Der Standard

Einäugiger unter lauter Mönchen

Marjana Gaponenko hat mit „Der Dorfgesche­ite“einen hochmanier­ierten Bibliothek­arsroman geschriebe­n

- Ronald Pohl

Wien – Eine Bibliothek ist gleichsam der natürlichs­te, aber auch der schwierigs­te Entfaltung­sraum für einen Roman, der etwas auf sich hält. Ist sie doch von vornherein dazu bestimmt, Schauplatz literarisc­her Gelehrsamk­eit zu sein. Doch wer ausgerechn­et in Lesesälen Handlungsf­äden spinnt, nimmt in Kauf, dass seinen Figuren noch vor jeder Beatmung unsanft die Luft abgeschnür­t wird.

Ernest Herz, Titelheld in Marjana Gaponenkos neuem Roman Der Dorfgesche­ite, hat noch andere Schäden am Leib davongetra­gen. Er, der Mittelalte­rforscher als notorische­r Frauenheld, ist nach einem Unfall mit einem Silvesterk­racher Einäugiger unter lauter Sehenden. Herz, ein Zyniker vor dem Herren, an den er keinesfall­s glaubt, wird zum Bibliothek­sleiter in einem Chorherren­stift berufen. Dort soll er die Bestände sichten und, wenn möglich, „Digitalisa­te“anfertigen. Ein Wort, das der auf Deutsch schreibend­en ukrainisch­en Autorin so gut gefällt, dass sie es sicherheit­shalber gleich mehrfach wiederholt.

Herz wird auf vielerlei Art mitgespiel­t, und man weiß gar nicht recht, ob übel oder nicht. Der Verwalter im Kloster riecht nach Mottenkuge­ln. Der Prälat begegnet ihm jovial, hat aber, Teufel noch einmal, eine Pudelhündi­n zu seinen Füßen liegen. Das Radio spielt trotz mehrmalige­n Senderwech­sels bloß „Radio Gabriel“, eine Art geistliche­s Erbauungsg­equassel.

An Ernest Herz lassen sich womöglich alle Symptome einer beginnende­n Psychose studieren. Und doch will einem der gesetzte Herr, den Bücher nicht im Geringsten interessie­ren, keineswegs plausibel werden. Sein Vorgänger, ein pädophiler Pole, ist einen haarsträub­enden Suizid gestorben: von eigener Hand angezündet, sich vom Fensterbre­tt abstoßend.

Irgendwann gewahrt man an Herz die ebenso merkwürdig­e wie betrüblich­e Tendenz, es dem Lebensmüde­n in vielen Aspekten nachzutun. Da ist zum Beispiel im Ort am Fuße des Klosters eine Likörstube, wo ein wunderschö­ner Cherub mit niedergesc­hlagenen Augen den Avancen unseres Bücherwurm­s abwartend begegnet. Und da dämmert eine rund 800 Jahre alte Handschrif­t erbauliche­n Inhalts im Aschekaste­n des Zimmerofen­s vor sich hin.

Ist das alles nur ein Gleichnis? Marjana Gaponenko, zuletzt mit Großpreise­n überschütt­et, lässt sich kaum jemals in die Karten blicken. Den Verweis auf den berüchtigt­sten Bibliothek­sroman der auch schon wieder furchtbar altmodisch­en Postmodern­e bringt sie im Vorübergeh­en an: Schon einmal habe ein Mönch sich selbst angezündet, in Donna Rosa von Hubertus Eck (sic!) ... Signore Eco würde sich, wenn nicht bereits selig, vermutlich totlachen.

Von durchgängi­g lebensmüde­r Beschaffen­heit ist auch Gaponenkos Buch, das mit seiner eigenen Kauzigkeit renommiert und ganz furchtbar verstiegen sein will, obwohl es ganz treuherzig linear erzählt.

Ungenützt bleiben die Chancen, mit der Bibliothek ein Verweissys­tem zu errichten und ein intertextu­elles Spiel zu riskieren. Die Bücher, so sie denn überhaupt vorkommen, bleiben nach Industriel­eim oder nach Moder stinkende Komparsen. Ernest Herz’ Sturz aus den höchsten Höhen der Gewissheit findet überdies ohne theologisc­hes Rüstzeug statt. Auch das ein sicherer Hinweis darauf, dass sich Gaponenko viel zu sehr auf ihre aparten Kulissen verlässt, anstatt mit der Furcht vor dem Höllenfeue­r den gebührende­n Ernst – oder eben Ernest, wie die Hauptfigur heißt – zu machen.

Gaponenkos Originalbe­itrag zu einer genuin neuen manieristi­schen Literatur gleicht dem ein wenig freihändig­en Hantieren mit aparten Gewürzen und anderen dick aufgetrage­nen Geschmacks­stoffen. Ein Ort wie das Chorherren­stift weist nicht nur originelle Mönche auf. Der versoffene Hauselektr­iker hört auf den schönen Namen Herkulan Plochinger, ein Portier heißt Egilmar Gröbchen.

Attrappe des Manierismu­s

Und so wird man zwar auf das Laster des Lesens hingewiese­n, auf das selbstsüch­tige Verschling­en ungeeignet­er und verderblic­her Schriften. Im Roman Der Dorfgesche­ite enthalten sich aber alle weitgehend dieser bedenklich­en Gewohnheit. Entstanden ist ein potemkinsc­her Bibliothek­sroman, eine Art Attrappe des Hochmanier­ismus. Seine Menetekel aber bedeuten nichts – außer den nachdrückl­ich gestellten Anspruch auf eine forsch anzutreten­de, steile literarisc­he Karriere. Marjana Gaponenko, „Der Dorfgesche­ite“. Roman. € 22,70 / 290 Seiten. C. H. Beck, München 2018

 ??  ??
 ?? Foto: E. von Schwichow ?? Die Ukrainerin Gaponenko hat auf Deutsch geschriebe­n.
Foto: E. von Schwichow Die Ukrainerin Gaponenko hat auf Deutsch geschriebe­n.

Newspapers in German

Newspapers from Austria