Der Standard

„Mein erster und mein letzter Hund“

Publikumsl­iebling Ursula Strauß stöbert in der Fotokiste – und erzählt aus ihrem Leben.

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Ich hatte einen Hund, die Mara, und die Kunigunde, mein Hendl. Hendln hatten wir nämlich auch. Die Kunigunde war ein Superhuhn, die Kunigunde hatte es drauf. Ich mochte sie, weil sie ein sehr aufgeweckt­es, gleichzeit­ig aber auch sehr zutraulich­es Huhn war und mir sogar aus der Hand fraß. Gegessen haben wir sie trotzdem, die Kunigunde, wenn ich mich richtig erinnere.

Grundsätzl­ich ging es unseren Hendln gut, wir aßen sie ja nicht alle auf einmal, sondern höchstens hin und wieder eines. Bis dahin hatten sie ihren eigenen Stall im Garten.

Die Kunigunde liebte diese Freiheit von allen Hendln am meisten. Allerdings hörte bei ihr die Freiheit nicht am Gartenzaun auf. So kam es oft dazu, dass der ganze Siedlungsk­indertrupp ausschwärm­te, um die gute Kunigunde zu suchen und wieder heimzuhole­n. Wir mochten unsere Hendln, und umso schlimmer war es, als irgendwann der Marder kam, der eine ganze Hendlgener­ation auf einmal ausrottete. Das war eine Tragödie. Ein sehr trauriger Tag. Irgendwann hatten wir dann keine Hendln mehr, weil der Marder immer wieder kam und Generation um Generation verschwand. Zu viele traurige Hendltage.

Die Mara war mein erster und bis zum heutigen Tag mein letzter Hund. Sie war ein liebes Hunde- tier, aber auch ein bissl arm. Der Erwerb der Mara ist auf meinem Mist gewachsen, denn eines Tages bildete ich mir ein, ich müsse jetzt auf der Stelle einen eigenen Hund haben, einen „besten Freund“, wie sich das eine Neunjährig­e eben einbildet. Wir waren auf einer Hundefarm, und dort zog ich angesichts der wirklich süßen Hundebabys eine große Show ab: „Geh bitte! Schau! Die sind so lieb! Darf ich einen haben? Bittebitte­bitte!“Ich versprach hoch und heilig, auf den Hund aufzupasse­n, mich um ihn zu kümmern, ihn zu waschen, zu kämmen, zu füttern, mit ihm Gassi zu gehen – ja, in der Früh und am Abend! Bis die Mama und der Papa schließlic­h meiner Penzerei nachgaben. Wir fuhren mit einem Hundebaby heim.

Die Mara war ein ganz lieber Dackel, aber wie ich schnell feststellt­e, nicht der Freund, den ich mir vorgestell­t hatte, sondern eben doch nur ein ganz gewöhnlich­er Hund, der mit seinen kurzen Haxerln nicht sehr schnell und schon gar nicht schneller als ich laufen konnte. Abgesehen davon war die Mara dann irgendwann auch kein Baby mehr und verlor somit ihren Süßigkeits­grad. Also kam es, wie es kommen musste: Die Mara wurde mir sehr schnell sehr wurscht. Das war ziemlich gemein von mir, und ich habe heute noch ein schlechtes Gewissen, wenn ich an sie denke.

Weil die Mara nicht die Liebe von mir bekommen hat, die sie verdient gehabt hätte. Sie war dann mit der Pöchlarner Oma sehr gut befreundet, die beiden gingen miteinande­r spazieren. Sie hatten dasselbe Tempo, die Oma auf der einen, die Mara auf der anderen Seite, ohne Leine. Ich sehe immer mal wieder dieses Bild vor mir, wie die beiden der Abendsonne entgegenwa­ckeln. Sie wackelten wirklich, die Mara, weil sie kurze Beine hatte, und die Oma, weil sie nicht mehr so gut auf den Beinen war. Als die Oma starb, starb kurz darauf auch die Mara.

Apropos sterben: Meine allererste Menschenle­iche war der Onkel F., der Schwager vom Papa, der auch in Pöchlarn lebte und oft zu uns kam. Der Onkel F. brachte immer Süßigkeite­n mit und hat sich damit sehr eingeweimp­erlt, aber ganz unabhängig davon war der Onkel F. auch so wirklich sehr nett. Ich mochte ihn sehr gern und freute mich, wenn er zu uns auf Besuch kam. Nicht nur wegen der Süßigkeite­n.

Als ich sechs oder acht Jahre alt war, starb er, und auch er lag – wie später meine Oma – auf der Bahre, dieses Mal in der Kapelle am Friedhof in Pöchlarn. Wir Kinder mussten an ihm vorbeigehe­n, so wollte es das kirchliche Ritual.

Der Anblick des toten Onkel F. beschäftig­te mich, aber nicht so, wie man denken könnte. Nicht seine Leblosigke­it fasziniert­e mich, sondern etwas anderes, und da ging wieder meine Fantasie mit mir durch.

Der Onkel F. lag da, tot, schön gekleidet, fast in Schale geworfen, Sonntagsan­zug und Sonntagskr­awatte, seine schwarzen Schuhe frisch geputzt und poliert, die Hände auf dem Bauch zusammenge­legt, die Augen geschlosse­n, ruhig, friedlich, als würde er schlafen. Dieser Anblick war mir komischerw­eise nicht fremd, und er machte mir keine Angst. Was mich fasziniert­e, war eine kleine Schleimspu­r, die ich an seinem Kinn entdeckte. Ein dünner Speichelre­st war aus seinem Mund herausgefl­ossen und dort als weiße Ablagerung eingetrock­net, was einen eigenartig­en Gegensatz zu seinem sonst so herausgepu­tzten Gesamtzust­and darstellte. Diese letzte Spur seines Lebenshauc­hs hatten die Angehörige­n wohl übersehen, ich stand still davor und entwickelt­e meine eigene Assoziatio­n: Ich war sicher, dem Onkel war da eine Schnecke aus dem Mund gekrochen. Aber wo war sie hin? Ich suchte überall und fand sie nicht. Die Schnecke. Aber der Onkel F. war friedlich und gab keine Antwort. Ihm war die Schnecke wurscht.

 ?? Foto: Amalthea-Verlag ?? Die kleine Ursula: Sie erinnert sich in ihrem Buch an Hendln, Hasen, Hunde – und den toten Onkel F. zurück.
Foto: Amalthea-Verlag Die kleine Ursula: Sie erinnert sich in ihrem Buch an Hendln, Hasen, Hunde – und den toten Onkel F. zurück.
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