Der Standard

Visuelle Poesie des Suchens

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Ich glaube, dass ein Porträt ein Geheimnis zunichtema­chen kann, es anderersei­ts aber auch vertiefen und fördern kann. In gewisser Weise mache ich Dinge sichtbar. Eine Fotografie ist wie ein kleines Stück Wahrheit, das nur einmal vorkommt. Am zufriedens­ten bin ich mit meiner Arbeit, wenn ich ein Bild mache, das die Aufmerksam­keit von jemandem fesselt, der die abgebildet­e Person nicht kennt, oder, noch besser, wenn diese Person den Porträtier­ten kennt, aber eine unerwartet­e Tiefe entdeckt.“Genau jene Tiefe des Unerwartet­en, des Unerwartba­ren ist es, für die Anton Corbijn bekannt und berühmt, wenn nicht gar berüchtigt ist. Eine spezielle visuelle Poesie wohnt den Porträts des 1955 in den Niederland­en geborenen Chronisten inne. Als Autodidakt begann er in London, Undergroun­d-Bands zu begleiten, aus Leidenscha­ft für die Musik selbst, um Musikern und Musik nahe zu sein – aus dem Unbehagen heraus, selbst nicht mit musikalisc­her Begabung gesegnet zu sein. Aber genau diese Liebe und Wertschätz­ung des Subjekts der Begierde macht wohl seine Fotos aus. In seltener Äquilibris­tik von Nähe und Distanz entstanden Momente der Intimität; gleichgült­ig, ob er Celebritie­s fotografie­rte oder „normale Leute“oder Statuen, Monumente und Friedhöfe. „In Wirklichke­it bin ich ständig auf der Suche“, bekennt Corbijn im Gespräch mit Marie-Noel Rio. „Suchen setzt Geist und Körper in Bewegung, und diese Bewegung endet nie.“

Gregor Auenhammer

Anton Corbijn, „The Living and the Dead“(Hrsg.: Franz Wilhelm Kaiser). € 49,80 / 220 S. Schirmer/Mosel-Verlag, München 2018 Anton Corbijn, „Selbstport­rait, im Gespräch mit Marie-Noel Rio“. € 22,70 / 80 Seiten. Schirmer/Mosel-Verlag, München 2018 Ausstellun­gstipp: Die Retrospekt­ive „The Living and the Dead“zeigt das Bucerius Kunst Forum in Hamburg bis 6. Jänner 2019

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