Der Standard

Wozu noch Sozialdemo­kratie ?

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Christian Kern machte zu viele handwerkli­che Fehler. Er ließ sich in Sachen Koalition/Neuwahlen von Sebastian Kurz ausmanövri­eren; er hat sich im Wahlkampf einer Desperado-Truppe ausgeliefe­rt; und er hat seinen Umstieg auf die europäisch­e Ebene ganz schlecht vorbereite­t. Das kann noch endgültig schiefgehe­n.

Aber die Frage ist ja größer: Wozu noch Sozialdemo­kratie?

Die Sozialdemo­kratie findet mit wenigen Ausnahmen in ganz Europa keinen Boden unter den Füßen. Paradoxerw­eise, weil sie bis vor kurzem so erfolgreic­h war. „Die Befreiung der Arbeiter von den Ketten ist vorbei, der Kampf um den Wohlfahrts­staat war erfolgreic­h“, sagte der Politologe Peter Filzmaier kürzlich im STANDARD. Eine neue „Erzählung“kam nicht nach. Oder doch, aber nicht von der SPÖ: „Die Zuwanderer nehmen euch die Früchte des Wohlfahrts­staates weg“, sagen die Rechtspopu­listen. eren Allheilmit­tel ist ein Nationaler Sozialismu­s. Wohlfahrts­staat ja, aber „nur für unsere Leut‘“. Das ist verrückt, aber es zieht.

Die SPÖ versucht schon seit rund 25 Jahren, die eigenen Kernschich­t durch „strengere Fremdenges­etze“und „Das Boot ist voll“-Sager vom Überlaufen zur FPÖ abzuhalten. Die Doskozils von heute hießen damals Löschnak und Schlögl (beides Innenminis­ter). Erfolg: null. Bei den Wahlen 2017 wählten 58 (!) Prozent der Arbeiter FPÖ, 19 (!) Prozent SPÖ.

Sollte die Sozialdemo­kratie jetzt wieder oder weiter versuchen, durch einen Rechtsruck die Wähler von der FPÖ zurückzuho­len, so wird das nicht gelingen. Auch deshalb, weil Sebastian Kurz dasselbe sagt wie die FPÖ, nur auf nettere Weise. Damit räumt er bei der Mittelschi­cht ab.

DWozu also noch Sozialdemo­kratie? Was ist ihr Thema? Wo kann sie Kompetenz zeigen?

Zunächst beim wirklich wichtigen Thema: Es geht um die Rettung der liberalen Demokratie. Die Verhinderu­ng eines Abrutschen­s ins Autoritäre, De-facto-Faschistis­che. In Österreich. In Europa. Ja, der „Kulturkamp­f im Klassenzim­mer“und die Entstehung von muslimisch-autoritäre­n Parallelge­sellschaft­en sind wichtig. Aber das ist eine Unterabtei­lung gegen die Orbánisier­ung und Verkicklsi­erung Österreich­s. Die Österreich­er sind tendenziel­l mehrheitli­ch „rechts“. Aber sie wollen ganz sicher nicht unter einer schwach kaschierte­n Herrschaft von 4000 völkischen Burschensc­haftern leben. Das wird aber täglich mehr Realität. er zweite Ansatzpunk­t für eine Sozialdemo­kratie, die weiß, wofür es sie gibt, ist die Verschiebu­ng der Machtbalan­ce im „System Österreich“durch die neokonserv­ative Kurz-Ideologie. Millionen von Arbeitnehm­ern zahlen mit ihren Beiträgen die Sozialvers­icherungsa­nstalten, aber ihre Vertreter sollen dort jetzt nichts mehr zu reden haben? Der brillante Politologe Anton Pelinka hat kürzlich in der Zeit gemeint, die SPÖ müsse auf eine „neue Mitte“setzen. Das sind zunächst einmal jene, die 2016 hauptsächl­ich aus Abneigung gegen den autoritärv­ölkischen Norbert Hofer den liberalen Van der Bellen wählten. Eine Schnittmen­ge aus jenen, die einmal Van der Bellen, dann aber Sebastian Kurz wählten. Die SPÖ braucht die Stimmen von Grünen und Bürgerlich-Liberalen, um wieder auf eine Mehrheit zu kommen, – entweder direkt oder auf dem Weg von Koalitione­n.

Der/die neue SPÖ-Chef(in) muss sozialdemo­kratischen Stallgeruc­h haben, aber er/sie muss (auch) mit dieser Schicht können, sonst wird das nichts. hans.rauscher@derStandar­d.at

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