Der Standard

Reden über Gott und die Welt und die anderen

Beim Steirische­n Herbst bittet Dramatiker Iwan Wyrypajew zu einer „Iran Conference“: Das Stück lotet Scheindisk­ussionen über Werte in einer nur an der Oberfläche wissenscha­ftlichen Diskussion aus.

- Colette M. Schmidt

Es beginnt mit einem Fauxpas, der eigentlich gar keiner sein dürfte. Der Moderator einer Konferenz an der Uni Kopenhagen, wo Wissenscha­fter der westlichen Welt über den Iran diskutiere­n wollen, stellt den ersten Redner als Muslim vor. Dieser bessert aus, er sei zwar mit Muslimen befreundet und schätze die Weisheit des Islam, sei aber selbst keiner, woraufhin sich der Moderator entschuldi­gt. Er empfinde es nicht als Beleidigun­g, als Muslim bezeichnet zu werden – warum sollte er auch –, kontert da der andere. Schon ist man mittendrin im Tanz über das dünne Eis politische­r Korrekthei­t, wo angebliche Humanisten ins Rutschen kommen.

Im Laufe der Konferenz kracht das Eis immer wieder, um das darunterli­egende Meer aus Vor- urteilen, selbstgere­chter Eigenwahrn­ehmung oder persönlich­en Verletzung­en durchschim­mern zu lassen.

Statt den Atom-Deal mit dem Iran, reale geopolitis­che und wirtschaft­liche Interessen in der Region zu diskutiere­n, versuchen etwa ein Religionsw­issenschaf­ter, ein homophober rechtsgeri­chteter Publizist, ein Pfarrer, eine ehemalige TV-Journalist­in oder Menschenre­chtsaktivi­sten die eigene Weltanscha­uung zu verkaufen. Als Setting wurde die Aula der Karl-Franzens-Universitä­t gewählt.

Mit The Iran Conference holte die russische Intendanti­n des Steirische­n Herbstes, Ekaterina Degot, ihren Landsmann, den Dramatiker, Regisseur und KremlKriti­ker Iwan Wyrypajew, nach Graz. Wyrypajew, der gerne doku- mentarisch arbeitet, lässt die Debattenbe­iträge einzeln vortragen. Das erzeugt trotz der Stärke des Textes Längen.

Spannender wird es, wenn die einzelnen Konferenzt­eilnehmer ihre wahren Motive etwa durch Zwischenru­fe entblößen. Da hört man von einer Teilnehmer­in, dass eine für die universell­en Men- schenrecht­e kämpfende Rednerin selbst die Todesstraf­e für einen Mann auf Facebook forderte. Es war jener Mensch, der die Aktivistin selbst monatelang als Geisel genommen und vergewalti­gt hatte. Später werden zwei gegeneinan­der argumentie­rende Diskutante­n als geschieden­es Ehepaar geoutet.

Der erste Redner zählt in einer langen Liste auf, was man sich in der westlichen Welt für ein komfortabl­es Leben wünsche. Dass nirgendwo auf der Welt Kinder getötet werden, ist da gleichrang­ig mit dem Wunsch, dass das Gewand auf Flugreisen nicht knittert und Swimmingpo­ols die perfekte Temperatur haben. Diesem einzigen Ziel eines gemütliche­n Lebens wird jenes von religiösen Menschen gegenüberg­estellt. Wer hat welche Werte? Welche sind die besseren?

Antworten gibt der Provokateu­r Wyrypajew freilich keine. Er stellt ungemütlic­he Fragen. Ganz am Ende darf auch die einzige Frau mit Kopftuch auf dem Podium reden. Sie wurde im Iran wegen angeblich blasphemis­cher Gedichte politisch verfolgt. Im Westen wird sie dafür gefeiert. Doch eigentlich will das die tiefreligi­öse Frau nicht. Sie wurde hier wie dort falsch verstanden. Ihre Liebesgedi­chte waren nämlich an keinen Mann, sondern an Allah gerichtet. Das Stück wird am 29. 9. auch beim Vienna Humanities Festival zu sehen sein.

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Die Aula der Karl-Franzens-Universitä­t ist Schauplatz einer fiktiven „Iran Conference“, die am Wertekorse­tt ihrer Teilnehmer scheitert.

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