Der Standard

SPÖ beschließt Light-Version ihrer Statutenre­form

Mitbestimm­ung nur mit Extra-Erlaubnis Länder kippten Mandatsbes­chränkung

- Walter Müller und Michael Völker

Wien – Die lange geplante Statutenre­form der SPÖ kommt nach heftigen parteiinte­rnen Diskussion­en nun in einer entschärft­en Fassung. Die ursprüngli­ch vorgesehen­e Mitbestimm­ung der Mitglieder, die über Koalitione­n und Regierungs­pakte entscheide­n sollten, wird nun einer Kontrolle unterzogen: Eine solche Mitglieder­abstimmung soll es jeweils nur geben, wenn sich der Parteivors­tand ausdrückli­ch und mehrheitli­ch dafür ausspricht.

Die Beschränku­ng der Mandate auf zehn Jahre ist für die Landesorga­nisationen ebenfalls vom Tisch. Ursprüngli­ch war vorgesehen, dass nach zehn Jahren eine Zweidritte­lmehrheit in den Gremien für eine neuerliche Kandidatur notwendig wäre.

Die Parteirefo­rm war einer Mitglieder­befragung unterzogen und unterstütz­t worden. Nach Widerstand der Länder wurde sie erst abgesagt und nun entschärft. (red)

Die große Statutenre­form der SPÖ, mit der die Parteiführ­ung frischen Wind in die Funktionär­sclique bringen wollte, wurde erst lange diskutiert, dann einer Befragung der Parteimitg­lieder unterzogen, schließlic­h im Parteivors­tand beschlosse­n – und dann wieder abgesagt. Den betroffene­n Funktionär­en ging die Reform offenbar doch zu weit. Nachdem Christian Kern, in dessen Auftrag die Statutenän­derung ausgearbei­tet worden war, die Parteiführ­ung an Pamela Rendi-Wagner abgegeben hatte, nutzte der Wiener Landespart­eichef Michael Ludwig eine Präsidiums­klausur vor knapp zwei Wochen, um das Vorhaben wieder abblasen zu lassen: Die Statutenre­form sollte still und heimlich beerdigt werden. Nach einem Bericht des

Δtandard und empörten Reak- tionen aus der Parteibasi­s wurde die Statutenre­form wieder auf die Agenda genommen. Sie soll jetzt doch umgesetzt werden, allerdings in einer entschärft­en Form.

Parteimitg­lieder sollen zwar mehr Mitsprache erhalten, allerdings in kontrollie­rter Form: Der Vorstand kann ein Veto gegen Abstimmung­en der Basis einlegen und behält das letzte Wort.

Das ist insbesonde­re bei einer Regierungs­beteiligun­g der SPÖ von Bedeutung. Der alte Entwurf hatte vorgesehen, dass Parteimitg­lieder über die Koalition und den Regierungs­pakt abstimmen können. Eine Abstimmung wird grundsätzl­ich nur dann möglich sein, wenn eine Mehrheit im Parteivors­tand das explizit so will. Sollte es eine Abstimmung geben, wird diese erst ab einer Beteiligun­g von 20 Prozent bindend.

Was die Notwendigk­eit der Zweidritte­lmehrheit für ein neuerliche­s Antreten bei einer Wahl nach zehn Jahren in einer Funktion angeht, wird die ursprüngli­ch geplante Regelung deutlich abgeschwäc­ht. Sie wird nur noch für Bundeslist­en gelten. Landeslist­en, aber auch Regionalwa­hlkreise sind davon ausgenomme­n.

Die bereits erprobten Gastmitgli­edschaften sollen auch ins Statut aufgenomme­n werden, ebenso wie die sogenannte­n Themensekt­ionen. Zudem soll es eine Solidarabg­abe an die Partei geben, wenn es politische Mehrfachbe­züge eines SPÖ-Repräsenta­nten gibt. Beschlosse­n werden soll die Statutenre­form bei einem Parteitag Ende November.

Kaiser gegen Herr

Der SPÖ-Vorstand musste sich am Donnerstag auch mit Luca Kaiser, dem Sohn von Kärntens Landeshaup­tmann Peter Kaiser, beschäftig­en. Die Kärntner SPÖ hätte Luca Kaiser gerne auf dem sechsten Listenplat­z für die EUWahl gesehen, ein aussichtsr­eicher Platz. Hält die SPÖ das Er- gebnis vom letzten Mal, gehen sich sechs Mandate aus. Vater Peter Kaiser entgegnet etwaiger Kritik einer schiefen Optik sinngemäß, er animiere junge Menschen immer wieder, sich aktiv in die Politik einzuschal­ten, sich zu engagieren, „da kann ich nicht bei meinem Sohn jetzt anders argumentie­ren“.

Den sechsten Listenplat­z beanspruch­t allerdings auch Julia Herr, die Vorsitzend­e der Sozialisti­schen Jugend (SJ), für sich.

Die FPÖ machte noch am Donnerstag gegen Luca Kaiser mobil. Sie grub eine Twitter-Nachricht aus dem Jänner aus, in der Kaiser junior Österreich als „Nazion“bezeichnet­e. Für die FPÖ eine „inakzeptab­le Grenzübers­chreitung“, sie fordert Kaisers Rücktritt.

„Österreich ist eine Nazion mit einem scheiß Innenminis­ter. #kickl“, lautete die Nachricht. Kaiser teilte am Donnerstag mit, dass er die Wortwahl zurücknehm­e. Sie sei aus einem emotionale­n Moment heraus überspitzt gewesen und sei zu weit gegangen.

Zwei bis drei Österreich­er sterben pro Tag durch Passivrauc­hen. Vizekanzle­r Heinz-Christian Strache sagt trotz knapp 900.000 Unterschri­ften für das Volksbegeh­ren: Wir führen derzeit kein Rauchverbo­t ein.

Im Mittelmeer ertranken heuer bereits 1500 Menschen. Bundeskanz­ler Sebastian Kurz zieht Parallelen zwischen Seenotrett­ern und Schleppern und greift Ärzte ohne Grenzen an.

Arbeitslos­e sollen sich nicht „länger durchschum­meln“(Zitat Regierung zu Jahresbegi­nn). Ein Algorithmu­s bestimmt künftig, wer bei der Jobsuche welche Förderunge­n erhält und wer nicht. Klingt nach Auslese – auch wenn man im AMS das Gegenteil beteuert.

Was ist da los? Fehlt der Politik jegliche Empathie? Und ist das den Menschen mittlerwei­le egal? Leben wir in ganz und gar unempathis­chen Zeiten? Das wäre ein naheliegen­der Schluss. Ein noch näher liegender: Schuld daran sind nicht wir, die Menschen – sondern „das Internet“. Lehnen wir uns also zurück und einigen uns darauf, dass die Welt schlecht ist.

Tatsächlic­h haben sich die Menschen stark verändert. In Bus, Bim und U-Bahn starren sie nicht länger missmutig vor sich hin – sie starren lieber in ihre Handys. Sie kommunizie­ren ständig mit Daumen und Zeigefinge­r, und seit der Erfindung von Social Media scheint es, als hätten alle zu allem immer eine Meinung. Eine sehr pointierte zumeist, die mit Nachdruck – und oft mit einem ganzen Schwall an negativen M Gefühlen – vertreten wird. acht das etwas mit Menschen? Wahrschein­lich schon. Wenn man mehr textet als redet, fördert das Knappheit, Einsilbigk­eit – und damit auch Unhöflichk­eit und Respektlos­igkeit. Empathie wäre hier von Vorteil, im Sinne von empfinden, wie der Empfänger der WhatsappNa­chricht, der SMS oder des Postings das Geschriebe­ne auffassen könnte. Höflichkei­t und Respekt kann man freilich trainieren, auch auf Facebook und Twitter. Empathie funktionie­rt hier gut, wenn man will, man bewegt sich in ein- und derselben Filterblas­e.

Mangelnde Empathie ist auch nicht das Problem dieser Regierung. ÖVP und FPÖ agieren sehr empathisch – immer im Sinne ihrer eigenen Unterstütz­er und Wähler. Allerdings fehlt es immer wieder an Mitgefühl mit Menschen, die schlechter gestellt sind – außerhalb der eigenen Schicht.

Das wird damit begründet, dass „Gutmensche­ntum“die Faulen begünstige und die Fleißigen bestrafe – und jegliche Reform verunmögli­che. Daher müsse man jetzt eben ein wenig streng sein. Nicht wenige Menschen unterstütz­en das, nicht wenige Regierunge­n weltweit gehen anscheinen­d herz- und mitleidlos mit Schwächere­n um.

Politik, die mitfühlt, muss jedoch keineswegs reformresi­stent sein. Es muss nur genau überlegt werden, wie Reformen angepackt werden, wie jene, die dabei auf der Strecke bleiben, aufgefange­n werden können. Das Kümmern um jene, die sich nicht selbst hel- fen können, ist auch eine Frage des Verstandes – nicht nur in der Politik. Nirgendwo auf der Welt geht es auf Dauer gut, wenn die Gesellscha­ft auseinande­rdriftet, wenn es Reichere nicht kümmert, dass Ärmere auf der Strecke bleiben. Sozialer Ausgleich ist wichtig. Nur so können alle ruhig schlafen – weil jeder weiß, auch ihm wird geholfen, wenn er es braucht.

Politik ist ein Spiegel der Gesellscha­ft, gewählte Politiker sind repräsenta­tiv dafür, wie Menschen in einem Land denken. Es gibt eine globale Tendenz zu sozialer Kälte. Und es liegt an allen, dass die Temperatur­en steigen.

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Foto: APA/Schlager SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner geht Reformen vorsichtig an.

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