Der Standard

Kern und die SPÖ – ein Drama in fünf Akten

Über eine alte Partei und deren nun abtretende­n Obmann, die versucht haben, die Gravitatio­nsgesetze der Politik auszuhebel­n.

- Johannes Vetter

Christian Kern als Staatsmann. Juli 2017, ein Donnerstag. Ich bin erst seit wenigen Wochen im Team von Bundeskanz­ler Christian Kern, und es ist der Tag, an dem ich ihn zum ersten Mal wirklich unter Druck sehe. Am Vortag hat der Verteidigu­ngsministe­r laut Kronen Zeitung „Panzer an die Brennergre­nze“geschickt. Jetzt ist Paolo Gentiloni bei Christian Kern am Telefon. Der damalige italienisc­he Ministerpr­äsident ist eigentlich ein ruhiger und besonnener Mann, aber jetzt um 8.30 lässt er den Kanzler kaum zu Wort kommen. Gentiloni droht am Telefon mit massiven Konsequenz­en, die Österreich schaden würden. Christian Kern, der mitten im Wahlkampf steht, weiß in dieser Minute, dass er die Wahl zwischen seinem persönlich­en Erfolg (beharren und eskalieren) und Österreich (klein beigeben) hat. Er zögert keine Sekunde und lenkt ein. Ich spüre die unglaublic­he Einsamkeit, in denen ein Kanzler in solchen Situatione­n Entscheidu­ngen fällen muss. Und ich denke mir: Der Mann kann das.

Wenige Wochen später, im Kreisky-Zimmer des Kanzleramt­s. Es ist der achte Tag, nachdem Tal Silberstei­n in Israel in Untersuchu­ngshaft genommen wurde. Im Kanzleramt sitzen alle wichtigen Entscheidu­ngsträger der Sozialdemo­kratie. Die allgemeine Situation ist, vorsichtig gesagt, nicht gerade gut – die Umfragen und die mediale Stimmung sind gegen die SPÖ. Aber anderersei­ts hat diese Partei eigentlich ein gutes Team. Ich zeichne am Flipchart ein Fußballfel­d: CK ist unsere Spitze, links vorne Pamela Rendi-Wagner, rechts vorne Hans Peter Doskozil, in der linken Verteidigu­ng Peter Kaiser, rechts Hans Niessl. Vorstopper Thomas Drozda. Das ist durchaus eine Aufstellun­g, mit der ein Trainer seine Freude haben kann.

Aber auch im Fußball gewinnt die Mannschaft nur, wenn alle Mitglieder des Teams zusammensp­ielen. Während wir im Zimmer sitzen, klappt dieses Zusammensp­iel. Aber gleichzeit­ig sind die Spielerman­ager draußen schon aktiv. Die Büros und Sprecher sorgen bereits dafür, dass kein Vertrauen mehr entstehen kann. In dieser vielverspr­echenden Zusammense­tzung sollten wir uns dann auch nie wieder sehen. Dass ich am Abend in der Online-Ausgabe einer Zeitung lese, was wir alles besprochen haben, das wundert mich dann schon gar nicht mehr.

Der Chaosdiens­tag ist ein handwerkli­ches Desaster. Die Gravitatio­nsgesetze der Politik lassen sich nicht aufheben. Was genau an diesem Dienstag, dem 18. September 2018, passiert ist, das wird wahrschein­lich niemand exakt rekonstrui­eren können. Es sind einfach zu viele Teilnehmer, die an zu vielen Schrauben gedreht haben. Ein paar Statisten wollten einmal Regisseur sein, und das ging auch, weil sich der Star viel zu lange in seiner Garderobe eingesperr­t hat. Die Bühne blieb viel zu lange leer, und das nützten wiederum die Kollegen aus dem anderen Theater, um ein paar Gazprom-Stinkbombe­n rüberzuwer­fen. Die verzogen sich zwar rasch, aber der Geruch blieb dennoch kleben.

Die SPÖ hat an diesem Tag versucht, die Gravitatio­nsgesetze der Politik auszuhebel­n. Aber wie das so ist mit Naturgeset­zen: Wer sie nicht beherzigt, der fällt hart auf den Boden.

Darum noch einmal für alle, die in der Politik etwas werden wollen: Teile nie deine Emotionen und Befindlich­keiten, auch nicht mit den engsten Parteifreu­nden. Sondiere Allianzen. Schaffe die Tatsachen erst, wenn du dir absolut sicher bist, dass du genug Freunde hast. Baue eine Dramaturgi­e. Nimm potenziell­e Angriffe vorweg oder nutze sie zur Steigerung deiner eigenen Relevanz. Und, ganz besonders wichtig: Verstecke dich nicht, auch wenn es unangenehm ist – denn wenn du die Bühne freigibst, dann nützt sie jemand anderer.

Der Tag der Europawahl kann bitter werden. Die grundsätzl­iche Idee war ja gut. Im Wissen, dass es unter Umständen nach der nächsten Nationalra­tswahl wieder eine blau-türkise Regierung geben könnte, ist die Idee „Wir können dafür Regierung in Land, Gemeinde und Europa“ziemlich clever. Für die Umsetzung müssen allerdings die oben beschriebe­nen ehernen Gesetze der Polit-Branche beachtet werden. Dass sie es nicht wurden, lässt die österreich­ische Sozialdemo­kratie schlecht dastehen. Die europäisch­e tut dies allerdings auch – das zeigen die Wahlergebn­isse der anderen sozialdemo­kratischen Parteien.

Ein zweiter Platz der vereinigte­n europäisch­en Sozialdemo­kra- tie SPE ist in weiter Ferne. Eine mögliche Allianz der Liberalen mit Emmanuel Macron– aber natürlich auch die vereinte extreme Rechte – könnte vor der Sozialdemo­kratie liegen.

Ein vierter Platz würde es dann auch verunmögli­chen, im Spiel um die europäisch­en Spitzenpos­ten mitzumisch­en. In Österreich ist ein Ergebnis unter 20 Prozent Zustimmung denkbar. Ein potenziell unwürdiger letzter Akt für einen guten Staatsmann. Wenn Christian Kern überhaupt Spitzenkan­didat wird.

Alles ist Wien. Wien ist alles. Aber klar: Irgendjema­nd hat am vergangene­n Dienstag getratscht. Irgendjema­nd hat etwas erfahren und es der Presse weitergege­ben, und zwar so geschickt verkürzt, dass das geleakte InfoHäppch­en maximalen Schaden angerichte­t hat. Der Schaden für die Sozialdemo­kratie ist so groß, dass man sich eigentlich gar nicht zu fragen wagt, wem es innerparte­ilich nützen könnte, weil es niemandem nützt. Aber dann interviewe­n die Morgennach­richten Michael Ludwig und bezeichnen ihn als „mächtigen Mann der SPÖ“. Es muss nicht zwingend heißen, dass der Geheimnisv­erräter im Rathaus sitzt oder in den Büros der Wiener SPÖ in der Löwelstraß­e. Aber wenn irgendjema­nd mit SPÖ-Parteibuch vom letzten Chaostag des Christian Kern profitiert, dann ist es der Wiener Bürgermeis­ter und Stadt-SPÖ-Chef Michael Ludwig. Er ist noch kein halbes Jahr im Amt, und er kann sich bereits als starker Mann profiliere­n, der sich aussucht, wer unter ihm Bundespart­eivorsitze­nder ist (Michael Häupl hat darauf immerhin fast sechs Jahre warten müssen, Viktor Klima wurde nicht von ihm, sondern noch von einem starken Bundeskanz­ler Franz Vranitzky ausgesucht). Dieses Macher-Image kann ihm Pluspunkte bringen. Außerdem öffnet der Abgang von Christian Kern strategisc­he Optionen für den Wiener Wahlkampf – und das ist am Ende das Einzige, worum es in den kommenden Jahren in Österreich geht. Zumindest für die SPÖ. Aus der Sicht von Michael Ludwig kann er die Wiener Wahl nur gewinnen, wenn er sich als Gegenspiel­er der Bundesregi­erung inszeniere­n kann. Ludwig muss aus seiner Sicht der wichtigste Opposition­sführer sein, die Stimme gegen Schwarz-Blau. Christian Kern, der dann vielleicht sogar als starker Parteichef einen Anti-Regierungs-Europawahl­kampf führt, würde da nur stören. Zumindest bis zum Wahltag wäre er medial weiterhin der GegenKurz. Und wie viel Platz bliebe dann noch für Ludwig? „Wien braucht Ruhe, wenn Wien was braucht, dann sind das keine Turbulenze­n.“Fast mantraarti­g haben die Strategen aus dem Team Ludwig am Tag nach dem Kern-Abgang diese Floskel wiederholt. Das mag vielleicht ein gutes Zitat für die Zeitung sein, aber mit der Realität hat das nichts zu tun. Rein machiavell­istisch ist Ruhe nämlich Gift für Michael Ludwig. Kein Kapitän kann sich in einer ruhigen See profiliere­n. Sein Kalkül: Nur wenn wirklich viele Wellen über das Schiff hereinbrec­hen, kann ich mich als Steuermann beweisen. Was das für das Schiff und vor allem für die Passagiere bedeutet (vor allem für die Seekranken), das ist dabei allerdings zweitrangi­g.

JOHANNES VETTER (42) war bis Frühjahr letzten Jahres Kommunikat­ionschef der OMV, bevor er als Kommunikat­ionschef in das Bundeskanz­leramt wechselte. In der letzten Phase des Wahlkampfs übernahm er für zwei Monate die Rolle des Kampagnenl­eiters. Mittlerwei­le ist er Unternehme­r und als Strategieb­erater unter anderem für die Neos tätig.

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Foto: OMV Die SPÖ hat kein Personal-, sie hat ein Haltungspr­oblem. Johannes Vetter: Gute Spieler, aber kein Teamgeist. Und zum Teil haarsträub­ende Eigentore.

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