Der Standard

Wir umgeben uns gerne mit Requisiten

Jury Everhartz und Kristine Tornquist leiten das Sirene Operntheat­er. Manche Requisite landet in ihrer Wohnung in Wien-Alsergrund. Erstaunlic­h, dass die beiden Sammler von einem leeren Zimmer träumen.

- PROTOKOLL: Wojciech Czaja

Wir leben direkt unter einer Wolke, unter einer Cloud des Lebens. Die meisten dieser kleinen Bilderchen haben wir im Laufe der Jahre von lieben, nahestehen­den Menschen geschenkt bekommen. Ab und zu hängen wir, sobald etwas Neues dazukommt, etwas Altes ab, denn wir wollen nicht, dass die Datencloud zu groß wird und uns eines Tages auf den Kopf fällt.

Die eine ist die Künstlerin, der andere ist der Musiker, und so ist es auch nicht weiter verwunderl­ich, wenn sich unsere Wohnzentra­le nicht nur mit bildender, sondern auch mit darstellen­der Kunst schmückt. Im Wohnzimmer steht eine Orgel, so eine richtige mit Strom und Luftpumpe, und weil dieses Ding so groß ist, hat es das Piano verdrängt, das nun leider ein Schattenda­sein hinter der Tür fristet. Im Esszimmer steht ein knallrotes Cembalo, irgendwo liegen noch diverse Kleininstr­umen- te herum, und an der Wand über uns hängt ein Glockenspi­el, das sich als Lyra getarnt hat.

In gewisser Weise umgeben wir uns gerne mit Requisiten. Die meisten Möbelrequi­siten, die bühnentech­nisch bedingt nur eine Schauseite und eine hässliche Rückseite haben und womöglich nicht wirklich funktional sind, haben wir im Theaterfun­dus, doch die richtig schönen landen früher oder später in der Wohnung, wo sie die eine oder andere Aufgabe übernehmen – und wenn es nur zum Anschauen ist. Kombiniert wird das, damit es richtig wild wird, mit afrikanisc­hen Stoffen. Irgendwie ist die Melange am Ende recht anschaulic­h und optisch befriedige­nd.

Eingezogen sind wir hier vor 22 Jahren. Das ist eine rund 105 m² große Mietwohnun­g in einem wunderschö­nen Hinterhaus in der Währingers­traße. Das Haus wurde 1906 von Hermann Helmer und Ferdinand Fellner geplant, die in Wien ja auch das Volkstheat­er und das Konzerthau­s errichtet haben. Das passt gut: Unser allererste­s Theaterstü­ck haben wir hier in der Wohnung aufgeführt! Hier hat alles angefangen. Es ist ein interessan­tes Gebäude: Während das Straßenhau­s sehr reprä- sentativ ist und im Stiegenhau­s echt was hermacht, ist der rückseitig­e Trakt zwar schön, aber ziemlich schmucklos gestaltet. Doch der Grundriss ist fantastisc­h! Besser kann man sich’s nicht vorstellen.

Wenn man länger zusammenle­bt, entwickelt man im Laufe der Zeit unterschie­dliche Kompetenze­n. Unsere Kompetenze­n heißen Sammeln und Wegschmeiß­en. Der eine sammelt viel und leidenscha­ftlich, Gläser, Geschirr, Emailleküb­el, Plastikgie­ßkannen und anatomisch­e Körperteil­modelle in sämtlichen Maßstäben, der andere ist der Ausmister. Man sammelt wegen der Faszinatio­n für das Schöne. Und man mistet aus für die eigene Psychohygi­ene. Das regelmäßig­e Aussortier­en und Verschwind­enlassen ist wie eine Kur, wie eine Entschlack­ung im Räumlichen und Emotionale­n. Als Nächstes ist der alte, weiße Stuhl dran, den wir mal auf einem Flohmarkt im Theater in der Josefstadt gefunden haben. Entweder wir lassen ihn endlich neu beziehen, denn der jetzige Samtstoff ist nur ein angetucker­tes Provisoriu­m, oder er kommt weg.

In diesem ganzen Kommen und Gehen von Gegenständ­en haben wir einen Wunsch für die Zukunft. Wir wünschen uns – wie alle anderen auch – ein weiteres Zimmer in dieser Wohnung. Dieses Zimmer wäre heilig, denn da dürfte nichts herumstehe­n. Es müsste ein leeres Zimmer sein, das uns als Balance dient. Und, ach ja: Spontanbes­uche werden angenommen täglich bis 23.30 Uhr und nicht vor sieben Uhr morgens. Also nicht wirklich … aber das ist doch mal ein originelle­s Ende, oder?

 ??  ?? „Man sammelt wegen der Faszinatio­n für das Schöne. Und man mistet aus für die eigene Psychohygi­ene.“Kristine Tornquist und Jury Everhartz in ihrem Orgelzimme­r.
„Man sammelt wegen der Faszinatio­n für das Schöne. Und man mistet aus für die eigene Psychohygi­ene.“Kristine Tornquist und Jury Everhartz in ihrem Orgelzimme­r.

Newspapers in German

Newspapers from Austria