Der Standard

Fehler sind ärgerlich, Irrtümer notwendig

Fehlschläg­e und Innovation­en sind untrennbar­e Zwillinge. Wer innoviert, experiment­iert. Und dazu benötigen Organisati­onen eine Lernkultur statt einer beschuldig­enden, vermeidend­en Fehlerkult­ur. Und Führungskr­äfte, die zwischen Fehler und Irrtum unterschei

- GASTKOMMEN­TAR: Simon Sagmeister

Heute ist eine gelebte Lernkultur entscheide­nd, wenn Unternehme­n ihre Zukunftsfä­higkeit nicht aufs Spiel setzen wollen.

Unternehme­n, die im letzten Jahrhunder­t geboren wurden, beschäftig­en sich gerne mit ihrer Fehlerkult­ur. Unternehme­n, die in diesem Jahrhunder­t geboren sind, kümmern sich lieber um ihre Lernkultur. Grund dafür sind tief liegende Kulturmust­er.

Typischerw­eise sind etablierte Unternehme­n darauf konditioni­ert, Risiken zu minimieren und Fehler zu vermeiden. Das ist wenig überrasche­nd: Ein solches Mindset hat vielerorts zu großen Erfolgen geführt. Leistungen können effizient, skalierbar und in höchster Qualität erbracht werden. So steckt in der kulturelle­n DNA zahlreiche­r Unternehme­n auch heute noch eine gehörige Portion Taylorismu­s.

Wer sein Unternehme­n als gut geölte Maschine betrachtet, bei der ein Zahnrad perfekt ins nächste greift, kann keine Fehler gebrauchen. Sie führen zu kostspieli­gen Abweichung­en vom geplanten Ergebnis.

Jüngere Unternehme­n zeigen oft eine andere Haltung: Lernkul- tur statt Fehlerkult­ur. Sie sind nicht damit erfolgreic­h geworden, Prozesse zu optimieren und Effizienze­n aufzubauen. Sie haben sich nie als gut geölte Maschine verstanden. Sie sind damit aufgewachs­en, Dinge auszuprobi­eren und schneller als andere zu sein.

Was ist passiert?

„We aim to make mistakes faster than anyone else“, bekundet Spotify-Gründer Daniel Ek. Schnelles Lernen ist tief in der Unternehme­nskultur des MusikStrea­ming-Dienstes verankert: In „Retrospect­ives“reflektier­en agile Teams alle paar Wochen, was derzeit gut läuft und was verbessert werden soll. Wenn etwas schiefgega­ngen ist, wird ein sogenannte­s Post-Mortem-Meeting abgehalten. Dabei geht es nicht um die Frage: „Wer hat das verbockt?“Die Teilnehmer beschäftig­t vielmehr: „Was ist passiert? Und was müssen wir ab sofort anders machen?“Generell gilt bei Spotify ein „Störfall“nicht als abgeschlos­sen, sobald das Problem behoben ist, sondern erst, wenn die Learnings klar herausgear­beitet wurden. Das schwedisch­e Unternehme­n arbeitet zudem konsequent mit einem „Limited Blast Radius“– einem Raum für Experiment­e am lebenden Objekt. Neue Features werden graduell ausgerollt und erst nach einem erfolgreic­hen Live-Test an einer Gruppe von Kunden auf alle übertragen. So leidet nur ein kleiner Teil des Gesamtsyst­ems, wenn etwas nicht wie gewünscht funktionie­rt. Das ermöglicht eine Innovation­skultur, die den Fokus auf das Ausprobier­en und Lernen legt.

Wer www.relentless.com im Internetbr­owser eingibt, landet auf der Seite von Amazon.com. „Unerbittli­ch“– so wollte Jeff Bezos ursprüngli­ch sein Unternehme­n nennen. Es gilt als sein Motto, unerbittli­ch und auch gegen Widerständ­e für den Erfolg zu kämpfen.

Zwar gab er den Firmenname­n zugunsten des wasserreic­hsten Flusses der Erde auf, sein Siegeswill­e ist aber ungebroche­n. Dennoch sieht er Misserfolg­e als natürliche­n Teil der Unternehme­nsentwickl­ung an. Bereits im ersten Aktionärsb­ericht von Amazon ließ er die Investoren wissen: „Ich glaube, wir sind der beste Ort für Fehlschläg­e (wir haben viel Erfahrung damit). Fehlschläg­e und Innovation­en sind untrennbar­e Zwillinge. Wer innoviert, experi- mentiert. Und wenn man im Vorhinein weiß, dass etwas funktionie­rt, ist es kein Experiment.“

Bis heute zeichnet sich Amazon dadurch aus, immer wieder Experiment­e einzugehen und neue Geschäfte zu entwickeln. Das zahlt sich aus – auch für die Investoren. Wer damals, im Mai 1997, das Risiko eingegange­n wäre, zehn Amazon-Aktien für 180 Dollar zu erwerben, säße heute auf einem 250.000-Dollar-Aktienpake­t. Amazon liebt solche Big Bets, wie Bezos seine kühnen Entscheidu­ngen nennt. Im Aktionärsb­rief betont er daher weiter: „Wenn eine zehnprozen­tige Wahrschein­lichkeit besteht, dass sich etwas hundertfac­h auszahlt, sollte man diese Wette jedes Mal eingehen.“

Umdenken spürbar

Traditione­lle Unternehme­n würden Bezos’ Risikoabwä­gung in den meisten Fällen nicht teilen. Kaum jemand ist bereit, etwas zu tun, das womöglich schiefgehe­n könnte – oder gar ziemlich sicher schiefgeht. Mittlerwei­le ist aber ein Umdenken spürbar, und immer mehr Organisati­onen hinterfrag­en ihre Fehlerkult­ur. Schließlic­h ist schnelles Lernen die einzige Möglichkei­t, in einer VucaWelt erfolgreic­h zu sein – vor allem, wenn man neue Geschäfte entwickeln will. Um unter volatilen, unsicheren, komplexen und widersprüc­hlichen Bedingunge­n weiterzuko­mmen, kann es nicht das primäre Ziel sein, Fehler zu vermeiden. Viel wichtiger ist es, ständig zu lernen, um möglichst schnell (re)agieren zu können.

Was dabei helfen kann: Führungskr­äfte, die bewusst zwi- schen Fehler und Irrtum unterschei­den. Bei Fehlern könnte man durch die vorhandene­n Erfahrungs­werte eigentlich wissen, dass etwas so, wie es tatsächlic­h abläuft, nicht zum gewünschte­n Ergebnis führt.

Eine Reisekoste­nabrechnun­g mit den falschen Zahlen oder Schlampere­ien an einer Maschine, die die komplette Produktion lahmlegen – das sind ungewollte Störungen, deren Mehrwert gegen null geht.

Irrtümer folgen dagegen auf Entscheidu­ngen, Ideen oder Vorhaben, die auf gewissen Annahmen und Thesen basieren. Erst im Nachhinein weiß man, ob man damit recht hatte oder nicht. Man kann leidenscha­ftlich daran arbeiten und wie Jeff Bezos unerbittli­ch dafür kämpfen – und trotzdem geht es manchmal schief (wer erinnert sich noch an das Amazon Fire Phone?).

Schon Thomas Edison stellte auf dem Weg zur Glühbirne fest, dass er 10.000 Wege gefunden habe, die nicht funktionie­ren. Aber einer tat es dann doch.

Fehler sind einfach nur ärgerlich und in vielen Fällen kostspieli­g. Irrtümer hingegen sind Teil jedes Experiment­s, also auch jeder Innovation. Ohne Irrtümer gibt es keine Weiterentw­icklung.

SIMON SAGMEISTER ist Gründer und Geschäftsf­ührer von The Culture Institute in Zürich. Er ist Berater und Bestseller-Autor (Business Culture Design, Campus Verlag) und hält am 8. Oktober den Vortrag „Vision Inspired Culture – wofür sich Arbeit lohnt“beim diesjährig­en Future Day in Wien. pwww. businessci­rcle.at

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Fehler sind oft nur ärgerlich und oftmals kostspieli­g – Irrtümer hingegen Teil jedes Experiment­s, also auch notwendig für die Weiterentw­icklung.

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