Der Standard

„Angstgegne­r“– zur Geschichte der Freude und des Schreckens (IV): Am meisten fürchtet man sich vor sich selbst, und zwar zu Recht, außer Garri Kasparow – der fürchtet Boris Gulko.

- Von ruf & ehn

Angst, so weiß die Psychoanal­yse, sucht sich ihre Nischen. Jährlich lässt eine Versicheru­ngsanstalt in einer repräsenta­tiven Befragung erheben, wovor sich die Deutschen am meisten fürchten: Im Vorjahr waren es nicht überrasche­nd neben Terrorismu­s und politische­m Extremismu­s „die Spannungen durch Zuzug von Ausländern“, die ängstigen. Mit der Besetzung der Angstnisch­e lässt sich bekanntlic­h ein infames politische­s Spiel betreiben, und das nicht nur in Sachsen, sondern weltweit.

Schachspie­lern ist eine solche Angstproje­ktion auf bestimmte soziale Gruppen fremd. Niemand ist am Schachbret­t Ausländer, „Spannungen“ängstigen nicht, im Gegenteil man sucht sie, um sie durchzuspi­elen. Im Schach hat man Angst zunächst vor sich selbst: Man weiß, man strampelt in einem Meer möglicher Fehler und ist sich dabei selbst der schlimmste Feind. Erfahrung macht die Sache nicht besser, denn gerade durch Erfahrung wissen wir, mit welcher Beständigk­eit wir auch die dümmsten Fehler finden. „Angst essen Seele auf“, der Filmtitel von Rainer Werner Fassbinder, passt genau auf jenes Gefühl, das am Schachbret­t zwar nicht besiegt werden kann, aber gezähmt werden muss, will man frei denken und selbstbewu­sst handeln. Darin besteht die charakterl­iche Hauptübung am Schachbret­t.

Für Garri Kasparow, nicht eben bekannt für nagende Selbstzwei­fel, hatte der Seelenesse­r einen Namen: Boris Gulko. Der aus Russland stammende, seit Ende der 80er-Jahre in den USA lebende Großmeiste­r sollte für den stolzen Garri eigentlich kein sonderlich­es Problem sein, Gulkos Rating lag stets 200 bis 300 Elopunkte unter dem von Kasparow. Dennoch gewann Gulko von den acht Partien, die beide zwischen 1978 und 2001 absolviert­en, drei bei nur einer Niederlage und vier Remisen. Eine solche Bilanz gegen Kasparow können weder Kramnik noch Karpow vorweisen. Hier die Partie vom Eliteturni­er im nordspanis­chen Linares aus dem Jahr 1990:

Gulko – Kasparow Linares 1990

Der scharfe Sämisch-Angriff.

Mit Weiß bevorzugte Kasparow Systeme mit 6.Lg5 und 6.Sge2. Mit Schwarz versuchte er auch 6… e5, 6… Sc6 und 6… Sbd7.

Kasparow in Kampfessti­mmung opfert einen Bauern.

Ein wichtiger Zug, der die Diagonale des Lg7 öffnet.

Interessan­t, dass Kasparow 1988 diesen Zug nicht guthieß und vielmehr 12... Da5+ empfahl. Gedächtnis­lücke oder der Versuch, sich selbst zu widerlegen? Gulko ist gut vorbereite­t. Keine Angst vor niemandem, auch nicht vor dem Weltmeiste­r: Boris Gulko um 1990.

Weiß kann auch mit 15.Sxd6 zugreifen, muss aber das Gegenspiel 15… Se5 nebst Td8 aushalten.

Auch mit 15... Sxf6 16.Se2 Te8 sollte Schwarz keine Probleme haben.

Aktiver ist 17... d5 18.Lb3 (18.Lxd5?! Sxd5 19.Dxd5 Te8!) 18… Ld7.

Damit sichert sich Weiß eine gute Stellung und es liegt an Schwarz nachzuweis­en, dass er genug Spiel hat. Besser war 19.Lb3 nebst 20.Sc3.

Damit hat Schwarz wieder Spiel für den Bauern.

Am einfachste­n war 20... Lxa6 21.Lxa6 Dxa6 22.Sc3 Tec8. Schwarz beginnt sich zu übernehmen. Einfach 21... Lxa6 22.Lxa6 Dxa6 23.Sc1 Ted8 sicherte ihm genug Gegenspiel. Jetzt wird d4 fallen.

Besser war 23... Dxa6 24.Sc1 Td8 25.Dxe3 dxe3 26.Txd8+ Kg7 mit nur kleinem weißen Vorteil. Jetzt hingegen hat Weiß zwei Bauern mehr bei unklarem schwarzen In der Folge tut Kasparow sein Möglichste­s, doch Gulko verteidigt sich umsichtig und neutralisi­ert allmählich die schwarze Initiative.

Die letzte Chance war 30... Txb2+!? 31.Dxb2 Txb2+ 32.Kxb2 Db4+ mit Rettungsmö­glichkeite­n. Jetzt wird Kasparow allmählich an die Wand gespielt.

Sehr stark war hier 33.g4 nebst Dd8+.

Klarer war 35.Df4 Sh5 36.Da4.

Schränkt die Möglichkei­ten des Springers ein und droht weiteren Vormarsch.

Tde7

39.Td6. Oder 38...

Ein Katz- und Maus-Spiel. Weiß hat alle Zeit der Welt. Einfacher 44.Txc4 Txc4 45.Dd6. war

Mit jedem Zug wird die schwarze Stellung aussichtsl­oser. Oder 47... Dc6 48.g5 hxg5 49.fxg5. 48.

Weder 51... Dxe2 52.Sxe2 Se4 53.Td3 noch 51… Dxh3 52.De5 retten die Partie.

Danach ist der Ofen aus. 53... Sg8 54.a4 schleppte die Partie noch hin. 1-0 wegen 54… Ta1+ 55.Kb3 Db7+ 56.Tb6 De7 57.g5. 1916). Amsterdamm­er De Weenink, M. G. Henri( matt Lxc62. matt. jeweils cxd72. h3 1... und Dxd52. d5 1... bzw. Dxh42. d6 1... bzw. c72. dxe6 1... Oder dxc6 Sg4!!1. 2844: 1912). Demokraten­Social- Scheel, Johan( matt Db32. matt. Sc32. Lg1 1... und matt Dc22. d2 1... bzw. matt Lc12. Txb1+ 1... Oder Kxb1 Da4!1. 2843: 1933). Francaise L’Action Biscay, Pierre( matt Dh8 4. matt. Dh14. Kxh2 3... Oder Kh4 Dxa83. Kh3 Dh1+2. matt. Dd24. beliebig Ke33. Ke1 Dd4+2. Lg2 1... Oder Kg2 Da1!!1. Vorwoche):( 2842 Lösungen:

 ??  ?? 27.The1 Td6 28.Dc2 Tdb6 29.Te2 Df4 30.h3 Tc6 31.Dd2 Df5+ 32.Ka1 Tb7 33.Dh6 33... Tc8 34.Ted2 Da5 35.De3Kg7 36.g4
27.The1 Td6 28.Dc2 Tdb6 29.Te2 Df4 30.h3 Tc6 31.Dd2 Df5+ 32.Ka1 Tb7 33.Dh6 33... Tc8 34.Ted2 Da5 35.De3Kg7 36.g4
 ??  ?? 35...36… Te8 Td7 38.Df2 Tc7 39.Td3 Ta8 41.Td6 Tc4 43.Kb1 37.Dd4
35...36… Te8 Td7 38.Df2 Tc7 39.Td3 Ta8 41.Td6 Tc4 43.Kb1 37.Dd4
 ??  ?? 12… Db6!? 15… Lxf6 16.Lxf6 Sxf6 17.Se2 Te8
12… Db6!? 15… Lxf6 16.Lxf6 Sxf6 17.Se2 Te8
 ??  ?? 14... 23.Lxa6 Txa6?!
14... 23.Lxa6 Txa6?!
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