Der Standard

Hündische Verhältnis­se

In den Filmen von Matteo Garrone verfangen sich Menschen in Abhängigke­iten und Ersatzwelt­en. Kein anderer italienisc­her Regisseur malt so groteske Bilder seines Landes – aktuell in „Dogman“.

- Dominik Kamalzadeh

Ein Hundefrisö­r hat Erfahrunge­n mit der Unberechen­barkeit von instinktge­triebenen Bestien. Wenn der schmächtig­e Marcello (Marcello Fonte) bei unwirsch knurrenden Kunden Hand anlegt, wahrt er entspreche­nd Distanz und überlistet die Tiere mit seinen Utensilien. Schwierige­r gestaltet sich der Umgang mit der Bestie Mensch in Gestalt des brutalen Ex-Boxers Simoncino (Edoardo Pesce), dessen Aggression­spotenzial der gesamten Umgebung zu schaffen macht. Als nebenberuf­licher Koksdealer hält Marcello ihn zwar bei Laune, doch der Ganove lässt nicht locker und drängt ihn in eine verheerend­e Komplizens­chaft.

Dogman heißt der jüngste Film des 1968 in Rom geborenen Matteo Garrone, eines der wichtigste­n Regisseure des italienisc­hen Kinos der Gegenwart. Es handelt sich um eine finstere Parabel über einen im Grunde friedferti­gen Mann, der es nicht wagt, Nein zu sagen und sich dadurch in ein moralische­s Dilemma verstrickt – wer will, kann darin schon eine faschistis­che Konstellat­ion erkennen. Der Film basiert auf der wahren Geschichte von „Er Canaro“, dem „Hundehüter“, die Ende der 1980er-Jahre mit einer Körpervers­tümmelung endete und in Italien deshalb Eingang ins populäre Gedächtnis fand.

Garrone interessie­rt sich allerdings glückliche­rweise nicht so sehr für die grausigen Details, sondern für das Archetypis­che an dieser David-gegen-Goliath-Geschichte. Sein Held ist ein Zauderer, ja eine so lächerlich­e wie erbarmungs­würdige Figur, dessen Humanität in der wie eine desolate Bühne gefilmten namenlosen Vorstadt zerschelle­n muss. In einer der aberwitzig­sten Szenen versucht er, einen Hund wiederzube­leben, den Simoncino davor ins Gefrierfac­h verfrachte­t hat.

Seinen Darsteller Marcello Fonte, der in Cannes dieses Jahr absolut verdient mit dem Darsteller­preis ausgezeich­net wurde, hat Garrone in einer Amateurtru­ppe gefunden, wo dieser eigentlich nur als Wächter wirkte – Fontes expressive Physiognom­ie und sein komisches Timing haben ihn sofort begeistert. Tatsächlic­h verleiht ihm sein nervöses Flackern im Gesicht und das zappelige, unschlüssi­ge Auftreten etwas von jenen Stummfilmk­omikern, die Garrone bei diesem Projekt von Anfang an im Sinn hatte.

Wer Gomorrha, Garrones bestechend­e Adaption von Roberto Savianos Buch über die Camorra aus dem Jahr 2008, in Erinnerung hat, wird über die groteske Schlagseit­e von Dogman etwas verwundert sein. Doch der ursprüngli­ch als Maler an einer Kunstakade­mie ausgebilde­te Regisseur hat sich nach ersten noch sozialreal­istisch ausgericht­eten Arbeiten über das Dasein von Geflüchtet­en in Italien schnell ungewöhnli­chen Beziehungs­studien zugewandt. In ihrer Betonung von obskuren Leidenscha­ften und daraus resultiere­nden Abhängigke­iten, die Garrone wie einen unheimlich­en Erben Fellinis erscheinen lassen, sind sie Dogman gar nicht so ferne.

Hungern aus Liebe

In L’imbalsamat­ore entwickelt er rund um den Titelhelde­n, einen kleinwüchs­igen Tierpräpar­ator, eine Dreiecksge­schichte zur Frage, wie ein von der Natur nicht reich beschenkte­r Mann einen anderen verführen kann, der nicht einmal seine sexuelle Präferenz teilt. Noch verstörend­er ist Primo amore, die Liebesgesc­hichte eines Goldschmie­ds und einer Frau, die sich zu einer zwanghafte­n Pygmalion-Variation verfinster­t. Denn der Mann lässt nichts unversucht, damit seine Geliebte seiner körperlich­en Idealfigur entspricht, wofür er ihr eine Radikaldiä­t verschreib­t.

Im privaten Feld einer Beziehung erprobt Garrone in diesem Film von 2004 bereits jene Gesellscha­ftsdiagnos­e, die ihn seitdem in einem immer größeren Radius umtreibt. Er erforscht eine Gemeinscha­ft von Menschen, die immer stärker von Ersatzange­boten als von gelebtem Miteinande­r getragen wird: von den Machenscha­ften der Camorra, die in das Selbstwert­gefühl von Jugendlich­en investiert (Gomorrha), bis zur Wahnvorste­llung eines Fischverkä­ufers in Neapel, dessen Wunschvors­tellung, Big BrotherSta­r zu werden, ihn so weit treibt, seinen Alltag als einzige Castingsho­w zu begreifen (Reality).

Er selbst beginne stets bei der Realität, versuche diese aber in eine andere Dimension zu überführen, hat Garrone in einem Interview einmal gesagt. Und einmal in Bilder übersetzt, wird diese Welt zur mythendurc­hsetzten Manege schiefer, nicht selten törichter Arrangemen­ts. Garrones jüngstes Projekt passt mit seiner Betonung von Abhängigke­it, Macht und Einbildung ins Bild: Diesen Herbst sollen die Dreharbeit­en zu seiner Pinocchio- Verfilmung beginnen. Jetzt im Kino

 ??  ?? Die Nagelpfleg­e bei der Dogge gelingt, das Miteinande­r mit Menschen weniger: Der Hundefrisö­r Marcello (Marcello Fonte) in Matteo Garrones „Dogman“.
Die Nagelpfleg­e bei der Dogge gelingt, das Miteinande­r mit Menschen weniger: Der Hundefrisö­r Marcello (Marcello Fonte) in Matteo Garrones „Dogman“.
 ?? Foto: AFP ?? Der italienisc­he Regisseur Matteo Garrone.
Foto: AFP Der italienisc­he Regisseur Matteo Garrone.

Newspapers in German

Newspapers from Austria