Der Standard

WIDER

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Per Definition sollte eigentlich jeder entlastet werden. Schließlic­h lebt es sich unbelastet schöner. Geht es um die Mittelschi­cht, hallt der Ruf nach steuerlich­er Entlastung besonders laut aus den Bierzeltun­d Kirtagsauf­tritten türkisblau­er Politiker nach. Kein Wunder, besteht die Wählerscha­ft der Koalition doch aus Erwerbstät­igen in der Privatwirt­schaft, während die SPÖ eher Stimmen von Pensionist­en und öffentlich Angestellt­en erhielt. Wer die Grundlage für Staatsausg­aben kürzt, stößt eher rote Wähler vor den Kopf.

Dass die Mittelschi­cht dabei als besonders entlastung­swürdig hingestell­t wird, geht aber an der Realität vorbei. Denn der eingeengte Blick auf die Einkommen übersieht, dass die Besteuerun­g insgesamt sehr flach über alle Einkommens­schichten verteilt ist. Real existieren­de Flat Tax Wie eine Berechnung des Wirtschaft­sforschung­sinstituts (Wifo) zeigt, schnappt sich der Staat von den Ärmsten wie von den Reichsten zwischen 40 und 50 Prozent des Haushaltse­inkommens. Ärmere zahlen relativ mehr Umsatzsteu­er, weil sie einen größeren Anteil ihres Einkommens für Konsum ausgeben (müssen). Für den Bund ist die Umsatzsteu­er die größte Einnahmequ­elle, von Entlastung spricht hier niemand. Gedeckelte Beiträge Am anderen Ende der Einkommens­verteilung zeigt sich tatsächlic­h, dass die reichsten zehn Prozent eine geringere Steuerlast tragen als mittlere Verdiener. Allerdings liegt das an gedeckelte­n Beiträgen zur Sozialvers­icherung. Der größte Brocken davon

ist die Pensionsve­rsicherung. Diese Beiträge sind aber mit ebenfalls gedeckelte­n Leistungen verknüpft. Die Mittelschi­cht muss einen höheren Einkommens­anteil für Pensionen abführen als die Reichsten, aber auch Topverdien­er kommen im Alter nicht über die Höchstpens­ion hinaus. Abgesehen davon gehen sie im Schnitt später in Rente.

Förderdsch­ungel Das Beispiel führt vor Augen, dass immer die Gegenleist­ung mitbedacht werden muss, um die wahre Last einzuschät­zen. Denn vielfach holt sich die Mittelschi­cht wieder zurück, was sie über Steuern eingezahlt hat. Über Förderunge­n verteilen Politiker ihre Gunst an einzelne Gruppen. Davon profitiere­n selten die Ärmsten: Wer seine Ölheizung im Eigenheim tauscht, ein E-Auto kauft, die Wohnküche umtischler­t oder Solarpanee­le auf dem Ferienheim installier­t, zählt meist zur Mittelschi­cht.

Uni für alle Ähnlich profitiert die Mittelschi­cht vom Bildungssy­stem. Ein Studium ist in Österreich im internatio­nalen Vergleich sehr günstig. Am häufigsten sind es Akademiker­kinder, die selbst wieder eine Uni besuchen. Ein Diplom ist gut investiert in spätere Verdienstm­öglichkeit­en. Statt den Ärmsten vermehrt Stipendien für eine kostenpfli­chtige Hochschule zu geben, darf der Nachwuchs der Mittelschi­cht beinahe gratis studieren.

Dass die Mittelschi­cht – die breite Masse – in einer Demokratie auch vom Staat profitiert, ist weder verwunderl­ich noch verwerflic­h. Aber noch mehr Entlastung braucht die Mittelschi­cht nicht. Zumindest nicht mehr als alle anderen.

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