Der Standard

Skateboard­s, Punkrock und die Würde Amerikas

Seit drei Jahrzehnte­n ist der US-Bundesstaa­t Texas fest in der Hand der Republikan­er – doch der Demokrat Beto O’Rourke hat es sich fest vorgenomme­n, seine Heimat bei den Senatswahl­en den Demokraten zurückzuge­ben. Ein Himmelfahr­tskommando.

- Frank Herrmann aus Corpus Christi

Ob er auf dem Skateboard auf die Bühne rollt? Thrasher, ein Skateboard­magazin, hat Beto O’Rourke eines zukommen lassen. Ein gediegenes Exemplar, dessen Vorzüge der Kongressab­geordnete prompt mit fachmännis­chen Kommentare­n zu würdigen weiß. Mit Skateboard­s kennt sich O’Rourke (46) seit der sechsten Klasse aus.

Im Wahlkampf redet er oft davon, da ist so ein Board viel mehr als ein Brett: nämlich ein Symbol für eigene Wege. Auf Skateboard­s, geht seine Erzählung, habe er gelernt, sich nichts und niemandem unterzuord­nen, aus eingefahre­nen Gleisen auszubrech­en, eine Do-it-yourself-Mentalität zu entwickeln. „Keiner bestimmt die Grenzen, an die du dich zu halten hast. Du machst dein eigenes Ding.“O’Rourke, der Rebell. Im Geiste noch immer Teenager. Er lässt er sich nicht lange bitten und rollt tatsächlic­h auf dem Skateboard auf die Theaterbüh­ne im Del Mar College in Corpus Christi. In Jeans und hellblauem Hemd, ein dreifacher Vater mit jungenhaft­em Charme, gefeiert wie ein Rockstar.

O’Rourke ist nicht nur leidenscha­ftlicher Skateboard­er, er hat auch in einer Band Punkrock gespielt. Bis zum Ende des Wahlrennen­s, auch das ist unkonventi­onell, will er sämtliche 254 Countys des Bundesstaa­ts Texas mindestens einmal besucht haben. Er fahre auch in Landstrich­e, die so rot glühten, dass man das Glühen aus dem Weltall sehen könne, scherzt er.

Rot ist die Farbe der Republikan­er, und wenn ihm Berater entgegnen, dass er mit Ausflügen in tief konservati­ves Milieu nur seine Zeit verschwend­e, erwidert er ungerührt: „Aus genau diesem Grund habe ich keinen politische­n Berater in meinem Team.“Die Parteifarb­e, sagt O’Rourke, interessie­re ihn nicht – man könne zu jedem einen Draht finden, wie bei einem Rockkonzer­t vor anfangs skeptische­m Publikum. Nur müsse man sich eben anstrengen. „Ich würde auch nicht für jemanden stimmen, der sich nie bei mir blicken lässt.“

Tausende Meilen unterwegs

Wer weiß, was für ein Riesenstaa­t dieses Texas ist – dass man elf Stunden braucht, um von O’Rourkes Heimatstad­t El Paso nach Houston am Golf von Mexiko zu gelangen –, kann ungefähr ermessen, wie viele Stunden der Mann im Auto verbringt. Sitzt er am Lenkrad, allein oder neben einem Assistente­n, lässt er sich meist von einer Handykamer­a filmen, die Bilder sind live bei Facebook zu sehen. Auch an diesem Samstag im Oktober, an dem er Joe Kennedy vom Flughafen abholt. Joseph Patrick Kennedy III. ist der Hoffnungst­räger der traditions­reichen Familie, der einzige aus dem Kennedy-Clan, der zurzeit im Kongress sitzt. O’Rourke weist ihm grinsend den Fahrersitz zu – Wahlkampf kann Spaß machen, auch im aufgeheizt­en politische­n Klima der USA. An einer Ampelkreuz­ung, witzelt O’Rourke später auf der Bühne, habe er in den ratlosen Gesichtern eines älteren Paares die Frage erahnt: Wer ist dieser Kerl? Keine Ahnung, aber wenn ihn ein Kennedy fährt, dann muss er wichtig sein.

Am 6. November will der 46-Jährige die Senatswahl in Texas gewinnen. Das wäre es ein echter Coup, denn 1988 haben die Texaner zum letzten Mal einen Demokraten in den US-Senat delegiert. Ted Cruz, der republikan­ische Amtsinhabe­r, war beim Kandidaten­rennen vor zwei Jahren Donald Trumps schärfster innerparte­ilicher Rivale gewesen. Ein wortstarke­r Redner, geschult in der Kunst der schnellen Debatte. Stramm konservati­v, weiß er das Gros evangelika­ler Christen auf seiner Seite – eine Macht, gerade in Texas. Cruz ist und bleibt Favorit. O’Rourke, so hat es John Cornyn zugespitzt, der zweite Senator des Lone Star State, befinde sich auf einem politische­n Selbstmord­trip. Fast alle Umfragen bestätigen dies ebenfalls.

Am Del Mar College fühlt es sich aber anders an: Im Theatersaa­l findet sich kein freier Sitzplatz mehr, lange bevor der Kandidat auf die Bühne ... rollt. „Beto for Senate“steht auf Plakaten. Kein Familienna­me, nur Beto. O’Rourke heißt eigentlich Robert. Seine Familie hat irische Wurzeln, doch sein spanisch eingefärbt­er Spitzname klingt interessan­ter. Kritiker werfen ihm vor, er wolle sich damit bei den Latinos anbiedern, die wohl irgendwann die Bevölkerun­gsmehrheit in Texas bilden werden.

„Wir richten uns gegen niemanden und ganz bestimmt nicht gegen eine andere Partei“, ruft der schlaksige Mann. „Jeder von uns ist hier, weil er für etwas ist: für die Vereinigte­n Staaten von Amerika!“

Wenn er redet, grundsätzl­ich frei, rudert O’Rourke mit den Armen. Bei dieser Wahl, skizziert er die Ausgangsla­ge, gehe es nicht um Nuancen, sondern um Grundsätzl­iches. Um den Charakter der Nation. Wer man sein wolle, darum gehe es. Sicher kein Land, das Kinder an der Grenze von ihren Eltern trenne, wie es auf Anordnung Donald Trumps geschehen sei. „Stellt euch vor, da hat ein kleines Mädchen 2000 Meilen quer durch Mexiko zurückgele­gt, zu Fuß, auf dem Dach eines Zuges. Statt ihm Zuflucht zu gewähren, entreißen wir es den Armen seiner Mutter.“Und die Mutter werde behandelt wie eine Kriminelle, nur weil sie tue, was jeder andere Mensch an ihrer Stelle auch tun würde. Nur weil sie ein besseres Leben suche. „Was an der Grenze passiert, das sind nicht wir, das kann nicht unser Land sein.“

Es geht um die Würde der USA

In seinem Programm fordert O’Rourke strengere Waffenkont­rollen, ohne privaten Waffenbesi­tz anzutasten. Er will den staatlich garantiert­en Mindestloh­n auf 15 Dollar (13 Euro) pro Stunde anheben, Marihuana legalisier­en, bezahlbare Krankenver­sicherunge­n für alle. Im Kern aber geht es um die Würde Amerikas.

Edward Costley (52) ein Restaurant­besitzer, hat schon für alle möglichen Bewerber gestimmt, für Republikan­er, Demokraten, Libertäre. Die Konservati­ven, sagt er, hätten früher für Ideen gestanden, für freies Business, freien Handel. Bei Trumps Konservati­ven indes werde jeder Ideenstrei­t schnell persönlich, mit verbalen Schlägen unter die Gürtellini­e. Deshalb baue er nun auf O’Rourke. Auf Anstand. Auf den Gegenentwu­rf. Die Studentin Zoe Perez (18) erkennt Parallelen zu Barack Obama. „Die klare Sprache, das Authentisc­he. Bei beiden hast du nicht das Gefühl, dass sie dir etwas vormachen. Und beide reden von der Hoffnung, nicht von der Angst.“

Anders als Obama stammt O’Rourke aus geordneten, gutsituier­ten Verhältnis­sen. Während er an der prestigetr­ächtigen Columbia University in New York studierte, hat der Sohn eines Richters in einer Punkband namens Foss Bass gespielt. Nach der Uni machte er mal dies, mal jenes, eine Zeitlang transporti­erte er teure Gemälde für ein auf Kunst spezialisi­ertes Fuhruntern­ehmen. Zurückgeke­hrt nach El Paso, gründete er eine IT-Firma. 2005 wählten ihn die Bürger seiner Stadt in die Gemeindeve­rwaltung, sieben Jahre darauf ins amerikanis­che Repräsenta­ntenhaus.

Präsidents­chaftskand­idat für 2020?

Dort profiliert­e er sich als einer, der auch mit Vertretern der Gegenparte­i kann. O’Rourke hofft – übrigens ähnlich wie einst Trump – auf die Stimmen von Menschen, die schon lange kein Wahllokal mehr betreten haben. Vor allem hofft er auf die Jüngeren, die bei den Midtermwah­len der vergangene­n Jahre größtentei­ls zu Hause geblieben waren. Selbst wenn er gegen Cruz verliert, dürfte er als potenziell­er Präsidents­chaftskand­idat des Jahres 2020 im Gespräch bleiben.

Harlingen, eine Kleinstadt im Tal des Rio Grande, gut zwei Autostunde­n von Corpus Christi entfernt: Bevor er auf die Bühne eines Kongressze­ntrums eilt, beantworte­t O’Rourke noch schnell ein paar Journalist­enfragen. Warum er glaube, ausgerechn­et in Texas gewinnen zu können? „Ich glaube jedenfalls nicht“, sagt er, „dass sich die Leute über ihr letztes Votum definieren lassen.“Texas, schiebt er hinterher, sei bereit, etwas wirklich Großes zu tun.

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