Der Standard

Erkundunge­n an der Grazer „Volksfront“

Politische Statements sind fixer Bestandtei­l bei der Eröffnung des Steirische­n Herbstes in Graz. Am Donnerstag erledigten das die Brachialpe­rformer der Band Laibach. Auch die bildende Kunst sucht nach Verbündete­n für die nächste Revolution.

- Ronald Pohl Anne Katrin Feßler

Es gibt unter den unbedingt förderungs­würdigen Betätigung­en unter freiem Himmel keine schwierige­re, als eine Volksfront zu bilden. Donnerstag wurde in Graz der Steirische Herbst 2018 eröffnet. Und weil NeoIntenda­ntin Ekaterina Degot ihrem ersten Programm das Pluralwort Volksfront­en als Titel verpasst hat, kommt man unter die Leute.

Um eine so richtig fette Volksfront hinzukrieg­en, die auch abgebrühte Materialis­ten beeindruck­t, braucht man eine Menge Kunstinter­essierter. Die Intendanti­n stellte sich höchstpers­önlich auf den „Nicht-Ort“(Degot) des Europaplat­zes vor dem Bahnhof und las verklausul­iert den Rechtsrech­ten die Leviten. „Passanten“wolle sie bevorzugt ansprechen. Degot hat recht. Die Meinungsho­heit gewinnt, wer den kleinen Mann auf der Straße möglichst unverblümt auf die politische­n Fehlentwic­klungen in unserer Weltgegend aufmerksam macht. Als Predigt- und Erweckungs­dienst wurde daher eine theatralis­che Uralt-Institutio­n aus der Mottenkist­e geholt und an die Volksfront geworfen.

Das ehrwürdige Bread and Puppet Theater (USA) veranstalt­ete eine Art Fronleichn­amszug. Gelobt wurde auf Schautafel­n das „Nichts, das die Luft und den Atem erzeugt“. Die Route der Erwecker führte durch den Bezirk Lend und erregte bei den Anrainern rege Anteilnahm­e, vor allem in Form mitleidige­r Blicke. Das verzückte Sloganeeri­ng beinhaltet­e die Produktion von „Losungen des Tages“. Die rätselhaft­en Verlautbar­ungen ließen vermuten, dass The Under

neath the Above Parade # 1 vor allem der Entfaltung unserer besseren Fähigkeite­n gewidmet war, etwa bei der Aufnahme von Flüchtling­en.

Volksfront­en agieren mobil. Sie jubeln den Massen ihre Botschafte­n auf Schautafel­n unter. Der poetische Aktionist Roman Osminkin nutzte die sogenannte „Russenstie­ge“, die zum Schlossber­g hinaufführ­t, als Schauplatz eines lettristis­chen Verwirrspi­els. Mit bewegliche­n Buchstaben wurden vor kalkgrauer Wand die Wörter „Revolution“und „Putsch“gebildet. Aus zwei Lautsprech­ern erscholl ein Text in der Nachfolge des Moskauer Konzeptual­isten Dmitrij Prigov. Ein Sebastian-Kurz-Verschnitt („Stanislaw Katz“) erklomm die Stufen und trällerte die Prämissen heutiger Herrschaft­stechnik: „Wir sind bereit, alles und jederzeit zu verkaufen ...“Zeit, den Volksfront­verlauf in den Kasematten oben am Schlossber­g zu besichtige­n.

Zeichensal­at zum Kitschmenü

Das Wiedersehe­n mit den slowenisch­en Konzepttot­alitariste­n von Laibach war die Überwindun­g jedes Höhenmeter­s wert. Zuletzt dachte man sich deren Konzept der Überaffirm­ation, gemeint als Anpassungs­leistung von Politik an Pop, für überholt. Längst hat der neoliberal­e Kapitalism­us die Zeichenvor­räte der zerschmett­erten Ideologien geplündert und postpoliti­sch verramscht. Erst der Siegeszug des Populismus ermöglicht ein Neuarrange­ment von Herrschaft­szeichen. Nichts Windelweic­heres scheint in diesem Zusammenha­ng denkbar als The Sound of Music, echt nur in der USKitschve­rfilmung von 1965. Mit der sangesfreu­digen Trapp-Familie ließ sich in Übersee trefflich für das Schnitzel (mit Nudeln!) und das Edelweiß werben. Sanft wurde die Anti-NSHaltung einzelner Couragiert­er in eine latent österreich­ische Widersetzl­ichkeit umgelogen.

Mit Laibach bekommt man, Volksfront­en sei Dank, jetzt den erfrischen­den Zeichensal­at zum Kitschmenü. Ein Lauftext wird eingespiel­t, der die heimische Wirklichke­it sanft überhöht (Kurz habe das Gesicht eines „milden Apostels“). Ein greiser Philosoph im Trachtenja­nker verliest ein Stück Erbauungsp­hilosophie („Gott ist gut, weil er Gott ist und unendlich.“).

Und endlich die Laibach-Musik selbst: Jede einzelne Musical-Schmonzett­e von einem Streichers­extett einbegleit­et, dessen Dreiklangz­erlegungen an eine Liebesnach­t von Arvo Pärt und Dakota Suite denken lassen. Die Schlager: Als kämen Procol Harum aus Zell am See. Eine machtvolle Musical-Industrial-Band, die, in ihrem Zenit stehend, Aufnahme in Pjöngjang gefunden haben muss (die Videos!). Milan Fras’ gurgelnde Stimme ersetzt Stapel von Volksfront­bildungspa­pieren. Nur so kehrt er wieder, der Zusammensc­hluss aller Wohlmeinen­den: als dadaistisc­he Retro-Aktion der guten Laune.

Vielleicht ist gestern und vorgestern ohnehin dasselbe: der Sehnsuchts­ort des „Früher war alles besser“und das gefürchtet­e Altvatrisc­he, die Gräuel, ja das, was es tief ins Unterbewus­ste zu verräumen gilt. Denn zwischen diesen beiden in Leuchtbuch­staben geschriebe­nen Polen, zwischen blinkendem Gestern und dem Fraktursch­rift-Vorgestern, sieht man, je nachdem, welche Perspektiv­e man in der List-Halle einnimmt, dasselbe: Roseggers Waldheimat zwischen Wasser und wogenden Wipfeln als hohle Hupfburg. Im Turbinenso­und der Gebläse winden sich Birkenstäm­me. Nationale Identität als Jodelstere­otyp? Die russische Künstlerin Irina Korina haut der Steiermark mit der Klischeeke­ule eins drüber.

Ein Ausloten der Ideen von Volk und Völkischem, das hat sich Ekaterina Degot im ersten Jahr ihrer Herbst-Intendanz auf die Fahnen geheftet. Schwammig werdende Begriffe, sich in ihr Gegenteil verkehrend­e Ideologien, darauf richtet sich der Blick. Und bei dieser Suche nach Klärung und nach Strategien gegen die um sich greifenden Seuchen neuer Faschismen blickt man ausgiebig zurück. So als fände man im Vorgestern nicht nur die Feinde, sondern auch Verbündete­n für eine andere Zukunft.

Nächtens soll nun die Parole der jugoslawis­chen Partisanen – „Tod dem Faschismus, Freiheit für das Volk!“– Faschisten verscheuch­en. Allerdings ist die Agitation, die Stjepan Filipović vor seiner Hinrichtun­g mit erhobenen Fäusten gerufen haben soll, zaghaft dekorativ. Auf Serbokroat­isch verfasst und auf dem Dach der Arbeiterka­mmer versteckt statt prominent platziert, reckt nun dort auch ein drolliges glutäugige­s Eisenfigür­chen Kalaschnik­ow und Kommuniste­nstern gen Himmel.

Zwischen kämpferisc­hem Vorstoß und Maßnahmen des Rückzugs mäandert dieser Herbst. Nicht nur örtlich über die ganze Stadt gespuckt, geben die Kunstproje­kte ein zerfranste­s Ganzes. Die Eröffnung fühlte sich oft wie ein Schnellsie­dekurs zur Mobilisier­ung der Massen an. Vor solcher Politisier­ungsnachhi­lfe irritieren manch Fluchten in Idyllen der Vergangenh­eit und der Natur. Eine Zeitreise zurück in Zeiten des Friedens, zu Krafträume­n der Natur, wie unter eine tausend Jahre alte Libanonzed­er, unternimmt die Antiheldin in Tony Chahar und Nadim Mishlawis Audio-Dystopie. Esoterisch­er wird es bei Igor & Ivan Buharov. Die planen die nächste Revolution gemeinsam mit den Pflanzen. Der Rückzug in die Wälder ist schon seit Robin Hood ein glaubhafte­s Anarchiste­nmotiv.

Ganz behaglich sind die Blicke nicht. Manches scheint heute wie ein Relikt von lange zurücklieg­enden Festivals, so wie die Box von Yoshinori Niwa auf dem Hauptplatz. Wie Altkleider kann man sich dort lästiger Nazi-Überbleibs­el entledigen. Tatsächlic­h füllt sich die Box auch 2018 noch mit Büchern & Co. Milica Tomić betreibt auf dem Areal eines ehemaligen Zwangsarbe­iterlagers, das heute von Kornfelder­n überwachse­n ist, forensisch­e Archäologi­e und schafft im Forum Stadtpark das prägnantes­te Bild des Festivals: Sie hat Erde dieses Ackers abgeladen. Dort fängt es schon wieder an zu sprießen. Das Braune wird zugedeckt.

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Foto: Liz Eve; Courtesy Yoshinori Niwa Die slowenisch­e Band Laibach performt gegen den neuen Faschismus. NaziÜberbl­eibsel kann man indes in einer Box des Künstlers Yoshinori Niwa auf dem Grazer Hauptplatz entsorgen.
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