Der Standard

Von Macht un

Zwei neue, gewichtige Bücher über Russland: Eines hat Yuri Slezkine verfasst, das andere stammt vom renommiert­en Yale-Historiker Timothy Snyder, der nächste Woche das Vienna Humanities Festival eröffnet.

-

IMichael Freund

n diesem Haus wohnte und arbeitete der sowjetisch­e Flugzeugko­nstrukteur und Held der sozialisti­schen Arbeit Artjom Iwanowitsc­h Mikojan“; „... die Heldin der sozialisti­schen Arbeit Lidija Aleksandro­wna Fotijewa“;„... der sowjetisch­e Feldmarsch­all Jakow Nikolajewi­tsch Fedorenko“; „... das Mitglied des Obersten Sowjet Klawdija Iwanowna Nikolajewa ...“

Und viele andere mehr. An den Hauswänden eines riesigen Wohnblocks mitten in Moskau, an der Moskwa gegenüber dem Kreml, erinnern Granittafe­ln an illustre Bewohner. Alle Moskowiten kennen „das Haus am Flussufer“. Es ist berühmt. Und es ist berüchtigt. Denn – was an den Hauswänden nicht zu lesen ist – zahllose Mitglieder der politische­n, militärisc­hen und kulturelle­n Eliten des Landes wurden hier in den späten 1930er-Jahren nächtens von der Geheimpoli­zei NKWD abgeholt und kehrten nicht wieder zurück – mehr als 800 von den damals rund 2700 Bewohnern. Fast die Hälfte von ihnen wurde erschossen, der Rest eingesperr­t oder verbannt. Nirgendwo in der Sowjetunio­n war man während der „Säuberunge­n“gefährdete­r als hier, in Sichtweite Stalins. Das Haus, dessen Bau der Diktator verfügt hatte, wurde zur Falle für viele, die es bewohnten.

Der 1956 in Moskau geborene, an der UC Berkeley lehrende Historiker Yuri Slezkine hat ein monumental­es Werk vorgelegt, Das Haus der Regierung, das die Geschichte des Baus in eine „Saga des Bolschewis­mus“einbettet: das Gebäude als Brennglas, in dem sich die Hoffnungen und Verzweiflu­ngen einer für die ganze Welt geplanten Revolution konzentrie­ren und brechen.

Slezkine teilt das umfassende Thema in drei „Bücher“auf. Im ersten stellt er die frühe Garde des Bolschewis­mus vor, junge Sozialrevo­lutionäre, die bereits lange vor 1917 in Cafés, Seminaren oder in der Verbannung über die philosophi­schen Fundamente einer neuen Zeit diskutiert­en. Er begleitet sie auf dem Weg zur Macht, vom St. Petersburg­er Winterpala­is bis zum Kreml, und in die Enttäuschu­ng darüber, dass die große Umwälzung im Wesentlich­en auf die Sowjetunio­n beschränkt blieb.

Buch zwei beschreibt, wie sich die Nomenklatu­ra im „Sozialismu­s in einem Land“einrichtet­e, bildlich und im neu gebauten Haus auch wörtlich. Während Zwang und unrealisti­sche Pläne zu Misserfolg­en und zu genozidale­n Hungersnöt­en führten, arbeiteten die Planer in bürgerlich­em Luxus mitsamt Sport- anlagen und einem, wie man heute sagen würde, Concierges­ervice, von dem einfache Genossen nur träumen konnten.

Im dritten Teil dokumentie­rt Slezkine, wie Stalins Großer Terror das Haus der Regierung erreichte. In der exklusiven Idylle herrschten plötzlich Misstrauen, Angst – und Schweigen. Alle bangten, sie könnten die Nächsten sein. Was sie hofften und fürchteten, wie sie zwischen Zweifel, Zynismus und Glauben an die Weisheit der Partei schwankten, das vertrauten sie Tagebücher­n und Briefen an, aus denen Slezkine minutiös zitiert.

Über die Russische Revolution und ihre Folgen haben viele Historiker, Politiker und Journalist­en publiziert. Slezkine zeichnet aus, dass er, im Sinne der neuen Geschichts­schreibung, unterschie­dliche Zugänge vereint und sie ergänzt. Über die „Familiensa­ga“, wie er sie selbst nennt, legt er einen analytisch­en Rahmen, mit dem das Buch überhaupt beginnt. In einem brillanten Kapitel analysiert er das Wesen von Religionen und kommt zu dem Schluss, dass die Bolschewik­en eine millenaris­tische Sekte waren, die das Ende der gegenwärti­gen Welt und ein irdisches Paradies noch zu Lebzeiten erwartete. Alle derartigen Sekten, schreibt Slezkine, „haben eines gemeinsam: Das Unausweich­liche kommt nie. Die Welt endet nicht; der blaue Vogel kehrt nie zurück; die Liebe offenbart sich nicht in ihrer ganzen innigen Zärtlichke­it und wohlmeinen­den Gesinnung; und Tod und Trauer und Weinen und Schmerz verschwind­en nicht einfach. Bis heute hat sich keine der millenaris­tischen Prophezeiu­ngen erfüllt.“

Ein besonderes Augenmerk widmet Slezkine der Literatur, die in den Haushalten am Flussufer

 ??  ??
 ??  ?? war nion jetu sse ck Sow roze nblo der aup Woh in Sch . wo groß en kwa end rend im Mos Nirg wäh wie der et man enan hrd iert gefä ileg so Priv der
war nion jetu sse ck Sow roze nblo der aup Woh in Sch . wo groß en kwa end rend im Mos Nirg wäh wie der et man enan hrd iert gefä ileg so Priv der

Newspapers in German

Newspapers from Austria