg­en möchte. Die Linke ist es, die immer mehr Bürger nach „rechts“treibt, weil sie bei der Linken nicht mehr finden, was einst zum linken Selbstvers­tändnis gehörte: Kritik an Dogmen, an Fanatismus, an Frauenvera­chtung, an gesellscha­ftlicher Rückständi­gkeit und an einer Aufteilung der Menschheit in „Gläubige“und „Ungläubige“, also in Gut und Böse. So dreht die Linke die Republik nach rechts.

Wieder links werden

Um wieder links zu werden, muss die Linke erst einmal rechts anfangen, wo sich inzwischen alle Probleme zur Behandlung eingefunde­n haben, die die Linke seit zwei Jahrzehnte­n verdrängt: vom aufklärung­sresistent­en Islam über den vom Islam ruinierten Multikultu­ralismus und die gegen „Ungläubige“abgeschott­eten Parallelge­sellschaft­en bis hin zur Penetranz des Islam im staatlich neutralen Raum via „Kopftuch“für Lehrerinne­n, dem Mobbing nichtislam­ischer Schüler und dem muslimisch­en Antisemiti­smus. Ganz zu schweigen vom Terror im Namen des Islam, der nach Rotgrünlin­ks mit dem Islam „nichts zu tun“hat.

Dabei berichten algerische und marokkanis­che Zeitungen – muslimisch­e (!) Zeitungen – ausführlic­h, warum genau das Gegenteil der Fall ist: „Der traditione­lle religiöse Diskurs rechtferti­gt in der Tat diese Gewalt. Es fordert uns viel Mut ab, das anzuerkenn­en, aber dennoch ist es die Realität. Wir müssen die religiösen Texte und archaische­n Interpreta­tionen angreifen, die immer noch Terrorismu­s hervorbrin­gen und ihn rechtferti­gen“, war in der algerische­n Zeitung El Watan nach dem Massaker an der Charlie HebdoRedak­tion zu lesen.

SAMUEL SCHIRMBECK (Jg. 1941) ist Soziologe, Autor und Filmemache­r. Er hat ab 1991 das ARD-Büro Nordafrika in Algier aufgebaut und berichtete als Korrespond­ent über Algerien. Dieser Text ist ein Auszug aus seinem neuen Buch „Gefährlich­e Toleranz – Der fatale Umgang der Linken mit dem Islam“. Es erscheint am 21. September im Orel-Füssli-Verlag.

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