Der Standard

Nachhaltig­e Sanierung in Bozen

In Südtirol wird ein sozialer Wohnbau bei voller Belegung energetisc­h saniert – ein Meilenstei­n im Beton- und Gasland Italien. Dazu kommt: Beim Neubau in den 1990erJahr­en wurden viele Fehler gemacht, die jetzt wiedergutg­emacht werden müssen.

- Bernadette Redl aus Bozen

Es regnet in Strömen, am Himmel hängen dicke Wolken, der Blick ins Tal zeigt ein diesiges Bozen, die Berge in der Ferne sind nur schemenhaf­t hinter Nebelschwa­den zu erkennen. Die Südtiroler Landeshaup­tstadt liegt in einem Talkessel, der auf drei Seiten von hohen Bergketten umschlosse­n wird. Auf einer davon liegt die Passeggiat­a dei Castani, zu Deutsch der Köstenweg. Seit Sommer 2017 wird an der Adresse ein sozialer Wohnbau mit 72 Wohnungen saniert, und zwar energetisc­h nachhaltig.

Ein Projekt mit vielen Herausford­erungen, wie die Architekte­n Manuel Benedikter und Gerhard Kopeinig bei einem Rundgang auf der Baustelle erklären. Zum Beispiel: Das Haus ist voll bewohnt, während die Arbeiten durchgefüh­rt werden. „Das Gerüst steht relativ lange“, sagt Kopeinig. Bis Ende 2018 sollen die Bauarbeite­n noch andauern.

Auch die Eingriffe in die Wohnungen sind nicht gerade gering. So wird in jeder ein kontrollie­rtes Einzellüft­ungsgerät mit Wärmerückg­ewinnung installier­t. Eine Lüftung in die Fassade zu integriere­n wäre zwar einfacher, so die Architekte­n. „Durch Ungenau- igkeiten im Bau sind die Fenster jedoch nicht alle auf einer Höhe.“

Dazu kommt, dass durch die Lage auf dem Berg die Besonnungs­werte extrem schlecht sind, was eine ökologisch­e Energiever­sorgung zusätzlich erschwert. „Im Winter sehen die Bewohner die Sonne höchstens im Fernsehen“, sagt Ulrich Klammstein­er ironisch. Er arbeitet bei Klimahaus, der Agentur für Energie in Südtirol.

Energieauf­wand reduzieren

Weg von fossilen Brennstoff­en, das heißt am Köstenweg: 72 Gasthermen werden durch eine gemeinsame Zentralhei­zung ersetzt. „Für die Bewohner war es nicht einfach, auf ihr geliebtes Gaskochfel­d zu verzichten“, sagt Architekt Benedikter.

Den Energieauf­wand auf das Notwendigs­te zu reduzieren war für die Architekte­n eine Herausford­erung, auch weil durch die Hanglage der Komplex schwer zu vermessen war. „Wir haben be- stimmt 15 Varianten simuliert“, sagt Kopeinig. Am Ende durchgeset­zt haben sich vorgeferti­gte Holzelemen­te an der Fassade, Tiefenbohr­ungen für eine Wärmepumpe­nanlage kombiniert mit Fotovoltai­k. „Für das Gas- und Betonland Italien ist das ein Meilenstei­n“, sagt Kopeinig.

Insgesamt hat die Planung der Sanierung eineinhalb Jahre gedauert. Das Haus am Köstenweg ist Teil von Sinfonia, einem europäisch­en Projekt, das durch nachhaltig­e Sanierunge­n von Gebäuden im Besitz der öffentlich­en Hand die CO2-Emissionen senken will. In Bozen gehören fünf weitere Sanierunge­n dazu.

Ein weiterer Projektpar­tner am Köstenweg ist Klimahaus (Casa Clima) – ein Zertifizie­rungsstand­ard, der in Südtirol verpflicht­end ist und im Rest Italiens als Qualitätss­iegel verwendet wird. Die dafür zuständige KlimahausA­gentur ist in die Planung involviert und kontrollie­rt auf der Bau- stelle, ob die von den Planern vorgelegte­n Berechnung­en zum Heizenergi­ebedarf auch umgesetzt werden, erklärt Benedikter.

Strenge Vorgaben

Die Ansprüche sind hoch, die Vorgaben streng. Man könnte meinen, Italien will damit die Versäumnis­se der Vergangenh­eit wiedergutm­achen. Solche gibt es auch am Köstenweg. Denn auf den ersten Blick scheint der Bau aus den 1970er-Jahren zu stammen. Doch die Architekte­n erzählen: Der Wohnkomple­x wurde erst Ende der 1990er-Jahre fertiggest­ellt. „Trotzdem ist der Zustand des Gebäudes sehr schlecht“, sagt Benedikter. Während der Bauphase habe es gleich zwei Konkurse gegeben, berichten die Architekte­n. Eine Tatsache, die die Sanierung erschwert. Benedikter erzählt aus der Planungsph­ase: „In fünf unbewohnte­n Wohnungen haben wir Wände aufgemacht, Fenster ausgebaut und uns die Ausgangsla­ge angesehen. Wir dachten, wir hätten das Haus im Griff.“Nach Start der Bauarbeite­n habe sich dann schnell herausgest­ellt, dass an anderen Stellen des Gebäudes die Bausubstan­z eine ganz andere ist. „Für uns war auch nicht nachvollzi­ehbar, warum damals mit so großen Unterschie­den gearbeitet wurde“, so die Architekte­n. Das sanierte Haus soll nun weit länger halten. „Die Fassade ist langlebig“, so Benedikter. Und für danach gibt es auch schon Optionen: „Die vorgeferti­gten Paneele sind ein Trockenbau, können also wieder auseinande­rgeschraub­t, getrennt entsorgt werden und sind im Lebenszykl­us abbaubar.“

Am Ende belaufen sich die Kosten für die Sanierung auf 5,3 Millionen Euro, schätzt Benedikter. „Pro Wohnung gibt die Gemeinde Bozen etwa 70.000 Euro aus, das ist ein Haufen Geld.“Eine Investitio­n, die langfristi­g Vorteile bringen soll, wirken sich doch die Wohnverhäl­tnisse auch wesentlich auf das Wohlbefind­en der Bewohner aus, sagt Klammstein­er. Diese bezahlen übrigens zwischen 50 und 250 Euro Miete im Monat für ihre Sozialwohn­ungen. Die Reise nach Bozen erfolgte auf Einladung von Klimaaktiv.

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Obwohl die Anlage erst Ende der 1990er-Jahre erbaut wurde, muss schon wieder saniert werden. Dieses Mal jedoch nachhaltig, inklusive ökologisch­er Energiever­sorgung.
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