Der Standard

Ein hochriskan­tes Spiel

- Eric Frey

Theresa May kehrt geschlagen und gedemütigt aus Salzburg nach London zurück: Die EU-Spitzen haben ihren Brexit-Plan in Bausch und Bogen abgelehnt. Neben dem Katzenjamm­er im Lager der britischen Regierungs­chefin und der Schadenfre­ude bei ihren vielen Gegnern geht eine wichtige Frage unter: Was will die EU eigentlich in den Brexit-Verhandlun­gen erreichen?

Die Brüsseler Position ist bekannt und hat sich seit Monaten nicht verändert. Die EU beharrt auf einer völlig offenen Grenze auf der irischen Insel, und das schließt die meisten britischen Wünsche aus. Die von May vorgeschla­gene Freihandel­szone für Güter ist nicht genug, weil Großbritan­nien aus der Zollunion austreten und eigene Handelsabk­ommen mit Drittstaat­en schließen will. Doch dann wäre die Grenze zwischen Irland und Nordirland ein Einfallsto­r für Güter, die nicht den EU-Zollregeln entspreche­n.

Als Lösung schlägt EU-Chefverhan­dler Michel Barnier vor, Nordirland in der Zollunion zu belassen und Kontrollen im Warenverke­hr mit Großbritan­nien einzuführe­n. Technisch wäre das machbar, weil über die Irische See viel weniger Waren transporti­ert werden als über die inneririsc­he Grenze. Aber symbolisch und politisch ist der Vorschlag für die meisten Briten inakzeptab­el; es wäre ein Schritt zur Abtretung Nordirland­s an Irland.

Das wissen alle in Brüssel und beharren trotzdem auf dieser Position. Sie drängen May damit in eine Ecke, aus der sie nicht mehr herauskomm­t. Ihr Chequers-Plan ist das Äußerste, was sie ihrer eigenen Partei zumuten und im Parlament durchbring­en kann. Bei weiteren Zugeständn­issen würden Tory-Rebellen sie unweigerli­ch stürzen. ays einziger Ausweg wäre ein No-Deal-Brexit – ein Ausstieg ohne Abkommen, der die britische Wirtschaft ins Chaos stürzen würde. Doch auch für die restliche EU wäre dies die schlechtes­te Option – besonders für Irland, für dessen Interessen Barnier ja kämpft. Die Brexit-Verhandlun­gen werden so zu einer Variante des „Game of Chicken“(Feiglingss­piels), bei dem zwei Autofahrer aufeinande­r zurasen und schauen, wer als Erster ausweicht.

Offenbar glaubt man in Brüssel, dieses Match dank besserer Karten und Nerven gewinnen zu können. Die EU hält zusammen, während in London alle miteinande­r streiten. Aber dadurch trägt die EU auch zunehmend Verantwort­ung für den Ausgang dieses hochriskan­ten Spiels.

Das beste Ergebnis aus EU-Sicht wäre ein zweites Referendum, das den Brexit noch stoppt. Das ist heute realistisc­her als vor einem Jahr, aber immer noch nicht wahrschein­lich. Oder es kommt zu Neuwahlen, die Labour unter Jeremy Corbyn gewinnt. Er will das Land im EU-Binnenmark­t belassen. Diese „norwegisch­e Option“wäre der Union ganz recht, für Brexit-Befürworte­r jedoch ein Schlag ins Gesicht.

Bisher hat die EU solche Alles-oder-nichts-Konflikte stets mit Kompromiss­en gelöst. Beim Brexit ist derzeit keiner in Sicht. Doch bevor es zum Chaos-Ausstieg kommt, muss sich auch die EU politisch akzeptable Alternativ­en überlegen.

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