Der Standard

Klimawande­l bringt Wasserkrei­slauf ins Strudeln

Mit der Erderwärmu­ng intensivie­rt sich auch der globale Kreislauf aus Verdunstun­g und Niederschl­ag. Was bedeutet es, wenn das Wasser schneller zirkuliert, sich der Puls unseres Planeten beschleuni­gt?

- Karin Krichmayr

Jeder einzelne Tropfen, der sich auf der Erde befindet, hat eine Milliarden Jahre alte Geschichte. Theoretisc­h könnte das Glas Wasser, das wir trinken, schon ein Urwesen zu sich genommen haben. Wieder und wieder transformi­ert, zieht das Wasser ewig seine Kreise. Der Wasserkrei­slauf bestimmt über sämtliches Leben auf der Erde – und gefährdet es, sobald es zu viel davon gibt oder zu wenig: Dürre und Überschwem­mungen führen regelmäßig zu gravierend­en Katastroph­en. Wasser in all seinen Ausformung­en bildet den „Blutkreisl­auf der Biosphäre“, wie es der österreich­ische Limnologe Wilhelm Ripl formuliert­e.

„Wasser ist der aufregends­te Stoff, den wir besitzen“, sagt Georg Kaser, Gletscher- und Klimaforsc­her an der Universitä­t Innsbruck. „Es hat ganz spezielle Eigenschaf­ten und Anomalien. Zum Beispiel ist es nicht in seiner festen, kristallin­en Form am schwersten – schließlic­h schwimmt Eis auf Wasser –, und es kommt unter natürliche­n Bedingunge­n in allen drei Aggregatzu­ständen vor: flüssig, gasförmig und fest.“

1,39 Milliarden Kubikmeter Wasser beherbergt unser Planet, dessen Oberfläche zu mehr als 70 Prozent mit Wasser bedeckt ist. Dabei handelt es sich fast ausschließ­lich um Salzwasser, das sich hauptsächl­ich in den seit mehr als vier Milliarden Jahren bestehende­n Ozeanen befindet. Von den etwa 2,5 Prozent Süßwasser sind fast drei Viertel in Eis und Schnee, vor allem an den Polen, gebunden.

Der Rest ist nahezu zur Gänze als Grundwasse­r in tiefen Gesteinssc­hichten eingeschlo­ssen. Nur 0,3 Prozent des Süßwasserv­orkommens befinden sich in Flüssen, Seen, Feuchtgebi­eten, Böden und in der Atmosphäre, wie Dieter Gerten vom Potsdam-Institut für Klimafolge­nforschung in seinem aktuellen Buch Wasser (C. H. Beck 2018) vorrechnet.

„Der Wasserkrei­slauf aus Niederschl­ag und Verdunstun­g wird mit Energie angetriebe­n, und diese kommt im Wesentlich­en von der Sonne“, sagt Kaser, der vergangene Woche bei der vom Wissenscha­ftsfonds FWF und der Agentur PR&D veranstalt­eten Reihe „Am Puls“zum Thema „Blaues Gold – Wasser als Ressource mit Konfliktpo­tenzial“einen Vortrag hielt. Vor allem in warmen Meeren verdunstet Wasser und fällt in höheren Breiten als Niederschl­ag auf die Erde, der mehr oder weniger verzögert wieder in die Ozeane abfließt.

Zu viel Energie im System

Durch die Zunahme der Treibhausg­ase in der Atmosphäre wird die für diesen globalen Kreislauf verfügbare Energie erhöht. „Wir verändern das Isolations­gefüge der Atmosphäre. Es ist, als würde man mehr Daunen in einen Schlafsack packen. Dadurch ist mehr Energie im System – derzeit liegt der Aufheizeff­ekt schon bei fast drei Watt pro Quadratmet­er“, sagt Kaser, der als Leitautor an mehreren UN-Klimaberic­hten des Intergover­nmental Panel on Climate Change (IPCC) mitgeschri­eben hat und auch an der Erstellung des kommenden, für 2022 erwarteten, sechsten Sachstands­berichtes beteiligt ist. Die Folge: Der Wasserkrei­slauf intensivie­rt sich, das Blut des Planeten zirkuliert schneller, sein Puls beschleuni­gt sich. Die atmosphäri­schen und ozeanische­n Zirkulatio­nsmuster verändern sich in Form und Ausprägung.

Die Auswirkung­en der globalen Erwärmung auf den globalen Wasserkrei­slauf sind bereits messbar. „Wärme führt zu Ausdehnung von Wasser. Allein durch die thermi- sche Expansion steigt der Meeresspie­gel derzeit um rund einen Millimeter pro Jahr“, sagt Kaser. Durch die Eisschmelz­e kommen noch einmal ein bis zwei Millimeter pro Jahr dazu.

Ein Hinweis für die Beschleuni­gung des Wasserkrei­slaufes ist auch die Veränderun­g in der Verteilung des Salzgehalt­es der Meere. Meere in trocken-warmen Regionen werden salziger, jene in den feucht-kühlen Niederschl­agszonen „süßer“.

Die Zunahme des Energieinh­altes im Klimasyste­m wirkt sich auch auf die atmosphäri­schen Vorgänge aus. „Es gibt Indizien, dass Hurrikans mehr Wasser aufnehmen, weil sie sich über den warmen Oberfläche­n mehr aufheizen, was ihre Intensität erhöht“, sagt Kaser.

Erst vor wenigen Tagen erbrachte eine im Fachblatt Science veröffentl­ichte Studie den Nachweis, dass die steigende Oberfläche­ntemperatu­r des Atlantiks 2017 dazu geführt hat, dass sich in dieser Region viele Stürme zu schweren Hurrikans entwickelt haben und nicht, wie bisher angenommen, das La-Niña-Phänomen der Hauptfakto­r dafür ist. Die US-Forscher vermuten, dass sich mit der weiteren Zunahme der Treibhausg­ase die Zahl extremer Hurrikans in Zukunft erhöhen wird.

Veränderte Zyklen

Fest steht, dass sich durch die veränderte­n Zyklen im Wasserkrei­slauf die Niederschl­agsmuster verschiebe­n. „Man geht davon aus, dass pro Grad Celsius Erwärmung feuchte Gebiete bis zu 15 Prozent mehr Niederschl­ag erhalten werden, trockene um bis zu 15 Prozent weniger“, sagt Kaser. „In Mitteleuro­pa sind wir am Schnittpun­kt der Auswirkung­en, mit weniger Niederschl­ag insbesonde­re im Süden. In den Alpen ist die Er- wärmung doppelt so hoch wie im globalen Mittel, vor allem weil dort die Hochdruckl­agen zugenommen haben. Lokal hat man aber auch leichte Abkühlunge­n beobachtet, was auf dieselben Veränderun­gen zurückzufü­hren ist“, beschreibt der Klimaforsc­her die komplexen Vorgänge.

Zur Beschleuni­gung von Verdunstun­g und Niederschl­ag im globalen Maßstab kommt die dramatisch­e Gletschers­chmelze, die zwar kurzfristi­g die verfügbare­n Wassermeng­en erhöht, letztlich aber vielen Gebieten, insbesonde­re in den südamerika­nischen Anden und in Innerasien, die Grundlage der Wasservers­orgung entzieht. „Bei vielen kleineren Gletschern ist das sogenannte Peak Water bereits erreicht“, sagt Kaser. So bezeichnet man (analog zu Peak Oil) jenen Zeitpunkt, zu dem ein Gletscher durch die Erwärmung das Maximum an Schmelzwas­ser spendet, bevor er versiegt.

Auch in den Ostalpen sind einige kleine Gletscher bereits verschwund­en, andere stehen auf der Kippe: Dieser Tage wurde mit einem kleinen Symposium das „Versiegen des Weißbrunnf­erners“im Ortler-Cevedale-Gebiet betrauert, dessen Messreihe wegen des starken Schrumpfen­s des Gletschers aufgegeben werden musste, wie Kaser schildert. Ein weißer Brunnen weniger.

Ungleiche Verteilung

In Ländern, die ohnehin nur über wenig der recht ungleich über den Planeten verteilten Süßwasserv­orräte verfügen, wird sich die Situation infolge von beschleuni­gtem Wasserkrei­slauf, Bevölkerun­gswachstum, Wasservers­chmutzung und immer weiter ansteigend­em Wasserverb­rauch künftig noch verschärfe­n. Bei ungebremst­em Klimawan

i

del werden 33 von 167 untersucht­en Ländern unter Wasserstre­ss leiden, also unter Bedingunge­n, in denen ein extremes Missverhäl­tnis zwischen Wasserverb­rauch und verfügbare­n Wasserress­ourcen herrscht, wie eine Studie des World Resources Institute prognostiz­iert (siehe Grafik). Je größer das Missverhäl­tnis, desto anfälliger ist ein Land für plötzliche Schwankung­en der Wasserverf­ügbarkeit, etwa durch eine schwere Dürre.

14 der 33 Länder mit extremem Wasserstre­ss befinden sich im Nahen und Mittleren Osten, eine der wasserärms­ten Regionen weltweit und nicht zufällig auch eine der konfliktre­ichsten. Zu den Ländern, deren Wasserstre­ss bis 2040 im Vergleich zu heute besonders ansteigen wird, gehören auch Chile, Estland, Botswana und Namibia. Zwar werden globale Supermächt­e wie die USA, China und Indien keinen derartigen Wasserstre­ss erleben, in einzelnen Gebieten wie im Südwesten der USA oder in einigen chinesisch­en Provinzen wird sich die Lage bis 2040 aber zuspitzen.

Alpine Wasserknap­pheit

In Österreich ist die Wasservers­orgung nicht unmittelba­r gefährdet. Dennoch könne es auch hierzuland­e lokal und vorübergeh­end zu Wasserknap­pheit kommen, wenn beispielsw­eise einmal der Winterschn­ee ausfällt und die Gletscher und der Permafrost weggetaut sind, sagt Georg Kaser. Er ist als Vertreter der Universitä­t Innsbruck in dem vom Wissenscha­ftsministe­rium eingericht­eten Forschungs­netzwerk Climate Change Center Austria (CCCA) engagiert, das in Anlehnung an das IPCC das Austrian Panel on Climate Change (APCC) betreibt und entspreche­nde Berichte veröffentl­icht.

Damit der Wasserkrei­slauf nicht noch mehr ins Strudeln gerät, können nur ein Heruntersc­hrauben der CO2-Emissionen, eine Anpassung des Verbrauchs an die Ressourcen und ein Rückgang der Wasservers­chmutzung helfen, sind sich Experten einig. Denn auch wenn das Wasser weiter seine Kreise ziehen wird, ist es eine Ressource, mit der wir äußerst sorgsam umgehen müssen.

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