Ministerium startet Zugriff auf alle öffentlichen Kameras
Einrichtungen wird Frist gesetzt, um Schnittstellen zu installieren – Datenschützer haben grobe Bedenken
Wien – Das Innenministerium will noch in diesem Jahr landesweit die Videoüberwachung massiv ausbauen und dafür alle Kameras und Aufzeichnungsgeräte in öffentlichen Einrichtungen anzapfen. Die Maßnahme, die im jüngsten Sicherheitspaket beschlossen worden war, beinhaltet auch den polizeilichen Zugriff auf Livebilder von Überwachungskameras. Eine Genehmigung durch einen richterlichen Beschluss ist nicht notwendig.
Die Landespolizeidirektionen fordern derzeit öffentliche Institu- tionen und private Einrichtungen, die einen öffentlichen Versorgungsauftrag haben – also Gemeinden, Spitäler, Bahnhöfe oder Flughäfen –, auf, bekanntzugeben, ob ein öffentlicher Ort in ihrem Wirkungsbereich mittels Bildaufnahmegerät überwacht werde. Für eine Rückmeldung wird eine Frist bis 28. September gesetzt. Außerdem müssen betroffene Einrichtungen auch mitteilen, wie die Polizei durch eine einzurichtende Schnittstelle Zugriff auf die Livebilder dieser Anlagen erhalten könne – und was das koste.
In vielen betroffenen Einrichtungen herrscht Verunsicherung, weil sie auf das Vorhaben des Innenministeriums nicht entsprechend vorbereitet wurden.
Datenschutzexperten äußern auf STANDARD- Anfrage grobe Bedenken: Christof Tschohl, Leiter des Research Institute, das auf Datenschutz und -sicherheit spezialisiert ist, hält das Ansinnen des Innenministeriums für nicht EUrechtskonform, weil es der Datenschutzgeset zgrundverordnung widerspreche. Nationale Gesetzgebung dürfe niemals über dem EU- Gesetz stehen. Er hält sogar ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich für möglich.
Die auf Datenschutz spezialisierte Rechtsanwältin Karin Bruchbacher von der Wiener Kanzlei PHH kritisiert, dass es einige Unschärfen im Gesetzestext gebe: „Es ist nicht genau genug formuliert, um Missbrauch zu verhindern.“Dass die Schnittstellen permanent eingerichtet werden sollen, obwohl laut Gesetz nur im begründeten Einzelfall ein Zugriff legitim sei, werfe Fragen auf. (red)
Die Regierung will offenbar keine Zeit verlieren. Davon zeugt ein Behördenschreiben, das derzeit in Gemeindestuben, aber auch bei Betreibern öffentlicher Personenverkehrsunternehmen oder Spitäler eintrudelt. Die Landespolizeidirektionen fordern darin im Auftrag des Innenministeriums auf, bis spätestens 28. September bekanntzugeben, ob ein öffentlicher Ort in ihrem Wirkungsbereich mittels Bildaufnahmegerät überwacht werde.
Wenn dem so ist, sei innert der genannten Frist mitzuteilen, wie die Polizei durch eine einzurichtende Schnittstelle Zugriff auf die Livebilder dieser Anlagen erhalten könne. Zur Sicherheit sollen die angeschriebenen Einrichtungen auch gleich eruieren, wie viel die Einrichtung einer solchen technischen Schnittstelle kosten werde. Die Notwendigkeit eines solchen Zugriffs wird im Schreiben, das dem STANDARD vorliegt, mit dem „Fall eines kriminal- bzw. sicherheitstechnischen Ereignisses“erklärt.
Hintergrund dieses Schreibens ist das Projekt „ Nutzung von Bildund Tondaten privater und öffentlicher Rechtsträger zur Gefahrenabwehr und Kriminalitätsbekämpfung“, das auf Basis der Sicherheitspolize igesetznovelle vom Frühjahr 2018 durchgeführt wird. Am 20. April wurde mit dieser Novelle das sogenannte Überwachungspaket beschlossen. Darin ist unter anderem eine massive Ausweitung der Videoüberwachung enthalten. So soll die Polizei künftig in Echtzeit auf Bilder von Videoüberwachungsanlagen von Rechtsträgern des öffentli- chen Bereiches sowie des privaten, sofern diese mit öffentlichem Versorgungsauftrag ausgestattet sind, zugreifen dürfen.
Zugriff auf alle Livebilder
Das heißt im Klartext, die Exekutive darf künftig Livebilder aus Überwachungsanlagen sämtlicher Gemeinden, Spitäler, Flughäfen, Bahnhöfe, Züge und eben allem, was dem öffentlichen Raum zuzuordnen ist, ohne vorher einzuholende Genehmigung, etwa in Form eines richterlichen Beschlusses, verwenden. Im Gesetz wird zwar eingeschränkt, dass dies nur im „Einzelfall“erlaubt sei und gewisse Voraussetzungen gegeben sein müssen.
Praktisch bedeutet dies aber, wie auch Datenschutzexperten bestätigen, dass die Polizei künftig nach eigenem Ermessen diese Daten nutzen und auswerten darf. Betroffene werden erst im Nachhinein die Möglichkeit haben, dagegen Beschwerde einzubringen.
Auf die Frage, ob die Nutzung solcher Schnittstellen mit Livebildern nicht dem Datenschutz widersprechen, antwortet das Innenministerium, dass sich „die Frage des Datenschutzes hier vordergründig nicht stelle“. Denn das novellierte Sicherheitspolizeigesetz bilde nun die Grundlage für die Verarbeitung dieser Daten. Dem widersprechen jedoch Experten der Plattform für Grundrechtspolitik Epicenter Works und auch die auf Datenschutz spezialisierte Anwältin Karin Bruchbacher der Wiener Kanzlei PHH.
„Man kann das nicht losgelöst vom Datenschutz sehen“, sagt Bruchbacher. Sie kritisiert, dass es einige Unschärfen im Gesetzes- text gebe: „Es ist nicht genau genug formuliert, um Missbrauch der Daten zu verhindern.“Vor allem, dass die Schnittstellen permanent eingerichtet werden, obwohl laut Gesetz nur im begründeten Einzelfall ein Zugriff darauf legitim sei, werfe Fragen auf.
Christof Tschohl, Leiter des Research Institutes, das auf Datenschutz und -sicherheit spezialisiert ist, hält das Ansinnen des Innenministeriums für nicht EUrechtskonform, weil es der Datenschutzgesetzgr undverordnung widerspreche. Nationale Gesetzgebung dürfe niemals über EU-Gesetz stehen. Er hält sogar ein Vetragsverletzu ngsverfahren gegen Österreich für möglich. Darüber hinaus hält Tschohl angesichts der Dimension einer Live-Schnittstelle eine eigene Rechtsgrundlage für notwendig.