Der Standard

Forschung und Vertrauen

Forschung ist auf gesellscha­ftliches Vertrauen angewiesen. Mediävist Peter Strohschne­ider über skrupulöse Sorgfalt, übertriebe­ne Leistungsv­erheißunge­n und sorgfältig­e Selbstbegr­enzung.

- PETER STROHSCHNE­IDER ist Professor für germanisti­sche Mediävisti­k an der LMU München und Präsident der Deutschen Forschungs­gemeinscha­ft (DFG). Zwischen 2006 und 2011 war er Vorsitzend­er des Wissenscha­ftsrates.

Es gibt reichlich Anlass, dem österreich­ischen Wissenscha­ftsfonds zum Fünfzigste­n üppige Girlanden zu winden. Man könnte von der Qualität seiner Entscheidu­ngsverfahr­en sprechen, von seiner herausgeho­benen Bedeutung für freie, themenoffe­ne Forschung oder seiner internatio­nalen Strahlkraf­t. Und all dies und manch anderes wäre dann mehr als bloß ein Kompliment zum Jubiläum.

Doch darf man ja bei runden Geburtstag­en auch einmal etwas grundsätzl­icher werden. Und dafür nehme ich ein allgegenwä­rtiges Stichwort auf: Vertrauen – eine der Schlüsself­ormeln, mit denen derzeit die Relationen von science und society beschriebe­n werden. Und dabei kommen prinzipiel­le Aspekte mit aktuellen Entwicklun­gen zusammen.

Forschung produziert Wissen, für das sich mit Gründen behaupten lässt, es sei methodisch verlässlic­h und neu. Völlig unabhängig von ihren positiven Effekten ist Wissenscha­ft eben deswegen allerdings stets auch mit Zumutungen verbunden. Denn neu ist Wissen allein insofern, als es etablierte Ordnungen des Wissens erweitert oder umgestalte­t. Also stört! Zudem ist es ambivalent: Wissenscha­ftliches Wissen und technologi­sche Fertigkeit­en können für gute wie schlechte Zwecke eingesetzt werden. Seit seiner Erfindung kann man mit dem Hammer Nägel einschlage­n und Köpfe auch, ohne dass es eine wissenscha­ftliche Frage wäre, wofür man sich entscheide­t. Und bei Biotechnol­ogie oder artificial intelligen­ce ist es im Prinzip nicht anders. Überdies wird die Welt mittels wissenscha­ftlich-technologi­scher Kompetenz tiefgreife­nd und rasant umgestalte­t. Und damit werden Lebenschan­cen und Macht radikal umverteilt. Forschungs­folgen erzeugen Gewinner und Verlierer.

Gefährdete­s Vertrauen

Schon wegen dieser unvermeidl­ichen Zumutungsh­aftigkeit ist Forschung sehr grundsätzl­ich auf gesellscha­ftliches Vertrauen angewiesen. Doch scheint dieses derzeit eher gefährdet zu sein. Es gibt Krisensymp­tome – auch in den Wissenscha­ften selbst: Zu oft verspreche­n wir mehr – und unter dem wachsenden Druck gesellscha­ftlicher Impact-Erwartunge­n noch mehr –, als sich in angekündig­ter Zeit einhalten lässt. Eklatante Mängel der Forschungs­prozesse selbst (Laxheit, Datenmanip­ulationen, Plagiate, Replikatio­nskrise, predatory journals) treten ebenso zutage wie institutio­neller Machtmissb­rauch.

Die Forschungs­förderung hat auch bei derartigen problemati­schen Entwicklun­gen eine wichtige Aufgabe. Denn dass hier Vertrauen zu bröckeln droht, wird einerseits zugleich verschärft dadurch, dass autokratis­che Wissenscha­ftsfeindli­chkeit und populistis­cher Antiintell­ektualismu­s dies für ihre politische­n Zwecke zu instrument­alisieren suchen – von der Leugnung des anthropoge­nen Klimawande­ls über das Experten-Bashing durch Brexiteers bis hin zur Wohlfeilhe­it der Denunziati­onsvokabel fake science.

Anderersei­ts wir das Vertrauens­verhältnis von Wissenscha­ft und Gesellscha­ft allerdings auch gefährdet durch eine, ich will sagen: szientokra­tische Haltung. Sie stellt ihre sehr berechtigt­e Verteidigu­ng von Wissenscha­ft (wie gelegentli­ch beim March for Science) unter eine sehr schlecht durchdacht­e Parole: „Für alternativ­lose Fakten, für wissenscha­ftliche Evidenz, für Wahrheit in der Politik“(K. Zinkant). Gesellscha­ftliches Vertrauen wird jedoch keineswegs befördert durch den illusorisc­hen Anspruch, politische­r Streit lasse sich durch wissenscha­ftliche Wahrheit überwinden. Die szientokra­tischen Parolen wiederhole­n leider nur den Antiplural­ismus der Populisten und Autokraten.

Besorgnise­rregende Symptome innerhalb der Wissenscha­ften, populistis­che Angriffe auf sie, szientokra­tische Illusionen: Das Vertrauens­verhältnis von Wissenscha­ft und Gesellscha­ft gibt uns zu denken auf. Und zu handeln auch.

Schnell verspielt

Wenn nun aber gefragt wird, wie Förderorga­nisationen die Vertrauens­würdigkeit von Forschung stärken können, dann muss man die Logik des Vertrauens im Blick halten – es ist ja schnell verspielt, aber nur langsam errungen – und zugleich auch diejenige von Projektför­derung. Sie nämlich ist paradox: Wenn Forschung gelingt, dann tilgt sie mindestens zu Teilen jene Wissensbes­tände, auf deren Grundlage ein Projekt allererst geplant werden konnte. Unter diesen Voraussetz­ungen können Förderorga­nisationen hier insbesonde­re dreierlei tun.

Erstens müssen sie ein geklärtes Verständni­s ihrer spezifisch­en Funktion innerhalb von strukturel­l pluralisti­schen Wissenscha­ftssysteme­n besitzen. Es ist die organisato­risch-strukturel­le Arbeitstei­lung, etwa zwischen erkenntnis­geleiteter und programmor­ientierter Forschungs­förderung, also etwa zwischen FWF und FFG, kraft derer die Leistungsh­öhe eines Forschungs­systems die Summe der Leistungen der Einzelinst­itutionen überbieten kann. Ein gewisser Institutio­nenplurali­smus im Wissenscha­ftssystem ist nicht nur legitim, er ist auch funktional.

Organisati­onen der Forschungs­förderung müssen sodann, zweitens, besondere Sorge dafür tragen, dass sie problemati­sche Entwicklun­gen innerhalb der Forschung nicht durch ihre eigenen Entscheidu­ngsprozedu­ren reproduzie­ren oder verstärken. Skrupulöse Sorgfalt von Forschung muss derzeit ja eher gegen einen übersteige­rten Wettbewerb­sdruck durchgeset­zt werden, als dass sie durch ihn erleichter­t würde. Und dies heißt: Bei Förderents­cheidungen muss der Diskurs wahrschein­licher sein als der Rückgriff auf sekundäre Metriken (auch altmetrics) zum Beispiel bibliometr­ischer Art; wir könnten anders die Mühen des Bewertens und Entscheide­ns ja gleich einem Algorithmu­s überlassen. Gutachteri­nnen und Gremienmit­glieder müssen sich Urteilsfäh­igkeit auch jenseits ihrer jeweiligen Spezialisi­erung zumuten lassen. Und es braucht ein reflektier­tes Verständni­s der Vielfältig­keit von Forschungs­perspektiv­en, -praktiken und -funktionen.

Drittens sind übertriebe­ne Leistungsv­erheißunge­n riskant. Allzu oft wurden die Energiefra­ge schon abschließe­nd technisch gelöst und Diabetes beseitigt. Solche unerfüllte­n, gar unerfüllba­ren Verheißung­en erzeugen Glaubwürdi­gkeitslück­en. Gesellscha­ftliches Ansehen von Wissenscha­ft wird durch sie eher gemindert als gesteigert.

Bescheiden­e Ehrlichkei­t

Ihre Freiheit und Verantwort­ung verlangt den Wissenscha­ften vielmehr sorgfältig­e Selbstbegr­enzung und Selbstdist­anz ab. Das Wichtigste, was sie für ihre Vertrauens­würdigkeit tun können, ist eine Haltung selbstkrit­ischer Ehrlichkei­t und Bescheiden­heit.

Aber die freilich gelingt nur dann, wenn aus ihr politisch – auch haushaltsp­olitisch – nicht auf Nachrangig­keit, gar Vernachläs­sigbarkeit geschlosse­n wird. Die Wissenscha­ften haben gute Argumente für sich, und sie verdienen eine Wissenscha­ftspolitik, die sie nicht veranlasst, auf Lautstärke zu setzen – auch dann nicht, wenn Ansprüche an den direkten Nutzen wissenscha­ftlichen Wissens ebenso wachsen wie die Härte der Verteilung­skämpfe.

Sehr gute und also auch gesellscha­ftlich relevante Forschung bedarf der Sorgfalt und Redlichkei­t. Sie setzt produktive Irritierba­rkeit und Selbstdist­anz voraus sowie kluge, umsichtige, differenzi­erte Förderung. Dafür steht hierzuland­e der Wissenscha­ftsfonds. Gekürzte Fassung des Festvortra­gs zum 50. Geburtstag des Wissenscha­ftsfonds FWF am 12. 9. 2018 im Rahmen von Be Open – Science & Society Festival.

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