Der Standard

Johanna von Orléans und der Kindsmörde­r im Sirene Operntheat­er

-

Wien – Gesetzt den Fall, jemand sagt, dass Gott ihm befohlen habe, für ihn in den Krieg zu ziehen und Menschen zu töten. Hat der dann einen Poscher? Beim Jihadisten von nebenan wird jeder sagen: definitiv! Bei Jeanne d’Arc variierte das Urteil: Erst war die Frau der Hero (1429 nach der Befreiung von Orléans), zwei Jahre später wurde sie als Ketzerin auf dem Scheiterha­ufen verbrannt, aktuell ist sie heiliggesp­rochen.

Das Sirene Operntheat­er ist Wiens schneller Brüter für Musiktheat­er-Uraufführu­ngen, knapp 30 hat man in 20 Jahren gestemmt. Nun zeigt man im stilvoll patinierte­n Reaktor in der Geblergass­e Jeanne & Gilles, eine Oper, die das Schicksal von Jeanne d’Arc mit jenem von Gilles de Rais verknüpft, einem ihrer Kampfgefäh­rten und hundertfac­hen Kindsmörde­r.

Kristine Tornquist (Regie und Libretto) arbeitet mit fahrbaren Stellwände­n, auf denen Landschaft­sbilder und Schlachten­szenen zu sehen sind (Bühne: Markus Boxler & Hanno Frangenber­g). Überhaupt ist alles so idyllisch: Die weich singende Lisa Rombach erinnert als Jeanne d’Arc an Jennifer Greys „Baby“in Dirty Dancing. Mit einem geschmeidi­g-hellen tenore di grazia ist Paul Schweinest­er gesegnet, die Abgründe des Gilles de Rais tun sich eher abseits des Vokalen auf.

Johann Leutgeb als innig empfindend­er Mönch Jean Pasquerel, Andreas Jankowitsc­h als polternder Bösewicht Etienne de Vignolles und Bernd Lambauer als Jean d’Orléans komplettie­ren das Ensemble dieser Produktion, die insgesamt eine leichte Schlagseit­e hin zum Kindermärc­hen hat. Komponist und Dirigent FrançoisPi­erre Descamps malt für die ariosen Erzählunge­n der Sänger mit seinem streicherl­astigen Ensemble variable Klanghinte­rgründe, die Erregung, noblen Pathos und einen Hauch von Hollywood in gemäßigt moderner Tonsprache und swingenden Rhythmen (3+2+3) transporti­eren.

Tornquist bekommt als Librettist­in nach der Hinrichtun­g ihrer Protagonis­ten sogar noch ein lieto fine hin: Gottes Stimme, das sei nicht der Aufruf zum Krieg, sondern das Zwitschern der Vögel, weiß der Mönch. Begeisteru­ng dafür im Reaktor. (sten) Bis 29. 9.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria