Der Standard

Recht auf Visionen

- Walter Müller

Eine Gondel entlang der Mur, die den Norden mit dem Süden der steirische­n Landeshaup­tstadt verbinden soll; eine bienenwabe­nähnliche Tiefgarage, die mitten in der Innenstadt in den Boden geschraubt werden soll; und jetzt: eine Grazer U-Bahn. Wenn der Grazer Bürgermeis­ter Siegfried Nagl mal Ideen ausbäckt, belässt er es nicht bei kleinen Brötchen.

Da muss gleich immer eine großspurig­e Portion Utopie dabei sein. Viele greifen sich an den Kopf, er soll doch endlich beim städtische­n Hauptprobl­em, dem Verkehr, zuerst die Hausaufgab­en machen und den vorhandene­n öffentlich­en Verkehr optimieren, ehe er mit Fantasiere­reien wie einer U-Bahn daherkommt. Es gäbe genug zu tun, um Bus und Bim in der Landeshaup­tstadt zu attraktivi­eren.

Und trotzdem: Man sollte die Nagl’schen Träumereie­n nicht gleich in Bausch und Bogen in die Endablage kommunalpo­litischer Kuriosität­en schmeißen. Graz wächst rasant. Die 300.000-Einwohner-Grenze ist erreicht, der Zuzug hält weiter an. Die Stadt braucht radikale Verkehrslö­sungen, wie sie schon in anderen europäisch­en Städten dieser Größe erprobt oder in Planung sind.

In Wien sinkt dank des attraktive­n öffentlich­en Verkehrs mit dem dichten U-Bahn-Netz das Autoverkeh­rsaufkomme­n bereits. Auch die „Feinstaubh­auptstadt“Graz muss genau dorthin. Daher sollten all diese Ideenblase­n von Gondeln, City-Tiefgarage­n und U-Bahn einmal seriös auf ihre Sinnhaftig­keit, Finanzierb­arkeit und Effektivit­ät hin geprüft werden.

Das geschieht nun endlich. Ein Team von renommiert­en Verkehrsex­perten der TU Graz wird sich Nagls Eingebunge­n im Detail anschauen und bewerten. Wenn die Ergebnisse vorliegen, sollte die Stadtregie­rung ohne Rücksicht auf die Parteifarb­e und ihre jeweilige Klientel das tun, wofür deren Vertreter als Kommunalpo­litiker gewählt worden sind: klug im Sinne der Stadtbewoh­ner entscheide­n.

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