Konfrontation mit der Küstenwache
Nach einer Rettungsaktion Sonntagnacht hat die libysche Küstenwache das Rettungsschiff Aquarius zum Verlassen der Suchzone aufgefordert. In welchem Hafen das Schiff anlegen wird, ist unklar.
Mit einem Mal ist es taghell an Deck der Aquarius. Die Scheinwerfer des Hilfsschiffs, das in der libyschen Suchund Rettungszone unterwegs ist, durchbrechen sonntags um vier Uhr früh die Finsternis der Nacht. Die Besatzung eilt mit Rettungswesten und Helmen an Deck. Die Rettungsboote Easy I und Easy II werden einsatzbereit gemacht.
Davor, gegen zwei Uhr, war ein Anruf auf der Brücke eingegangen. Die Hilfsorganisation Watch the Med kontaktierte den Kapitän. Ein Hilferuf sei von einem überfüllten Holzboot abgesetzt worden. An Bord würden sich nach ersten Schätzungen 50 Personen befinden, darunter auch Frauen und Kinder. Das Boot fülle sich bereits mit Wasser.
Funkkontakt mit Libyen
Die Verantwortlichen der beiden Hilfsorganisationen SOS Méditerranée und Ärzte ohne Grenzen (MSF), die die Aquarius betreiben, informieren die Freiwilligen. Diese selbst müssen die Behörden in Kenntnis setzen. Zudem kontaktieren die NGOs die libysche Leitstelle per Mail und telefonisch.
Die Libyer antworten nicht, also informiert die Aquarius die maritime Rettungskoordinationsstelle in Rom. Die italienische Behörde gibt an, dass sich ein Schiff der libyschen Küstenwache – die Al Khifa – in der Region befinde.
Die Aquarius versucht mehrmals vergeblich, Kontakt mit den Libyern aufzunehmen. Diese melden sich erst nach 40 Minuten. Der Funkkontakt ist ruhig, man einigt sich darauf, dass beide Schiffe das Gebiet absuchen. Die Aquarius macht klar, dass sie ohne zu zögern eingreifen werde, wenn die Gefahr für die Menschen an Bord des Holzboots zu groß sei.
Die libysche Al Khifa übernimmt die Leitung des Einsatzes, was die Besatzung der Aquarius anerkennt. Doch sobald die Aquarius das Boot sichtet und seine Rettungsboote zu Wasser lässt, droht die Lage zu eskalieren. Die Helfer beruhigen die Menschen im Holzboot und entdecken Frauen und Kinder, die sich übergeben.
Die Libyer weisen die Aquarius via Funk an, die Menschen nur mit Rettungswesten auszustatten und dann fünf Seemeilen Abstand zu nehmen. Später fordern sie eine Distanz von fünfzehn Seemeilen. Die Helfer lehnen das ab, die Lage sei zu gefährlich. Menschen könnten aus Panik ins Wasser springen, Familien getrennt werden, da sich die kranken Frauen und Kinder bereits an Bord der Rettungsboote befänden. Die Rettungsboote werden von der Brücke der Aquarius angewiesen, bei dem Holzboot zu warten und nichts weiter zu unternehmen.
Aggressive Anweisungen
Es ist mittlerweile sechs Uhr früh, und die Sonne geht langsam auf. Die Anweisungen der libyschen Küstenwache werden aggressiver, es ist von „Schmuggel nach Europa“die Rede. Es wird gedroht, die Besatzung der Aquarius nach Libyen zu bringen: „Wollt ihr nach Tripolis kommen und vor Gericht gestellt werden?“Drei verschiedene Stimmen melden sich per Funk von dem libyschen Boot. Eine Übersetzerin wird auf die Brücke der Aquarius geholt, die mit dem Schiff der Küstenwache direkt verhandelt.
Um sieben Uhr erreichen die Libyer den Einsatzort. Nach weiteren Gesprächen gestattet die Küstenwache der Aquarius, die Menschen schließlich an Bord zu nehmen: Die Al Khifa könne den Einsatz nicht mehr durchführen, weil sich bereits Frauen und Kinder in den Aquarius-Rettungsbooten befänden. Bedingung: Die Aquarius müsse die Such- und Rettungszone sofort verlassen – mit Vollgas.
Insgesamt werden von den Helfern in dieser Nacht 47 Menschen gerettet: 30 Männer und 17 Frauen, darunter 17 Minderjährige und eine Schwangere. Drei Kinder sind jünger als fünf Jahre. Sie stammen mehrheitlich aus Libyen. Drei Menschen sind aus Syrien geflohen, je zwei kommen aus Algerien, Marokko und Palästina. Ein Geretteter stammt aus dem Nordsudan. Die Frauen und Kinder werden im Inneren des Bootes untergebracht, die Männer bleiben mit den elf Geretteten von Donnerstagfrüh auf dem Achterdeck.
Rettungszone wird verlassen
Die Aquarius verlässt, wie von den libyschen Behörden angewiesen, die Such- und Rettungszone. In welchem Hafen sie anlegen wird, ist unklar. Nur einen Tag zuvor hatte die Besatzung erfahren, dass Panama die Registrierung des Schiffs nach einer Intervention durch italienische Behörden löschen will. Erst seit August weht die Flagge Panamas vom Mast der Aquarius. Zuvor hatte Gibraltar seine Flagge entzogen, da das Schiff Such- und Rettungsmission durchführen würde, aber als Forschungsschiff eingetragen sei.
STANDARD- Redakteurin Bianca Blei befindet sich auf Einladung von Ärzte ohne Grenzen an Bord der Aquarius. Die Kosten trägt der STANDARD.