Abgemahnt, aber noch nicht angezählt
Der blaue Innenminister gilt mittlerweile auch beim Koalitionspartner als umstritten, doch eine Regierungsrochade ist vorerst nicht in Sicht – stattdessen stärkte der FPÖ-Chef Herbert Kickl den Rücken.
Konzentrationsgelüste gegenüber Asylwerbern, unrechtmäßige Suspendierungen von Verfassungsschützern samt überschießender Hausdurchsuchungen und jetzt das schriftliche Anhalten der Landespolizeidirektionen, missliebigen Zeitungen nur die nötigsten Infos zu erteilen, dafür aber den Fokus auf Sexualdelikte im öffentlichen Raum zu legen: Seit dem Amtsantritt von Herbert Kickl (FPÖ) gerät das Innenministerium als oberste Polizeibehörde beinahe öfter in die negativen Schlagzeilen als all die Verbrecher im Land, die die Exekutive tagaus, tagein stellt.
Angesichts der jüngsten Aufregung rund um die E-Mail, die die anvisierte Informationspolitik unter Kickl offenlegt, haben Kanzler Sebastian Kurz ( ÖVP) und seine Minister erstmals einen Pflock gegenüber dem sonst so geschätzten Koalitionspartner eingeschlagen – und jede Einschränkung von Pressefreiheit als „nicht akzeptabel“qualifiziert. Doch bedeuten die paar Abmahnungen schon, dass der 50-jährige Innenminister ab sofort als angezählt gilt?
Böse Medien, beste Werte
Fest steht, dass Vizekanzler und FPÖChef Heinz-Christian Strache, der sich in den langen Oppositionsjahren oft selbst als künftiger Innenminister ausgerufen hat, weiterhin zu seinem einstigen Redenschreiber und Reimschüttler („Pummerin statt Muezzin“, „Daham statt Islam“) steht. Parteiintern werden derzeit sogar Umfragen herumgereicht, die belegen sollen, dass über 40 Prozent der Bevölkerung finden, die Medien würden über das jüngste KicklGate unsachlich berichten. Die blaue Lesart dazu: Mit seinem jüngsten Krisenmanagement spreche der Innenminister sogar mehr Leute an, als die FPÖ mit knapp 26 Prozent bei der letzten Nationalratswahl an Wählern verzeichnet habe.
Prompt schrieb Strache am Donnerstag via Facebook von einer „gezielten“Kampagne gegen den Minister und FPÖ-General, Christian Hafenecker bezeichnete die Kritik an Kickl als „inszenierte Medienhatz“.
Im Parlament schmetterten ÖVP und FPÖ zwar gemeinsam den jüngsten Miss- trauensantrag der Opposition gegen Kickl ab, doch hinter den türkisen Kulissen gehen die Meinungen über den Kärntner immer weiter auseinander, wie man in der Kanzlerpartei zugibt. Eine wilde Debatte über Kickls Ablöse gebe es derzeit aber nicht, versichert man.
Ruhe gefragt statt ständiger Exzesse
Ein Kenner der Partei weiß jedoch davon zu berichten, dass Kurz schon genervt sei, weil ihm der blaue Innenminister seine internationalen Auftritte verpfusche – das Publikwerden der E-Mail platzte zu Wochenbeginn mitten in die UNO-Generalversammlung in New York. Inzwischen schalteten Journalistenverbände wegen der geplanten Infosperre für den STANDARD, den Kurier und den Falter auch den Europarat ein. Deswegen wird bereits gemunkelt, ob Kickl nicht doch besser im Sozialministerium aufgehoben wäre – was den Vorteil hätte, dass man so auch gleich das zweite blaue Problemregierungsmitglied, Ministerin Beate Hartinger-Klein, loswerden könnte. Jedenfalls müsse endlich Ruhe ins Innenministerium einkehren, so die Ansicht von Bürgerlichen.
Ebenfalls bemerkenswert: Im Zuge der dringlichen Anfrage der Neos am Mittwoch ermahnte Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) Kickl als Minister zweimal, doch die Würde des Hauses zu wahren – weil der im Parlament lieber der Opposition die Leviten las, anstatt zu den Vorgängen in seinem Ressort ausführlich Rede und Antwort zu stehen. Und ÖVP-Sicherheitssprecher Werner Amon hielt in Kickls Richtung fest: „Vertrauen wird dadurch erschöpft, dass es in Anspruch genommen wird.“
Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger hält nach der turbulenten Nationalratssitzung fest: „Kickl hat sich von der Ministeriumsmail nicht distanziert. Solange er keine anderslautende Weisung an die Polizei ausgibt, bleibt er unglaubwürdig.“Seine Amtsführung, siehe auch BVT, gefährde längst die Demokratie – und damit sei jetzt eindeutig Kurz als Kanzler gefordert. „Der Minister wurde auf seinen Vorschlag hin ernannt – und Kickl ist so jetzt nicht mehr tragbar.“