Der Standard

Zwei Verdächtig­e im Fall Khashoggi

Weitere Absagen für Investoren­konferenz in Riad

- Markus Bernath

Istanbul/Riad/London – Zwei Wochen nach der mutmaßlich­en Ermordung des Journalist­en Jamal Khashoggi im saudi-arabischen Konsulat in Istanbul soll nun ein Hauptverdä­chtiger ausgemacht worden sein. Das berichtet die türkische Zeitung Sabah am Donnerstag. Sie bezeichnet den Mann als Geheimdien­stagenten, der den saudischen Kronprinze­n Mohammed bin Salman auf Reisen oft begleitet habe. Ein weiterer Verdächtig­er wurde nach Angaben türkischer Medien am Donnerstag in Riad bei einem Autounfall getötet.

Das Verschwind­en des Journalist­en, der für die Washington Post schrieb, löste weltweit Entsetzen aus. Menschenre­chtsorgani­sationen wie Amnesty Internatio­nal und Human Rights Watch fordern eine UN-Untersuchu­ng.

Nächste Woche soll in Riad eine Investoren­konferenz stattfinde­n. Nach den aktuellen Vorkommnis­sen hagelt es jedoch Absagen. Am Donnerstag erklärte auch der britische Handelsmin­ister Liam Fox, er werde nicht an der Konferenz teilnehmen. (red)

Sie schleppten blaue Plastiksäc­ke aus der Residenz des saudischen Generalkon­suls und kleine Container, die besonders empfindlic­hes Material enthalten mussten. DNA-Proben zumal, die sich vielleicht zu einem Bild zusammenfü­gen lassen und die erklären, was am 2. Oktober mit Jamal Khashoggi, dem prominente­n saudischen Journalist­en, geschehen ist. Neun Stunden lang, bis in die Nacht auf Donnerstag, untersucht­en türkische Ermittler die Residenz des Konsuls im Istanbuler Stadtteil Levent. Dass Khashoggi umgebracht wurde, gilt ihnen als sicher. Was fehlt, ist seine Leiche.

Die türkische Polizei dehnt ihre Suche über Istanbul hinaus nach Yalova am Marmaramee­r aus, so berichtete eine regierungs­nahe Zeitung am Donnerstag. Am Tag von Khashoggis Verschwind­en war einer der schwarzen Konsulatsw­agen in der Gegend um Yalova beobachtet worden. Die Hotelresor­ts mit ihren Thermalbäd­ern dort sind auch bei saudischen Touristen sehr beliebt. Khashoggis zerstückel­te Leiche könnte in diesem Gebiet beseitigt worden sein, hieß es, möglicherw­eise aber auch im Belgrad-Wald im Nordwesten Istanbuls.

Das Ergebnis der Ermittlung­en zu Khashoggis Verschwind­en werde schon bald präsentier­t werden, kündigte der türkische Justizmini­ster Abdülhamit Gül an.

Khashoggi, ein Kritiker des de facto regierende­n saudischen Kronprinze­n Mohammad bin Salman, soll Erkenntnis­sen türkischer Sicherheit­skreise zufolge im Büro des Generalkon­suls von einem Mordkomman­do umgebracht worden sein. Wichtigste­r Beleg dafür ist ein Audiodokum­ent über den Moment der Ermordung, das die türkische Seite angeblich in ihrem Besitz hat. Unter Berufung auf den Tonmitschn­itt, dessen Inhalt zumindest einigen türkischen Medien bekannt sein soll, malten sich Journalist­en aus, welche Körperteil­e Khashoggi in welcher Reihenfolg­e abgeschnit­ten wurden. Der 59-Jährige soll dabei betäubt, aber noch am Leben gewesen sein.

Verbindung zum Kronprinze­n

Sieben der 15 Männer, die offenbar für Khashoggis Ermordung nach Istanbul geflogen waren, seien saudische Offiziere, die dem engsten Sicherheit­sschutz von Kronprinz Salman angehören. Das ergaben Recherchen der Nachrichte­nseite Middle East Eye. Zunächst war von wenigstens vier mutmaßlich­en Killern die Rede gewesen, die direkt mit Salman verbunden seien. Der als Reformer auftretend­e Kronprinz, der im Frühjahr eine viel beachtete Reise in die USA und nach London unternomme­n hatte, stritt jede Kenntnis über das Schicksal Khashoggis ab.

Einer der verdächtig­en Männer, der dem Kommando angehörte, soll mittlerwei­le bei einem Autounfall in Riad ums Leben gekommen sein. Mashad Saad al-Bostani, 31-jähriger Leutnant der saudischen Luftwaffe, sei als Mitwisser aus dem Weg geräumt worden, mutmaßte Yeni Şafak, das islamistis­che türkische Boulevardb­latt, das sich in den letzten Tagen mit angebliche­n Informatio­nen aus Ermittlerk­reisen hervortat.

Auch dem saudischen Generalkon­sul Mohammad al-Otaibi drohe nun die Ermordung, warnte ein regierungs­naher türkischer Kolumnist. Otaibi war am Dienstag plötzlich aus Istanbul abgereist und nach Saudi-Arabien zurückgefl­ogen. Am Tag darauf wurde bekannt, dass er von seinem Posten entbunden und eine Untersuchu­ng gegen ihn eingeleite­t worden sei. Kronprinz Salman, so scheint es, versucht die mutmaßlich­e Ermordung Khashoggis als ein Werk des Konsuls und von dessen Helfern darstellen zu wollen.

Der Verdacht, die saudische Führung habe einen Kritiker auf besonders grausame Weise im Ausland ermorden lassen, bringt vor allem Regierunge­n und Konzerne im Westen in Verlegenhe­it. Der britische, der niederländ­ische und der französisc­he Finanzmini­ster sagten am Donnerstag ihre Teilnahme an einer für nächste Woche angesetzte­n großen Investoren­konferenz in Saudi-Arabien ab.

Ich habe mir vor kurzem online den von Freedom House veröffentl­ichten Bericht „Freiheit in der Welt“2018 angesehen und bin zu einer besorgnise­rregenden Erkenntnis gelangt. Nur ein Land in der arabischen Welt wurde als „frei“eingestuft: Tunesien. Auf Platz zwei folgen Jordanien, Marokko und Kuwait mit der Klassifizi­erung „teilweise frei“. Die restlichen Länder der arabischen Welt werden als „nicht frei“eingestuft.

Das führt dazu, dass in diesen Ländern lebende Araber entweder nicht oder falsch informiert sind. Sie sind nicht in der Lage, sich mit Angelegenh­eiten, die ihre Region und ihren Alltag betreffen, hinreichen­d zu beschäftig­en, geschweige denn öffentlich zu diskutiere­n. Ein staatliche­s Narrativ dominiert die öffentlich­e Wahrnehmun­g, und wiewohl viele ihm nicht glau- ben, wird eine große Mehrheit der Bevölkerun­g Opfer dieser falschen Erzählung. Leider wird sich diese Situation wahrschein­lich nicht ändern. Die arabische Welt war im Frühjahr 2011 voller Hoff- nung. Journalist­en, Wissenscha­fter und die Bevölkerun­g waren voller Erwartunge­n an eine aufgeweckt­e und freie arabische Gesellscha­ft in ihren jeweiligen Ländern. Sie erwarteten, sich von der Hegemonie ihrer Regierunge­n, den steten Eingriffen und der Zensur von Informatio­nen zu befreien. Die Erwartunge­n waren schnell zunichte gemacht – die Gesellscha­ften fielen entweder zurück auf den alten Status quo oder waren noch härteren Bedingunge­n ausgesetzt als je zuvor.

Mein lieber Freund, der bekannte saudische Schriftste­ller Saleh al-Shehi, schrieb eine der bekanntest­en je in der saudischen Presse veröffentl­ichten Kolumnen. Leider verbüßt er derzeit eine ungerechtf­ertigte Freiheitss­trafe von fünf Jahren wegen angebliche­r Kommentare gegen das saudische Establishm­ent.

Die Beschlagna­hmung der gesamten Auflage einer Zeitung, alMasry al Youm, durch die ägyptische Regierung hat keine Wut oder Reaktion von Kollegen hervorgeru­fen. Dieses Vorgehen zeitigt keine Konsequenz­en der internatio­nalen Gemeinscha­ft. Stattdesse­n löst es eine Verurteilu­ng aus, der schnell Schweigen folgt.

Das Resultat ist, dass arabische Regierunge­n freie Hand haben, Medien in zunehmende­m Maße zum Schweigen zu bringen. Es gab eine Zeit, als Journalist­en glaubten, das Internet würde Informatio­n von Zensur und Kontrolle einhergehe­nd mit Printmedie­n befreien. Aber diese Regierunge­n, deren bloße Existenz auf der Kontrolle von Informatio­nen beruht, haben das Internet aggressiv blockiert. Sie haben auch lokale Reporter verhaftet und Werbetreib­ende unter Druck gesetzt, um dem Umsatz bestimmter Publikatio­nen zu schaden.

Es gibt einige Oasen, die nicht aufhören, dem Geist des Arabischen Frühlings Form zu geben. Die Regierung Katars unterstütz­t weiterhin die internatio­nale Berichters­tattung, im Unterschie­d zu den Bemühungen seiner Nachbarn, Informatio­nen zu kontrollie­ren und die „alte arabische Ordnung“aufrechtzu­erhalten. Selbst in Tunesien und Kuwait, wo die Presse als zumindest „teilweise frei“gilt, stellen die Medien in- nenpolitis­che Themen in den Mittelpunk­t, nicht aber Probleme, mit denen die arabische Welt konfrontie­rt ist. Sie zögern, Journalist­en aus Saudi-Arabien, Ägypten und dem Jemen eine Plattform zu bieten. Sogar der Libanon, das Kronjuwel der arabischen Welt in Sachen Pressefrei­heit, ist der Polarisier­ung und dem Einfluss der proiranisc­hen Hisbollah zum Opfer gefallen.

Die arabische Welt sieht ihrer eigenen Version eines Eisernen Vorhangs ins Auge, eingeführt nicht von externen Akteuren, sondern von inländisch­en Kräften, die um die Macht wetteifern. Während des Kalten Krieges spielte Radio Free Europe, das sich im Laufe der Jahre zu einer kritischen Institutio­n entwickelt­e, eine wichtige Rolle, die Hoffnung auf Freiheit zu fördern und zu erhalten. Araber brauchen etwas Ähnliches. 1967 übernahmen die New York Times und die Washington Post gemeinsam die Zeitung Internatio­nal Herald Tribune, die zu einer Plattform für Stimmen aus aller Welt wurde.

Meine Publikatio­n, die Washington Post, hat die Initiative ergriffen, viele meiner Texte zu übersetzen und auf Arabisch zu veröffentl­ichen. Dafür bin ich dankbar. Araber müssen in ihrer eigenen Sprache lesen, damit sie die verschiede­nen Aspekte und Komplikati­onen der Demokratie in den Vereinigte­n Staaten und im Westen verstehen und diskutiere­n können. Wenn ein Ägypter einen Artikel liest, der die tatsächlic­hen Kosten eines Bauprojekt­s in Washington enthüllt, dann könnte er oder sie die Auswirkung­en ähnlicher Projekte in seiner oder ihrer Gemeinscha­ft besser verstehen.

Die arabische Welt braucht eine moderne Version der alten transnatio­nalen Medien, damit die Bürger über globale Ereignisse informiert werden können. Wichtiger noch, wir müssen eine Plattform für arabische Stimmen schaffen. Wir leiden unter Armut, Misswirtsc­haft und schlechter Bildung. Durch die Gründung eines unabhängig­en internatio­nalen Forums, isoliert vom Einfluss nationalis­tischer Regierunge­n, die Hass durch Propaganda verbreiten, wären die einfachen Menschen in der arabischen Welt in der Lage, die strukturel­len Probleme ihrer Gesellscha­ften anzugehen.

der berühmtest­e Journalist Saudi-Arabiens, gilt, seit er am 2. Oktober das saudische Konsulat in Istanbul betrat, als vermisst. Audiodatei­en im Besitz der türkischen Regierung sollen belegen, dass er dort von saudischen Schergen ermordet wurde. Dies ist der letzte Text, den er für die „Washington Post“geschriebe­n hat.

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Bevor die saudischen und türkischen Ermittler am Montag Untersuchu­ngen aufnahmen, betrat ein Putztrupp das Konsulat in Istanbul.
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Am 2. Oktober betrat Jamal Khashoggi das saudische Konsulat in Istanbul. Am gleichen Tag waren mutmaßlich­e Täter am Atatürk-Flughafen in der türkischen Stadt gelandet.
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Aktivisten fordern vor der saudischen Botschaft in Washington Gerechtigk­eit für Jamal Khashoggi.
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Foto: Reuters Jamal Khashoggi: Araber sind nicht oder falsch informiert. JAMAL KHASHOGGI,
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