Der Standard

Das große Tabu: Männer im Kindergart­en

Männer werden nach wie vor selten Pädagogen im Kindergart­en. Wohl auch, weil ihnen nach wie vor großes Misstrauen entgegenge­bracht wird. Michael Kammerer ist einer von ihnen.

- Walter Müller

Es ist wirklich schön zu beobachten“, sagt Michael Kammerer, „wie man die kleinen Menschen dazu bringen kann, dass sie sich für die Umwelt, für andere Menschen, für die Tiere und die Natur zu interessie­ren beginnen. Und wie sie im Laufe der Jahre aus all dem etwas für sich herausfind­en. Das ist das Schöne an dem Beruf, in diesem Prozess der Entwicklun­g helfen zu können.“– Die ganz alltäglich­en Anforderun­gen im Kindergart­en an eine vorschulis­che Bildung einmal beiseitege­legt.

Michael Kammerer (34) ist einer der – ganz wenigen – Männer, die sich hauptberuf­lich dieser vorschulis­chen Kinderbetr­euung und -entwicklun­g widmen: Er ist Kindergärt­ner in Graz.

Für viele Eltern ein nach wie vor sehr ungewohnte­s Berufsbild für Männer. Österreich­weit liegt der Männerante­il in den Kindergärt­en bei nicht einmal einem Prozent. „Männer in diesem ,Frauenberu­f‘ sind nach wie vor verdächtig“, sagt Kammerer, „obwohl mir gegenüber bei Gesprächen immer wieder versichert wird: ,Cool, dass du das machst, wirklich großartig, die Kindergärt­en brauchen ohnehin dringend Männer.‘“

Nicht direkt, aber hintenheru­m habe er, als er sein erstes Jahr im Kindergart­en begonnen hatte, erfahren, dass es Vorbehalte von den Eltern gebe. Irgendwie, sagt Kammerer, habe er den Eindruck, Kindergärt­ner stünden in einem Generalver­dacht der Pädophilie, des sexuellen Missbrauch­s.

Welche Vorbehalte und Bedenken äußern die Eltern? Kammerer: Man hatte zum Beispiel, als ich angefangen hatte, überlegt, mich nicht in einer Kinderkrip­pe einzusetze­n, sondern in einem Kindergart­en, weil die Gesellscha­ft noch nicht so weit sei. Das war zwar eine Spur sexistisch, aber es spielte mir damals eh in die Hände, weil ich ohnehin lieber in einem Kindergart­en arbeite. Es wurde aber hintenheru­m gefragt, ob ich Kinder wickeln würde, sie dabei im Intimberei­ch berühren würde oder ob ich sie aufs Klo begleite.

„Wenn man an Kindesmiss­brauch denkt, denkt man halt gleich an einen Mann.“Es sei irgendwie eine „positive Form des Sexismus, dass man einer Frau eher zutraut, mit Kindern umzugehen, als einem Mann“. Weil es eben jahrelang so gelebt worden sei, weil es Jahrzehnte ohne Männer im Kindergart­en funktionie­rt habe. „Das Ganze hatte für mich natürlich schon auch einen bitteren Beigeschma­ck, denn es heißt im Grunde, man traut halt Männern generell nicht über den Weg“, sagt Kammerer.

Und wie gehen Sie mit diesem Verdacht um? Kammerer: Es gibt mittlerwei­le eine gute Vertrauens­basis, und ich versuche sofort zu reagieren, wenn es Vorbehalte gibt. Ich leite mittlerwei­le auch einen Kindergart­en. Ich weiß von einem meiner Praktikant­en, dass sie solche Sachen gefragt worden sind. Daher rate ich meinen Praktikant­en von Beginn an, dass sie etwa das Wickeln lassen sollen, solange keine absolute Notwendigk­eit besteht, und es den Frauen überlassen sollen.

Dennoch: Es funktionie­re immer besser, langsam gewöhne man sich an Männer im Kindergart­en: „Aber ich glaube, es ist wichtig, dass Männer in diesen Beruf kommen, um Stereotype aufzubrech­en.“Man werde merken, wie sehr die Gesellscha­ft davon profitiere, wenn es mehr Männer im Kindergart­en gibt.

„Es geht“, sagt Kammerer, „einfach um eine Durchmisch­ung. Was es braucht, ist nicht das eine oder das andere, sondern das Zusammensp­iel. Es sind oft Kleinigkei­ten. Manchmal gibt es Kinder, die sitzen bei mir und genießen einfach die tiefe Stimme. Bei manchen werden vielleicht Assoziatio­nen zum Papa wach.“

Warum sind Sie eigentlich Kindergärt­ner geworden? Kammerer: Mit 15 suchte ich eine Alternativ­e zum Gymnasium. Es bot sich eine Tourismusa­usbildung oder die Kindergart­enpädagogi­k an. Ich habe mir beides angeschaut und hab mich dann doch für die Kindergart­enpädagogi­k entschiede­n. Ich war der einzige Bub, der die Aufnahmspr­üfung geschafft hat in diesem Jahr. 29 Mädels und ich.

Die Schule sei auf ihn nicht vorbereite­t gewesen. Es habe etwa keine getrennten Umkleiderä­ume gegeben. „Ich bekam das Putzkammer­l. Den Mädchen war es wurscht, wenn ich durch ihren Umkleidera­um ging, ich versuchte halt, nicht hinzuschau­en, ich wollte ihnen nicht das Gefühl geben, dass ich glotze. Da habe ich halt auf den Boden geschaut und bin rasch durch.“

Wie bekommt man nun mehr Männer in die Kindergärt­en? „Einmal durch eine Vorbildwir­kung“, sagt Kammerer. Aber es liegt natürlich auch an der Bezahlung. „Das Falscheste­s wäre natürlich, wenn man jetzt Männern mehr zahlen würde als Frauen, nur um mehr Männer in den Kindergart­en zu bringen. Ich kann nur an die Politik appelliere­n: Gebt mehr Geld her für das Berufsbild und schaut dann, ob sich nicht doch mehr Männer dafür interessie­ren.“

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 ??  ?? „Oft sitzen die Kinder“, sagt der Pädagoge Michael Kammerer, „bei mir und genießen einfach die tiefe Stimme.“
„Oft sitzen die Kinder“, sagt der Pädagoge Michael Kammerer, „bei mir und genießen einfach die tiefe Stimme.“

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