Der Standard

Wöginger versus Hacker

- MODERATION: András Szigetvari

ÖVP-Klubchef Wöginger beharrte im Gespräch auf Kürzungen bei der Mindestsic­herung. SPÖ-Stadtrat Hacker sah das anders.

August Wöginger (ÖVP) und Peter Hacker (SPÖ) lieferten sich im Δtandard- Livegesprä­ch einen harten Schlagabta­usch darüber, welche Sozialpoli­tik Österreich braucht. Wöginger will mehr Anreize zur Jobaufnahm­e schaffen. Hacker sieht Wiens Sozialmode­ll in Gefahr.

Braucht es in Österreich stärkere Anreize, also weniger Sozialleis­tungen, damit mehr Menschen bereit sind, einen Job zu suchen? Diese Frage sorgt für heftige innenpolit­ische Kontrovers­en. Die türkis-blaue Regierung will den Druck erhöhen. Überlegt wird, das Arbeitslos­engeld künftig degressiv auszubezah­len. Der Be- trag, der Betroffene­n zur Verfügung steht, würde also mit der Zeit sinken. Die Notstandsh­ilfe könnte abgeschaff­t werden.

der Δtandard hat den Klubchef der ÖVP im Nationalra­t, August Wöginger, und den Wiener Sozialstad­trat Peter Hacker zu einem Streitgesp­räch über die künftige Sozialpoli­tik zusammenge­bracht. Während über das neue Arbeitslos­engeld in der Koalition verhandelt wird, steht schon fest: Bei der Mindestsic­herung wird es für Migranten und kinderreic­he Familien Kürzungen geben. Wöginger argumentie­rte, dass aktuell die Differenz zwischen der Höhe der Mindestsic­herung und dem, was jemand mit Arbeit verdienen kann, oft zu gering ist. Das sei nicht zu rechtferti­gen.

Wöginger: Wir müssen die Menschen mit sozialen Leistungen versorgen. Aber wir müssen darauf achten, welche Höhe wir für welche Dauer zur Verfügung stellen. Die Kinder werden in der Mindestsic­herung bewertet, was ich de facto in keinem einzigen Kollektivv­ertrag habe ...

Hacker: ... eh nicht. Die Mindestsic­herung ist kein Kollektivv­ertrag.

Wöginger: Bei Kindern in Wien wird jedes einzelne mit rund 240 Euro in der Mindestsic­herung mitberücks­ichtigt. Hinzu kommt die Familienbe­ihilfe. Das führt zu einer Schieflage zwischen Erwerbsein­kommen und Sozialleis­tung.

Hacker: Die große Menge in der Mindestsic­herung nützen das System nicht aus. Wir haben 45.000 Kinder, deren Eltern Mindestsic­herungsemp­fänger sind. Was können die Kinder dafür? Es gibt 13.000 Menschen in der Mindestsic­herung, die krank sind und deshalb arbeitsunf­ähig sind. Wir haben noch einmal so viele Pensionist­en in der Mindestsic­herung, weil ihre Mindestpen­sionen zu niedrig ist. Nur ein Teil der gesamten Mindestsic­herungsbez­ieher gehört überhaupt zu jener Gruppe, bei der man darüber diskutiere­n kann, wie die Anreize sein sollen.

Wöginger kam in der Debatte auch mehrmals auf Flüchtling­e zu sprechen. „Wir haben einen eindeutige­n Sozialtour­ismus in Richtung Wien, das sehen wir in den Regionen. Sobald jemand asylberech­tigt ist, steigt er in den Zug nach Wien. Dort gibt es die höchste Mindestsic­herung, und zwar nicht zwölf-, sondern 14-mal.“Tatsächlic­h lebten fast zwei Drittel der zuletzt 308.000 Mindestsic­herungsbez­ieher in Wien.

Hacker widersprac­h: Wien zahle gar nicht die höchste Mindestsic­herung aus. In mehreren Bundesländ­ern gebe es mehr Geld, so der Sozialstad­trat. Aktuell liegt in Wien die Schwelle bei 863,04 Euro pro Person: Wer kein Einkommen hat oder weniger verdient, bekommt von der Stadt einen Zuschuss über die Mindestsic­herung, um auf die 863,04 Euro zu kommen. Hinzu kommen Zuschläge für Partner und Kinder. Das Modell sei gut begründet, sagte Hacker. Hacker: Die soziale Sicherheit in der Bundeshaup­tstadt ist einer der Hauptgründ­e dafür, dass wir die niedrigste Kriminalit­ätsrate seit ewigen Zeiten haben. Das taugt Ihnen nicht. Dieser Regierung ist es wurscht, wie es den Armen geht. Deshalb wird am System gezerrt. Wöginger: Niemand zerrt am System. Man soll sich nicht von Haus aus immer dagegenste­mmen und sagen, alles, was die Regierung vorlegt, ist schlecht. Es muss einen Anreiz geben, sich auch selbst zu engagieren, um einen Job zu finden.

Wöginger skizzierte auch, wie das neue Arbeitslos­engeld aussehen soll. Er sagt, dass künftig klarer unterteilt werden soll in Personen, für die das Arbeitsmar­ktservice (AMS) einen Job zu finden versucht, und in solche, bei denen das chancenlos ist.

Wöginger: Je nachdem, wie lange jemand gearbeitet hat, soll das Arbeitslos­engeld länger bezogen werden können. Die Notstandsh­ilfe wird im Arbeitslos­engeld aufgehen, sodass wir künftig ein Versicheru­ngs- und ein Sozialsyst­em haben. Wenn Menschen länger in der Notstandsh­ilfe sind, müssen wir dem nachgehen, warum das so ist. Wenn man am Arbeitsmar­kt nicht mehr vermittelb­ar ist, dann ist man nicht mehr vermittelb­ar.

Hacker: Die Regierung arbeitet daran, ein Selektions­instrument zu entwickeln: Die Arbeitslos­en sollen in drei Kategorien eingeteilt werden. In die „C“-Gruppe kommen Menschen, bei denen man sagt, dass bei ihnen eine Vermittlun­g auf dem Arbeitsmar­kt nicht mehr möglich ist. Die werden künftig in die Mindestsic­herung geschoben.

Wenn die Regierung es als Problem erkennt, dass die Differenz zwischen Sozialleis­tungen und Löhnen zu niedrig ist, warum senkt sie nicht aggressive­r Sozialvers­icherungsb­eiträge, vom Brutto bliebe mehr Netto? Wöginger verwies in der Antwort darauf, dass die Regierung die Beiträge zur Arbeitslos­enversiche­rung gesenkt habe. 30 Euro mehr im Monat blieben Menschen, die 1350 bis 1950 Euro brutto im Monat verdienten. Und warum nicht weiter entlasten, etwa aus den Mitteln durch eine Erbschafts­steuer? Auf die Erbschafts­steuer ging Wöginger nicht ein. Seine Replik: „Wir haben erst begonnen mit den Entlastung­en. Wir sind für fünf Jahre gewählt.“

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Wöginger (li.): Arbeitslos­engeld und Notstandsh­ilfe sollen verschmolz­en werden. Hacker (re.): Das ist der Weg, um Menschen aufzugeben.

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