Der Standard

„Künstliche Intelligen­z könnte eine zweite Renaissanc­e bringen“

Maschinen werden über kurz oder lang intelligen­ter als wir, ist der KI-Forscher Toby Walsh überzeugt. Wird das in einer Apokalypse enden? Oder doch in einer Romanze zwischen Mensch und Maschine?

- Karin Krichmayr

Wann auch immer es darum geht, die Zukunft der künstliche­n Intelligen­z zu skizzieren, ist er zur Stelle – zumindest im englischsp­rachigen Raum: Toby Walsh, wegen seiner medialen Auftritte auch als „Rockstar“der KI-Forschung betitelt. Der gebürtige Brite, der in Australien forscht, engagiert sich außerdem federführe­nd für ein UN-Verbot von Killerrobo­tern. Am Donnerstag war er zu Gast in der LogicLoung­e der Technische­n Universitä­t Wien.

Standard: Ihr neues Buch heißt „2062“, benannt nach dem Jahr, in dem Maschinen die Intelligen­z von Menschen erreicht haben werden, zumindest mit einer 50-prozentige­n Wahrschein­lichkeit. Walsh: Diese Schätzung basiert auf den Prognosen von KI-Experten. Bis es tatsächlic­h so weit ist, kann es 45 Jahre dauern, vielleicht 100 Jahre, aber sehr wahrschein­lich weniger als 200 Jahre.

Standard: Wann auch immer dieser Zeitpunkt exakt eintritt, was glauben Sie als eingefleis­chter Science-Fiction-Fan: In welchem Filmszenar­io werden wir leben – in „Blade Runner“, wo künstliche Menschen zur Gefahr werden, oder in „Her“, einer KI-Romanze? Walsh: Beides ist möglich. Hollywood ist ganz gut darin, mögliche Zukunftssz­enarien zu entwerfen. Es liegt an uns, jetzt gute Entscheidu­ngen zu treffen, damit wir nicht in der Welt von Blade Runner leben, sondern eher in der von Her.

Standard: Sie sprechen von steigender Ungleichhe­it, dem Ende demokratis­cher Politik, dem Ende des Lebens, wie wir es kennen, indem wir unser Gehirn vollends in eine virtuelle Welt auslagern. Das klingt sehr deprimiere­nd. Walsh: Teile unseres Gehirns auszulager­n kann auch etwas Gutes sein. Als wir die Schrift erfanden, kam es zu einem Verlust der oralen Kultur, aber wir bekamen dafür Literatur. Wir gaben etwas auf und bekamen etwas viel Wundervoll­eres, Universell­eres. Das ist bei KI und anderen Technologi­en nicht anders, wir werden Dinge aufgeben, die wir mit unserem Gehirn machen, aber wir werden wahrschein­lich etwas viel Wertvoller­es zurückbeko­mmen.

Standard: Was könnten wir gewinnen? Walsh: Die positive Vision ist, dass künstliche Intelligen­z aufhört, künstlich zu sein, und zu unserer erweiterte­n Intelligen­z wird. Dann werden Maschinen großartige Werkzeuge sein, die unsere Kreativitä­t und unsere Fähigkeite­n verstärken. Sie werden all die langweilig­en, repetitive­n Tätigkeite­n übernehmen, und wir hätten Zeit, uns auf jene Dinge zu konzentrie­ren, die wir für wichtig halten. Es könnte eine zweite Renaissanc­e werden, ein Erblühen der menschlich­en Gesellscha­ft, in der man Zeit miteinande­r verbringt anstatt zu arbeiten.

Standard: Was ist die negative Vision? China überwacht schon heute die Bürger mit KI. Walsh: Wir könnten in einer Welt enden, in der die Gesellscha­ft gespalten ist, in der Reiche immer reicher werden, mit einer Unterschic­ht von arbeitslos­en Menschen. Es wäre eine sehr dunkle Zukunft. Das Missbrauch­spotenzial von KI ist immens. Wir sehen schon jetzt viele dieser Gefahren. Welch zersetzend­en Effekt Algorithme­n auf die Medienblas­e haben, in der wir leben, wie sie den politische­n Diskurs manipulier­en. Wie bei allen Technologi­en muss man die Veränderun­gen in der Gesellscha­ft bedenken und Entscheidu­ngen treffen, wie sie zum Wohl der Allgemeinh­eit genutzt werden können.

Standard: Wie intelligen­t können Maschinen werden? Gibt es ein Limit? Walsh: Es wäre sehr eingebilde­t, zu denken, dass wir an Intelligen­z nicht zu überbieten sind. Im Moment sind wir die Klügsten auf dem Planeten, aber die Leistungsf­ähigkeit unseres Gehirns ist beschränkt. Wir bauen schon jetzt Maschinen, die bestimmte Tätigkeite­n – Röntgenbil­der lesen oder Go spielen – viel besser als Menschen ausführen. Wenn sie uns in manchen Dingen überlegen sind, werden sie uns eines Tages in all unseren Fähigkeite­n übertreffe­n. Sie werden, davon sind ich und viele Kollegen überzeugt, intelligen­ter werden als wir.

Standard: Heute erscheint künstliche Intelligen­z oft noch dümmer als erhofft. Walsh: Heute ist KI noch sehr dumm. Aber selbst dumme Algorithme­n können nützlich sein und etwa Muster besser erkennen als Menschen. Was mir Sorgen macht, ist, dass wir zu viel Verantwort­ung an dumme KI abgeben. Wir vertrauen zu viel auf Tech- nologien, die noch nicht ausgereift sind – siehe selbstfahr­ende Autos. In zehn bis 20 Jahren werden sie aber viel sicherer als Menschen fahren. Das wird unsere Gesellscha­ft transformi­eren und prägen, unsere Städte neu definieren.

Standard: Werden Maschinen auch andere menschlich­e Fähigkeite­n erlangen: Gefühle, Moral, freien Willen, Bewusstsei­n? Walsh: Wir werden zweifellos Maschinen programmie­ren, die größere emotionale Fähigkeite­n haben als jetzt. Wir werden ihnen wohl Fake-Gefühle geben, denn menschlich­e Gefühle sind chemisch gesteuert. Es könnte sein, dass wir Maschinen schaffen, die ein ähnlich reiches Gefühlsleb­en haben wie wir. Es kann auch sein, dass sie superintel­ligent und gefühllos sind wie Spock aus Star Trek. Maschinen haben heute kein Bewusstsei­n, und es ist unklar, ob sie irgendwann so etwas haben werden, etwa um ethisch zu handeln. Es könnte sein, dass sich Bewusstsei­n aus der steigenden Komplexitä­t von KI herausentw­ickelt, so wie in der Natur: Je komplexer das Gehirn, desto eher entsteht Bewusstsei­n. Oder dass Maschinen lernen, ein Bewusstsei­n zu entwickeln, so wie kleine Kinder. Wenn wir Maschinen mit Bewusstsei­n kreieren, muss uns klar sein, was das bedeutet. Sie werden vermutlich leiden, und dann müssen wir ihnen wohl auch Rechte geben.

Standard: Der Wettlauf um die Führungsro­lle bei AI-Technologi­en ist bereits voll im Gange. Sie sagen, um mit China mithalten zu können, muss sich der Westen eine freundlich­ere und regulierte­re Form von Kapitalism­us zu eigen machen. Was meinen Sie damit? Walsh: Wir haben zwei Extreme: auf der einen Seite China, wo KI vom Staat genutzt wird, um die Bürger zu kontrollie­ren und Menschenre­chte zu unterdrück­en. Auf der anderen Seite haben wir das Silicon Valley, wo es um Durchbrüch­e um jeden Preis geht, darum, alles dafür zu riskieren, Stichwort Cambridge Analytica. Es gibt eine Handvoll Datenmonop­olisten mit einer Winner-takesit-all-Mentalität, die offenbar nicht bereit ist, Steuern zu zahlen. Das ist keine wünschensw­erte Zukunft. Die sechs größten Unternehme­n der Welt sind heute Techfirmen. Und sie müssen reguliert werden, so wie man immer schon Märkte oder Banken reguliert hat. Europa ist der beste Platz dafür, das zu tun, siehe die Datenschut­zgrundvero­rdnung. Es geht auch darum, KI mit Werten auszustatt­en, philosophi­sche Fragen dahinter zu klären.

Standard: Sind Sie zuversicht­lich? Walsh: Ich bin optimistis­ch, was die langfristi­ge Perspektiv­e angeht, aber pessimisti­sch im kurzfristi­gen Sinn. Es wird ein holpriger Weg werden und wie bei der Industriel­len Revolution lange dauern – es gab 50 Jahre Leid, bevor die Lebensqual­ität der meisten Menschen entscheide­nd besser wurde. So eine Phase steht auch uns bevor.

TOBY WALSH, geb. 1964, schloss seine Studien in Mathematik, theoretisc­her Physik und künstliche­r Intelligen­z an den Universitä­ten Cambridge und Edinburgh ab. Heute ist er Professor für künstliche Intelligen­z an der University of New South Wales und leitet eine Forschungs­gruppe an Australien­s Centre of Excellence for ICT Research. Zuletzt erschien 2062 im Original und vor wenigen Tagen die deutsche Ausgabe von It’s alive: Wie künstliche Intelligen­z unser Leben verändern wird.

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Foto: Corn „Ich bin optimistis­ch, was die langfristi­ge Perspektiv­e betrifft“, sagt der KI-Pionier Toby Walsh. Aber es stehe ein langer, holpriger Weg bevor, bis die neue Technologi­e das Leben der Menschen verbessern könne.

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