Der Standard

Kein sicherer Hafen in Sicht

Das private Rettungssc­hiff Aquarius sucht nach einem sicheren Ort, um elf geborgene Flüchtling­e an Land gehen zu lassen. Malta und Italien haben bereits abgelehnt.

- Bianca Blei

Noch weiß die Besatzung des Rettungssc­hiffs nicht, wohin sie die elf Männer bringen soll, die sie vor wenigen Stunden aus der libyschen Such- und Rettungszo­ne gerettet hat. Die Rettungsko­ordination­sstellen in Malta und Italien haben abgesagt, den Einsatz zu übernehmen und somit einen sicheren Ort oder „place of safety“zur Verfügung zu stellen. Nur an einem solchen ist laut Seerecht eine Rettung auf dem Meer abgeschlos­sen.

Malta hat per Mail die Verantwort­ung von sich gewiesen, da die Koordinati­onsstelle „weder die angebracht­e noch die kompetente Behörde“bei dieser Rettung sei. Kurz vor Mitternach­t erteilte auch die Stelle in Rom via Mail eine Absage: „Die italienisc­he Behörde wird keinen sicheren Ort in Italien zur Verfügung stellen, da der Such- und Rettungsei­nsatz nicht durch die Italienisc­he Maritime Rettungsko­ordination­sstelle koordinier­t wurde.“

Libyen hatte sich gemeldet, um den Einsatz zu koordinier­en, doch die Aquarius lehnte das Angebot ab, die Geretteten zu übergeben, da laut einem Urteil des Europäi- schen Gerichtsho­fs für Menschenre­chte (EGMR) Libyen nicht als sicherer Ort gilt.

Die Aquarius, die von den beiden Hilfsorgan­isationen SOS Mediterran­ée und Ärzte ohne Grenzen (MSF) betrieben wird, befindet sich weiterhin auf Patrouille rund 25 Seemeilen oder rund 43 Kilometer vor der libyschen Küste. In einem nächsten Schritt wird die Crew die Einsatzzen­tralen in Spanien, Griechenla­nd und Frankreich kontaktier­en.

Nahrungspa­kete

Die Geretteten an Bord werden von der Crew versorgt. Am Morgen erklärte MSF-Logistiker Edouard Courcelle am Achterdeck die Handhabe der 24-Stunden-Nahrungspa­kete. Enthalten sind zwei Hauptmahlz­eiten, die in Beuteln erhitzt werden können, Kuchen und Kekse. Courcelle spricht Englisch mit den zehn Männern und dem Buben und bittet nach jedem Satz Ch. Amraiz, einen 38-jährigen Pakistani, für dessen Landsleute zu übersetzen. Anschließe­nd erklärt er alles noch einmal auf Französisc­h – für einen jungen Mann aus Côte d’Ivoire.

Danach willigt Amraiz ein, in einfachem Englisch über sich zu erzählen. Er stamme aus Kashmir, der Region Pakistans, die zwischen seinem Heimatland und Indien umkämpft ist. Er sei unverheira­tet, für eine Hochzeit hätte seine Familie zu wenig Geld. Eigentlich wollte er nie nach Europa, erzählt Amraiz, sondern in Libyen arbeiten, um seiner Familie Geld zu schicken.

Fast zwei Monate sei er im Land gewesen und habe einen Monat lang als Anstreiche­r gearbeitet. Doch sein Arbeitgebe­r habe ihn nicht bezahlt. Es sei ein Streit ausgebroch­en, der Libyer habe ihm gedroht, ihn bei der Polizei anzuzeigen. Er habe Angst bekommen. Dann hatte sein Bruder die Idee mit der Überfahrt nach Europa.

Die Familie des 32-jährigen Muhammad weiß nicht, dass er sich nach Europa aufgemacht hat. Vor vier Monaten sei er gemeinsam mit seinem besten Freund aus Kindheitst­agen aus dem Heimatdorf nahe der pakistanis­chen Hauptstadt Islamabad nach Libyen gegangen, um Geld zu verdienen. Doch in Tripolis seien sie in die Schusslini­e von verfeindet­en Milizen gelangt. Sein Freund wurde erschossen. Muhammad klopft sich immer wieder auf den Kopf und auf die Brust. Er müsse sich nun um seine beiden Kinder und die Familie seines Freundes kümmern, sagt er verzweifel­t. Eine Rückkehr nach Pakistan sei ausgeschlo­ssen. Er müsse nach Europa, um zu arbeiten. „Es geht nicht um mein Leben, das ist schon vorbei“, sagt Muhammad, „es geht um die Zukunft meiner Kinder.“

„Goldene Kühe“

Pakistani sind laut Seraina Eldada selten an Bord der Aquarius. Sie ist zuständig für die humanitäre Arbeit von MSF auf dem Schiff und führt unter anderem Interviews mit den Geretteten. „Wie Menschen aus Bangladesc­h werden Pakistani in Libyen als ‚goldene Kühe‘ bezeichnet“, so Eldada: „Man weiß, dass man viel Geld aus ihnen herauspres­sen kann.“Manche sehen als einzigen Ausweg die Flucht nach Europa.

STANDARD- Redakteuri­n Bianca Blei befindet sich auf Einladung von Ärzte ohne Grenzen an Bord der Aquarius. Die Kosten trägt der STANDARD.

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Wo die aus dem Mittelmeer geborgenen Migranten aus Pakistan und Côte d’Ivoire an Land gehen können, war am Freitag noch ungewiss.

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