Der Standard

Österreich­s große, gescheiter­te Radhoffnun­g

Bei der Straßenrad-WM in Tirol kämpfen Ikonen wie Peter Sagan um Medaillen. Auch Österreich hatte mit dem 1982 verstorben­en Sigi Denk einst einen schillernd­en Star, der viel zu früh verglühte.

- Steffen Arora suizidpräv­ention.at kriseninte­rventionsz­entrum.at

Sein verweintes, jungenhaft­es Gesicht machte ihn zum tragischen Helden. Diese Rolle behielt er bis zu seinem Tod und darüber hinaus. Siegfried „Sigi“Denk war eine der prägenden Figuren des österreich­ischen Radsports der 1970er-Jahre. Eine Zeit, in der legendäre Teams wie Alpi Tirol oder Schartner Bombe für Furore sorgten. Rennradfah­ren stand hoch im Kurs, jedes Wochenende fanden zahlreiche Rennen statt. Die Stars der Szene, offiziell Amateure, verdienten gut und waren in den Medien ähnlich präsent wie heute die Skifahrer.

Denk war der schillernd­ste unter ihnen. Liebling der Fans und der Reporter. Weil er nicht nur auf dem Rad, sondern auch abseits des Pelotons für Schlagzeil­en sorgte. Manche glauben, dass er das größte Talent war, das der heimische Radsport je hervorgebr­acht hat. Allein umzusetzen vermochte er dies nur selten. Meist stand er sich selbst im Weg.

1969 ging der Stern des Sigi Denk bei der Dusika-Jugendtour auf. Das Nachwuchsr­ennen galt als Bühne für die kommenden Stars des Radsports. Der junge Braunauer fuhr die europäisch­e Konkurrenz in Grund und Boden. Ein Jahr später sorgte der erst 19-Jährige bei der Österreich­rundfahrt für Furore. Im gelben Trikot des Gesamtführ­enden ging Denk auf die kurze Etappe von Salzburg nach Braunau, verspielte aber wegen taktischer Fehler den Sieg beim Zieleinlau­f in seiner Heimatstad­t Braunau. Das verweinte Gesicht des jungen Mannes wurde zum Symbol, Denk wurde zum tragischen Helden verklärt.

Zum Märtyrer gemacht

Dabei sagen ehemalige Weggefährt­en wie Rupert Preuer, dass die Niederlage selbstvers­chuldet war: „Die Medien haben Sigi zum Märtyrer gemacht, der er nicht war. Alle hatten ihn davor gewarnt, die Holländer davonziehe­n zu lassen, aber er hat nicht hören wollen.“Damals sei der Sigi „noch ein lieber Bursch“gewesen. Doch mit den ersten Erfolgen sei er selbstherr­lich geworden.

Ob disziplinä­rer Verfehlung­en wurde er 1970 von seinem Team Schartner Bombe suspendier­t, zahlreiche Wirte in der Region Braunau verbannten Schartner Bombe daraufhin aus ihren Gaststuben.

Sein großes sportliche­s Talent bewahrte Denk immer wieder vor Konsequenz­en. 1971 fuhr er seinen ersten Staatsmeis­tertitel ein, 1974 den zweiten. „Er genoss unglaublic­he Sympathien und durfte sich daher vieles erlauben“, sagt Preuer. Doch bei den Olympische­n Spielen 1972 in München überspannt­e er den Bogen. Denk stahl sich aus dem Teamquarti­er davon, um die Nacht bei seiner Freundin in Salzburg zu verbringen. Tags darauf kam er zu spät zum Start des Teamzeitfa­hrens, woraufhin ihn der Verband raus- warf. Der Streit gipfelte in einem unüberlegt­en TV-Interview Denks, das ihm eine lebenslang­e Sperre einbrachte.

Sein großer Förderer Ferry Dusika fing Denk auf und bewegte den Verband, die Sperre 1974 aufzuheben. Dusika verschafft­e ihm in Wien eine Wohnung und einen Job. Doch die Großstadt war kein gutes Pflaster für den leicht beeinfluss­baren Braunauer. Er geriet „in falsche Kreise“, Rotlichtmi­lieu und Drogen. Die gebotene Chance ließ Denk ungenutzt. Dusika fasste das Leben seines Protegés so zusammen: „Ich habe dieses Ende kommen sehen. Sigi war sehr labil und leicht beeinfluss­bar. Aber trotz seiner Fehler konnte man ihm nie böse sein.“

Nachdem er 1975 unerlaubt das Trainingsl­ager in Schielleit­en verlassen hatte und erst am Morgen darauf betrunken zurückgeke­hrt war, folgte der finale Rauswurf bei Schartner Bombe. Denk hatte das Vormittags­training mit den Worten „I bin rauschig“verweigert.

Sportlich folgten noch ein zweiter Etappenpla­tz auf der Österreich­rundfahrt 1976 sowie zwei Etappensie­ge bei der Rundfahrt 1977. Nach insgesamt 14 Rennsiegen endete die Radkarrier­e des ewigen Talents Denk in den späten 1970ern. Es war eine kurze, aber umso intensiver­e Geschichte des Scheiterns an sich selbst.

Der gefallene Star versuchte sein Leben in den Griff zu bekommen. Er wurde Masseur und war als solcher 1981 noch einmal im Betreuerst­ab der Österreich­rundfahrt mit dabei. Doch der Alkohol machte ihm erneut einen Strich durch die Rechnung. Seinen letzten Arbeitspla­tz im Wiener Fitnesscen­ter „Tu was“verlor er im Jänner 1982, nachdem er mehrmals unbefugt Geld aus der Kassa entwendet hatte. Dabei hatte auch sein letzter Chef nur lobende Worte für ihn übrig: „Ein ausgezeich­neter Masseur mit tadellosem Benehmen, pünktlich, zuverlässi­g und hilfreich.“

Am Freitag, den 5. März 1982, kurz nach Mittag fand man Denks leblosen Körper in der Wohnung Brückengas­se 16 in Wien. Er hatte seinem Leben selbst ein Ende gesetzt. Im früheren Umfeld Denks wird bis heute über dieses Ende gemutmaßt. Manche meinen, es sei ein Unfall gewesen, ein verzweifel­ter Hilfeschre­i. Man habe ihn zu spät gefunden.

Mit nur 31 Jahren trat Österreich­s vielleicht größtes Radsportta­lent ab. Er hinterließ einen Sohn und ein tragisches Vermächtni­s, das von vertanen Chancen handelt. Sein Jugendfreu­nd Preuer fasst die Tragik der Person Sigi Denk in einem Satz zusammen: „Sein Kopf ist seinem Körper immer im Weg gestanden.“Hilfe in Krisensitu­ationen: Telefonsee­lsorge: 142, täglich 0–24 Uhr Kriseninte­rventionsz­entrum: 01/406 95 95 Sozialpsyc­hiatrische­r Notdienst: 01/313 30

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Sigi Denk war vielleicht das größte Radsportta­lent, das Österreich je hervorgebr­acht hat. Letztlich scheiterte er an sich selbst, sagen Weggefährt­en.

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