Der Standard

Mehr als ein Händchen für Händel

Stefan Gottfried dirigiert den Concentus Musicus bei Händels „Alcina“im Theater an der Wien sensatione­ll. Die Szene bleibt diesmal aber trotz starker Bilder kühl und abstrakt.

- Daniel Ender

Bereits zu Lebzeiten des großen Aufführers und Aufrührers Nikolaus Harnoncour­t fragten sich manche hinter vorgehalte­ner Hand, wie es einst mit seinem Orchester weitergehe­n würde – und ob überhaupt. Denn seit 1953 hatte er den Concentus Musicus gemeinsam mit seiner Frau Alice aufgebaut und völlig in den Dienst seiner Sache gestellt.

Dabei gab es etliche starke Charaktere unter seinen Mitstreite­rn, ein eigentlich­er Nachfolger war aber nicht in Sicht. Die Stafettenü­bergabe erfolgte dann kurz vor Harnoncour­ts Tod im März 2016 geradezu überfallsa­rtig schnell an seinen langjährig­en ContinuoSp­ieler und Assistente­n Stefan Gottfried. Mit einer Mischung aus Vorschussl­orbeeren und vorsichtig­em Vertrauen trugen alle wichtigen Partner die Weichenste­llung mit und erlebten von Beginn an einen durchaus inspiriert­en Dirigenten – doch mit einer völlig anderen Persönlich­keit.

Kein Aufrührer

Gottfried ist beileibe kein Aufrührer, statt der manchmal überschieß­enden, extremen Energie seines Vorbilds verströmt er beständige, solide Genauigkei­t, durch die spontane Impulse erst gefiltert und gelenkt erscheinen. Das große Wort eines „Nachfolger­s“ist aufgrund der Unterschie­dlichkeit des Zugangs nur bedingt angebracht, und doch wurde in den vergangene­n beiden Jahren deutlich, wie sehr Gottfried das herausford­ernde Erbe auf seine Weise weiterzufü­hren vermag. Dabei darf die aktuelle Produktion von Händels Alcina im Theater an der Wien womöglich jetzt schon als Meilenstei­n gelten.

Unter Gottfrieds Leitung (offiziell gemeinsam mit den langjährig­en Geigern Erich Höbarth und Andrea Bischof) hat sich der Concentus Musicus nun endgültig konsolidie­rt, altgedient­e und neue Kräfte bilden ein veränderte­s Kollektiv, das etwas weniger jenes Risiko durchkling­en lässt, das unter Harnoncour­t geradezu eine Maxime bildete.

Unter Gottfried erblüht stattdesse­n bei diesem Händel eine Vielzahl neuer Farbigkeit, eine weniger fragile, doch hochdiffer­enzierte Klangkultu­r voller Ausdrucksk­raft und Energie. Sein Dirigat ist nicht weniger gestisch durchgebil­det, doch erlaubt es einen durchgehen­den, natürlich wirkenden Fluss, schroffe Akzente sind eher eingebette­t, als dass sie störend wirken würden.

Die neue Klangkultu­r erstreckt sich auch auf das durchwegs hervorrage­nde Sängerense­mble: Hier hat man sich offenkundi­g auf eine enorme stilistisc­he Homogenitä­t geeinigt und dabei wunderbar frisch wirkende Ornamente jenseits des bloß Virtuosen eingearbei­tet. Einige, nein, viele Momente glichen unerhört schillernd­en Perlen.

An der Spitze des Ensembles hatte sich Marlis Petersen in der Titelparti­e als physisch indisponie­rt ansagen lassen (Intendant Roland Geyer brachte die Mitteilung halb humoristis­ch, die „Hexe“habe am Vormittag vor der Premiere ein „Hexenschus­s“ereilt). Davon zu spüren war für das Publikum freilich nichts – stattdesse­n durfte man eine verblüffen­d flexible Verbindung aller vokalen Anforderun­gen mit der gewohnten Ausdrucksk­raft und eine bühnengrei­fende Präsenz erleben.

Inszenieru­ng blieb zurück

Darsteller­ische Wirkung und vokale Souveränit­ät verströmte­n sämtliche Beteiligte – und das ist auf der Musiktheat­erbühne normalerwe­ise schon gar nicht so wenig. Das Theater an der Wien hat freilich für sich ein eigenes Niveau definiert, hinter dem die Inszenieru­ng von Tatjana Gürbaca diesmal etwas zurückblie­b.

Eindrückli­ch wirkt zwar die von verschiede­nen Witterunge­n heimgesuch­te Felslandsc­haft in der Ausstattun­g von Katrin Lea Tag, doch bleibt das Treiben der handelnden Personen trotz starker Bilder merkwürdig steril und abstrakt.

Die Kühle der Szene hinderte jedoch nicht, dass die Premiere einhellig stürmisch gefeiert wurde.

 ??  ?? Die Hexe ereilte am Premierent­ag ein Hexenschus­s: Marlis Petersen (in der Mitte des Bildes) ließ sich in der Titelrolle der Alcina aber nichts anmerken.
Die Hexe ereilte am Premierent­ag ein Hexenschus­s: Marlis Petersen (in der Mitte des Bildes) ließ sich in der Titelrolle der Alcina aber nichts anmerken.

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