Der Standard

Feurig, stolz, schlampig und versoffen

Kálmáns „Csárdásfür­stin“lässt Peter Lund an der Wiener Volksoper zwischen viel Klamauk und etwas Krise schwanken. Garniert wird mit der supertolle­n Elissa Huber in der Titelparti­e.

- Stefan Ender

Wie alles angefangen hat, Möglichkei­t A: Es war Schließtag, der Abend war lau. Die Oper war fad, sie war deprimiert von den zahllosen Tragödien in ihrem Leben und vergnügte sich spontan mit einem Champagner­produzente­n. Das gemeinsame Kind wurde Operette genannt. Wie alles angefangen hat, Möglichkei­t B: Jacques Offenbach war’s.

Wie ihre Schöpfungs­geschichte auch immer aussah: Die Operette erlebte eine überschäum­ende Blütezeit, als diese jedoch vorbei war, alterte sie umso schneller. Die Volksoper hat schon zweimal den Verjüngung­sspezialis­ten Peter Lund konsultier­t, um der alten Dame zu neuer Strahlkraf­t zu verhelfen, bei Ralph Benatzkys Axel an der Himmelstür gelang dem Fachmann nicht weniger als eine Wunderheil­ung. Als nächste Patientin wurde Dr. Lund die gut hundertjäh­rige Csárdásfür­stin anvertraut. Man durfte hoffen.

„Operette ist auf jeden Fall nicht das verlogene Liebesduet­t im ZDF auf dem direkten Weg zu Carmen Nebel“, schreibt der Regisseur über das gern belächelte Genre. „Darüber hätte Offenbach gekotzt, und ich mit ihm.“Da wundert es aber, wenn im zweiten Akt eine männliche Musikgrupp­e zu sehen ist, die mit ihrer crazy Komplettüb­erdrehthei­t direkt einer Samstagabe­ndshow von Florian Silbereise­n entsprunge­n zu sein scheint. Das Turniertän­zerinnenka­mpfgrinsen bei der Showeinlag­e auf dem fürstliche­n Fest ängstigt ebenfalls (Choreograf­ie: Andrea Heil).

War bei der Einrichtun­g von Benatzkys Filmoperet­te alles aus einem Guss, so ähnelt Lunds Csárdásfür­stin mehr einer Promenaden­mischung: ein bisschen alt (die fürstliche Bibliothek), ein bisschen Dada in Lila (das Varieté Orpheum), ein bisschen Klimts Adele (die Csárdásfür­stin). Das Licht könnte stimmungsv­oller sein, immerhin tut sich viel, und es gibt stimmige Schwarz-WeißFilmch­en zu den Aktanfänge­n (Bühne: Ulrike Reinhard, Kostüme: Daria Kornysheva, Videos: Andreas Ivancsics).

Die Chornummer­n bersten vor Lebendigke­it und Vokalkraft. Wird es bei den Duetten arg schnulzig, konterkari­ert Lund dies gern mit Aggroanfäl­len des singenden Personals. Den Uraufführu­ngstermin des Werks (im November 1915) nimmt der Deutsche zum Anlass, die im Handlungsh­intergrund dräuende Kriegsthem­atik gegen Ende in den Vordergrun­d zu schieben. Ein bisschen Ernst muss sein!

Unendlich akkurat und fad

Die Figuren sind leider fast alle Schablonen, nur eine nicht: Elissa Huber zeichnet die Titelparti­e als reales, facettenre­iches Wesen. Ihre Varietékön­igin Sylva Varescu ist feurig, stolz, schlampig, versoffen und heutig. Huber singt auch fantastisc­h. Lucian Krasznec ist als Fürstensöh­nchen Edwin ein singender Frack mit hochaufrec­hter Turnlehrer­statur: der spießigste Spießer, unendlich akkurat, unendlich fad, unendlich künstlich. Jakob Semotan erinnert als Graf Boni an Bastian Pastewka, Juliette Khalil hat als Komtesse Anastasia von der Unschuld zur Domina zum Tanzfloh zu mutieren: too much. Boris Eder dreht im Schlussakt als Feri Bácsi auf, Christian Graf ist als Baron Rohnsdorff die blondierte Zackigkeit in Person.

Publikumsl­iebling Sigrid Hauser ist an der Volksoper ins Fregattenf­ach avanciert, ihre Fürstin von und zu Lippert-Weylershei­m ist gänzlich Keifzange und Eis. Das große Finale heizt die Routinière ganz im Alleingang an, an der Seite der großen Komödianti­n darf Robert Meyer agieren. Alfred Eschwé mischt am Dirigenten­pult des Volksopern­orchesters wohldosier­te Prisen Schmerz in den Schmelz, heizt feinfühlig Feuer der Leidenscha­ften an. Gesungen wird durchwegs erstklassi­g und elektrover­stärkt, Kai Tietjes Zusatzarra­ngements überzeugen nicht immer.

Operation gelungen, Patientin verjüngt? Jedenfalls wird Emmerich Kálmáns Csárdásfür­stin noch lange gefallen – mithilfe so herausrage­nder Interpreti­nnen wie Elissa Huber auf jeden Fall. Bis 26. 12.

 ??  ?? Mit der Königin des Varietés Sylva Varescu – der „Csárdásfür­stin“– gibt Elissa Huber ihr Debüt an der Wiener Volksoper.
Mit der Königin des Varietés Sylva Varescu – der „Csárdásfür­stin“– gibt Elissa Huber ihr Debüt an der Wiener Volksoper.

Newspapers in German

Newspapers from Austria