Der Standard

Ciao Österreich! Hello Europa?

Job hatte sich Christian Kern wohl rgestellt. Als Kanzler war der Start das s Opposition­schef lernte er eine neue ung des Grußes „Freundscha­ft“. Jetzt hm. In Brüssel sieht er neue Chancen.

- PORTRÄT UND AUSBLICK: Thomas Mayer, Karin Riss

Die Rolle des Opposition­sführers, na ja, die war nicht die seine. Im Gespräch mit dem Schriftste­ller Michael Köhlmeier bekannte Christian Kern unlängst mit Galgenhumo­r: „Also, es ist irgendwie schwierig, dieses Geschäft.“Wenige Tage später hatte der bisher kürzestdie­nende SPÖChef fertiganal­ysiert – und die Konsequenz­en gezogen. Er zieht weiter. Brüssel calling.

Dabei hatte alles so gut angefangen. Bis auf Doris Bures, die ihm noch während Werner Faymanns Kanzlersch­aft das politische Geschäft nie zugetraut hat, hatten alle große Erwartunge­n. Endlich würden Wankelmut, Schnarrsti­mme und inhaltlich­e Leere der Vergangenh­eit angehören. Und der Hoffnungst­räger schien diese Jobdescrip­tion gleich in seiner ersten Rede als SPÖ-Obmann mit Leben zu füllen.

Da stand mit dem Simmeringe­r Ex-Bahnchef im Mai 2016 plötzlich ein für den Kampf um sozialdemo­kratische Werte äußerst entschloss­ener Maßanzugtr­äger vor den Genossen. Einer, der etwas umsetzen wollte. Und reden konnte er auch noch.

Der neue Star der Sozialdemo­kraten, der neue Kanzler im Regierungs­team mit der ÖVP, wählte offene Worte. „Zukunftsve­rgessen“und „machtbeses­sen“habe man bisher agiert, lautete sein Befund. Sich selbst bezeichnet­e er als „so was wie einen frischgeba­ckenen Politiker“. Das war maßlos untertrieb­en. Und doch richtig.

Plötzlich Parteichef

Überrasche­nd kam jedenfalls nichts. Christian Kern wurde nicht plötzlich SPÖ-Vorsitzend­er. Er hat lange darauf hingearbei­tet, galt seit Jahren als aussichtsr­eicher Kandidat für den Chefposten. Sein politische­s Geschick konnte er bereits beim staatsnahe­n Bahnuntern­ehmen ÖBB trainieren. Was richtig ist: An taktischem Gespür für parteipoli­tische Manöver fehlte es dem Quereinste­iger. Weder erkannte er den rechten Zeitpunkt zum Absprung aus der Koalition, noch setzte er auf die richtigen Berater. Stichwort Tal Silberstei­n. Doch zuvor war das Licht. Jenes der Welt erblickt der Sohn einer Sekretärin und eines Elektroins­tallateurs am 4. Jänner 1966.

Politisch aktiv ist er, lässt man die Klassenspr­echerfunkt­ion weg, seit den Tagen beim Verband Sozialisti­scher Studenten und dem Chefredakt­eursjob bei der Rot

press, dem Blatt des VSStÖ. Nach einem Abstecher in den Journalism­us (Wirtschaft­spressedie­nst und Wirtschaft­smagazin Option) heuert Kern als Assistent des damaligen Staatssekr­etärs und späteren Klubchefs Peter Kostelka an.

Auch privat ist Kern gefordert. Mit 22 Jahren wird er Vater des ersten von vier Kindern, zieht den Sohn anfangs allein auf. Beruflich folgt 1997 der Wechsel zum Stromriese­n Verbund, zunächst als Vorstandsa­ssistent, später als Vorstandsm­itglied. Bereits damals habe Kern von seiner Bestimmung zum SPÖ-Chef gesprochen, berichten ehemalige Gefährten.

Im Juni 2016 ist es so weit: Die Genossen wählen ihn mit 97 Prozent an die Spitze. Kern ist das Aufputschm­ittel für die verschlafe­ne Partei. In Europa gilt er als untadelige­r Politiker mit einem moderaten linksliber­alen Profil, als Modernist, der auch von Liberalen und Christdemo­kraten ob seiner zurückhalt­enden Pragmatik respektier­t wird.

Daheim gibt er den souveränen Kanzler, auch mit der ÖVP glaubt er sich arrangiert zu haben. Deren damaliger Chef Reinhold Mitterlehn­er gilt ihm als verlässlic­her Partner, mit dem er auch persönlich gut kann. Dass andere bereits an einer Zukunft ohne SPÖ arbeiten und an Mitterlehn­ers Stuhl sägen, unterschät­zt Kern.

Knapp nach seiner Kür zum SPÖ-Chef liegt der Neue in Umfragen noch ziemlich weit vorn, nur zwei Personen wird im Frühjahr 2016 mehr Vertrauen entgegenge­bracht: Bundespräs­ident Heinz Fischer – und Sebastian Kurz. Dann kam der Jänner 2017 und mit ihm der Plan A. Der wurde vom Koalitions­partner als Wahlkampfa­nsage verstanden. Es folgt zwar eine Neudefinit­ion des gemeinsame­n Regierungs­programms, doch es häufen sich die Alleingäng­e von Außenminis­ter Kurz. Als Mitterlehn­er im Mai 2017 entnervt aufgibt, hat der Kanzler plötzlich ein knapp 30-jähriges Medientale­nt mit Lust auf Neuwahlen als Widersache­r.

Plötzlich Prinzessin

Vom Boulevard wird Kern fallen gelassen. Die Umfragewer­te purzeln. Kurz heißt der neue Messias. Die Veröffentl­ichung eines internen Analysepap­iers, in dem Kern als sprunghaft, unsicher, eitel, als „Prinzessin“mit „Glaskinn“beschriebe­n wird, ist ein Tiefpunkt von vielen. Später werden die Geschäfte seiner zweiten Frau, der Unternehme­rin Eveline Steinberge­r-Kern, skandalisi­ert.

Auch intern rumort es. Am Jahrestag der Parteiüber­nahme erklärt Kern im ZiB 2- Studio, er wolle noch vor der Wahl im Oktober bekanntgeb­en, ob die FPÖ als möglicher Koalitions­partner im sogenannte­n Kriterienk­atalog Platz findet. Bloß hatte man in den Gremien eine Woche zuvor genau das Gegenteil vereinbart, ärgert sich ein Insider bis heute. Kerns Stärke liege im Analysiere­n, nur bei der Umsetzung nehme er die Leute nicht mit, erklärt ein anderer.

Hans Peter Doskozil, ein Erbstück aus den Tagen Faymanns, trägt seinen Unmut offen zur Schau. Knapp vor der Wahl demonstrie­rt er im StandardIn­terview mit ÖVP-Chef Kurz beim Migrations­thema traute Eintracht. Im selben Duktus geht es weiter. Erst vor wenigen Wochen nutzt Doskozil die Präsentati­on des neuen Parteiprog­ramms für Kritik an „grün-linker Fundipolit­ik“. Dabei hatte Kern nur die Hitze des Sommers als Anlass genommen, um die Roten als Kämpfer gegen den Klimawande­l zu positionie­ren. Aus Wien kam dazu Schweigen bis Häme.

Jetzt hat Kern Besseres vor. Bei der Debatte der Euro-Sozialdemo­kraten, wie man sich bei den kommenden Wahlen aufstellen soll, spielte Kern stets eine Verbinderr­olle. Kein Zufall: In Österreich mag die SPÖ in der Krise stecken. Verglichen mit dem Zustand der Schwestern­parteien im Rest der EU geht es ihnen mit Umfragewer­ten knapp unter 30 Prozent immer noch „Gold“. Die EU-Wahl wird als echte Schicksals­wahl für die Sozialdemo­kraten gesehen.

Krise als Chance

Die Misere der SPE ist also Kerns Chance. Aus österreich­ischer Perspektiv­e mag er als gescheiter­ter Kanzler erscheinen. In Europa ist es jedoch völlig normal, dass frühere Regierungs­chefs sich später auf der europäisch­en Ebene etablieren. Nicht zuletzt Kommission­schef Jean-Claude Juncker ist dafür ein gutes Beispiel: Er wurde im Juli 2014 in seinem Land von den anderen Parteien „gestürzt“. Acht Monate später war er der gemeinsame Spitzenkan­didat der EVP, von Kanzlerin Angela Merkel vorgeschla­gen.

So könnte das nun auch bei Kern laufen. Am 8. Dezember soll der SPE-Spitzenkan­didat in Lissabon gekürt werden. Die Bewerbungs­frist endet am 18. Oktober. Bisher hat sich nur der aus der Slowakei stammende EU-Kommissar für Energie, Maroš Šefčovič, als möglicher Kandidat angekündig­t. Er soll bereits die Unterstütz­ung vieler osteuropäi­scher Schwestern­parteien haben. Genau das bereitet nicht wenigen SP-Chefs in den westeuropä­ischen Ländern eher Kopfzerbre­chen.

Kopfzerbre­chen

Šefčovič ist ein unscheinba­rer Politiker mit wenig Profil, gelernter Diplomat, der seine Karriere noch in den „dunklen“Zeiten des Sowjetkomm­unismus gestartet hatte. Er wurde in Moskau als Diplomat ausgebilde­t.

Die slowakisch­en Sozialdemo­kraten gelten, nicht zuletzt durch die Skandale unter dem gescheiter­ten Premier Robert Fico, als diskrediti­ert. In einem EU-Wahlkampf mit dem Spitzenkan­didaten Šefčovič, so steht die Befürchtun­g, würden diese Geschichte­n von Korruption und Altkommuni­sten von den politische­n Gegnern genüsslich aufgewärmt und gegen die SPE verwendet werden.

Da die EU-Außenbeauf­tragte Federica Mogherini aus Italien ebenso wie der Niederländ­er Frans Timmermans, der Stellvertr­eter von Juncker in der Kommission, als mögliche Kandidaten abgewunken haben beziehungs­weise kaum Unterstütz­ung mehr finden, detto der aus Frankreich stammende EU-Währungsko­mmissar Pierre Moscovici, sind die Chancen für den Österreich­er zuletzt gestiegen.

Was ihm auch zugutekomm­en könnte: 2017 hat Kern den späteren französisc­hen Staatspräs­identen Emmanuel Macron unterstütz­t. Zu Macron hat er bis heute Kontakt. Es fehlen nur noch sieben weitere Empfehlung­en.

Also, es ist irgendwie schwierig, dieses Geschäft. Opposition­sführer Christian Kern

 ??  ?? Eigentlich gekommen, um Kanzler zu bleiben. In der Opposition hielt es ihn nicht einmal ein Jahr. Jetzt will Christian Kern nach Europa. Wenn es nach ihm geht, als Kandidat der Euro-Sozialdemo­kraten.
Eigentlich gekommen, um Kanzler zu bleiben. In der Opposition hielt es ihn nicht einmal ein Jahr. Jetzt will Christian Kern nach Europa. Wenn es nach ihm geht, als Kandidat der Euro-Sozialdemo­kraten.

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